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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

691–693

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Brown, Peter

Titel/Untertitel:

Through the Eye of a Needle. Wealth, the Fall of Rome, and the Making of Christianity in the West, 350–550 AD.

Verlag:

Princeton u. a.: Princeton University Press 2012. 806 S. m. Abb. u. Ktn. Lw. £ 27,95. ISBN 978-0-69115290-5.

Rezensent:

Katharina Greschat

Über lange Jahre hinweg hat es Peter Brown, der Grandseigneur der Sozialgeschichte des spätantiken Christentums, immer wieder verstanden, seine Leserschaft mit anschaulich erzählten Einblicken nicht nur in die Lebenswelt christlicher Gemeinschaften, sondern auch in die darauf bezogenen theologischen Sachverhalte zu überraschen. So stellte er neue Fragen zur Heiligenverehrung (The Cult of the Saints, 1982) oder zu Sexualität und Keuschheit im Frühen Christentum (The Body and Society. Men, Women and Sexual Re­nunciation in Early Christianity, 1988) und beschäftigte sich stets aufs Neue mit Augustin und Pelagius.
Mit dem hier zu besprechenden und – im wahrsten Sinne des Wortes – gewichtigen Buch ist B. jetzt eine weitere Überraschung gelungen. Zwar hat er in den letzten Jahren einige Studien zum Thema Armut bzw. Reichtum vorgelegt, die auch prompt kontrovers diskutiert worden sind (vgl. Pauline Allen, Bronwen Neil, Wendy Mayer, Preaching Poverty in Late Antiquity, 2009), doch hat B. diese Kritik konstruktiv aufgenommen. Sein Werk will mehr als eine Sozial- oder Wirtschaftsgeschichte sein: »It is to use the theme of wealth as a doctor uses a stethoscope. Through paying attention to the issue of wealth, we can listen in to the Roman Empire of the West in its last centuries and to western Europe as a whole in its first century without empire« (XXVI). Somit geht es also um nichts Geringeres als darum, dem Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter im westlichen Europa auf die Spur zu kommen, wobei B. allgemeine Geschichte, Sozial-, Wirtschafts- und Kirchengeschichte zusammenhalten und auch die Forschungsergebnisse der Epigraphik und Archäologie integrieren will. Das ist kein leichtes Unterfangen und lässt sich nicht auf wenigen Seiten abhandeln.
Die vier Eingangskapitel, d. h. den ersten Teil (1–90), widmet B. der Beschreibung der Gesamtszenerie: zunächst der Gesellschaft des Römischen Reiches im 4. Jh., dann dem Christentum in dieser Zeit und schließlich dem entscheidenden Gegensatz zwischen einem traditionellen städtischen Euergetismus und der sich erst langsam durchsetzenden, völlig neuen christlichen Vorstellung, sich einen Schatz im Himmelreich zu erwerben, indem man der Kirche oder den Armen gibt.
Im zweiten Teil (91–288; »An Age of Affluence«) nimmt B. seine Leser mit auf eine Rundreise durch den zunächst noch ganz klassisch geprägten Westen des Imperiums. Den Ausgangspunkt bildet der Stadtpräfekt Symmachus, der als Vertreter der alten, selbstverständlich vermögenden römischen Nobilität skizziert wird, die ein weitgespanntes Netz von amicitae- und Patronageverbindungen unterhalten und durch die Ausrichtung von Spielen mit dem durchaus selbstbewussten und auf seinen Vorteil bedachten römischen populus kommuniziert habe. Sein Verhalten war jedoch keineswegs rückwärtsgewandt oder gar dezidiert heidnisch, sondern: »Symmachus was the way the world worked« (119). Auf diesem Hintergrund wird umso deutlicher, dass mit dem Mailänder Bischof Ambrosius, dem ersten westlichen Bischof aus der Nobilität, etwas Neues auf den Plan tritt. Seine Polemik gegen den Geiz der reichen Landbesitzer sollte dabei Reaktion auf den Vorwurf, durch das Christentum verliere das Reich seine göttliche Protektion, verstanden werden. Dabei bemühte Ambrosius sich in seiner Kommunikation insbesondere um die Einheit des Kirchenvolks als einer sich erst langsam konstituierenden städtischen Größe. Der Nordafrikaner Augustin steht hingegen für diejenigen an der Spitze der »little pyramid of their hometowns« (153), die energisch nach Höherem strebten. Zugleich verwirklichte er im Kontext der reli­-giösen Gemeinschaft der Manichäer, dann der philosophisch-neuplatonischen und schließlich der katholischen Kommunität in Hippo ein Leben in Armut, wobei jedoch die Gemeinschaft selbst zwar arm lebte, aber keine Gemeinschaft von Armen war. B. sieht darin auch das Bemühen, höchst unkirchliche gesellschaftliche »countercultural experiments« (171) mit der Kirche zu versöhnen.
Blickt man schließlich nach Gallien und Spanien, so begegnen dort mit den beiden schwerreichen Ausonius und Paulinus von Nola zwei unterschiedliche Optionen eines christlichen Lebens im späten 4. Jh.: einerseits Ausonius, dessen gleichsam weltliches Christentum, das im Rahmen prächtiger Villen den Überfluss des hiesigen Lebens feierte und Christus als überhimmlischen Garanten verstand, der von B. als typisch für die konstantinische Zeit angesehen wird, uns Heutigen jedoch fremd erscheint. »As a result, the Christianity of the old poet seems reticent to the point of seeming insincere when compar­ed with the sharp contrasts between Christians and pagans and between di­vine and ›worldly‹ affairs that were played up in the public rhetoric of new style bishops such as Ambrose and by converts to the ascetic life such as Augus­-tine and Paulinus« (202). Letzterer machte insofern einen scharfen Schnitt, als er seinen weltlichen Besitz als Votivgabe für Gott ansah und keine öffentliche Rolle – sei es in der Stadt oder der Kirche – einnahm, sondern seinen Schrein des heiligen Felix als die Angelegenheit der Familie betrachtete und analog zu den Spielen zu einem Ort der Kommunikation nun mit einem ganz anderen populus, nämlich den Armen, machte. Anschließend nimmt B. die Leserschaft wieder mit zurück nach Rom, wo sich Damasus um die Aufsteiger – die »sub-luxury« (249 f.) – bemühte, die mit ihrem neuen Reichtum Kirche und Klerus unterstützten. Zwischen den »sub-luxury« und der alten Nobilität standen die Kreise, zu denen Hieronymus als ein »house doctor of asceticism« (263) Zugang erhielt. Gleichzeitig begann sich erst jetzt der Graben zwischen den römischen nobiles und der Kirche zu schließen, wie die pelagianische Fundierung der häuslichen Askese der Demetrias zeigt.
Der dritte Teil (289–407; »An Age of Crisis«) setzt mit der ungleich radikaleren Askese von Melania d. J. und Pinianus ein, die ihren Reichtum aufgaben, um Mönche zu unterstützen. Schließlich konnte man nach Ansicht des harschen pelagianischen Traktats De divitiis nichts Besseres mit Reichtum tun, als ihn möglichst schnell loszuwerden. Auf älteren Arbeiten aufbauend kann B. den pelagianischen Streit nicht nur als theologischen, sondern auch als sozialen Konflikt mit der ganz anderen nordafrikanischen Kirchenlandschaft plausibel machen, denn »the churches of Africa bore the indelible mark of mediocritas« (325), einer Verbindung zwischen lokalen Größen, Klerus und Bischöfen. Augustin unterlief jedoch das elitäre Konzept der Pelagianer, indem er nicht Reichtum gegen Armut, sondern Stolz gegen Demut stellte, so dass nun jeder der noch immer neben der traditionellen Verwaltung stehenden Kirche von seinem Besitz geben konnte. Dieser Regionalisierung leis­tete der Verlust Afrikas für das Reich auch insofern Vorschub, als sich die Basis für das, was B. als »central Romanness« bezeichnet, nun auf Italien und die Küstenregionen im Westen be­schränkte »ringed to the north and west by gray zones of local Romanness that had emerged in much of Gaul and Spain« (400).
Genau dorthin führt B. uns im vierten Teil (409–477; »Aftermaths«): in das »kleine Rom« nach Arles, in das Zentrum der christlichen Elite nach Marseille und in das Inselkloster von Lerinum, der Kaderschmiede für die gallischen Mönchsbischöfe, die sich ihrer Askese und ihres Status sehr bewusst waren. Im Gegensatz dazu vertrat Prosper von Aquitanien eine radikale Gnadenlehre, nach der eben auch Bischöfe aus unteren Schichten erwählt sein konnten. Doch war es Salvian von Marseille, der die »central Romanness« harsch anging, sich noch immer nicht für das Christentum und die Kirche geöffnet zu haben.
Insofern ist es nur konsequent, sich im fünften und letzten Teil (479–526; »Towards Another World«) wiederum Italien und der alles entscheidenden Frage zuzuwenden, wer denn nun das römische Volk sei. Erst am Ende des 6. Jh.s – so B. – sei diese Frage zugunsten des Klerus entschieden worden und das antike Christentum damit endgültig gestorben:
»A Christian community that had bloomed in the last, strident days of the ancient world seems to have turned its back on the warm and sociable light of the Forum and of the cheap but spacious church building of the late fourth century. Its members now sought a future in the light beyond the grave […] this was how Christians now wished to spend their money in church, in prepa­ration for the long journey of the soul« (526).
Das Buch ist ungeheuer anregend zu lesen und – gerade was die christlichen Sozialformen anbelangt – so spannend, dass man es trotz seines Umfangs gar nicht aus der Hand legen mag. Über den einen oder anderen Punkt wird sicherlich noch intensiver zu diskutieren sein; dennoch besteht sein enormer Reiz darin, dass hier »die ganze Geschichte« höchst anschaulich erzählt wird. Wer sich für die Sozialgeschichte des antiken Christentums interessiert, dem sei es wärmstens ans Herz gelegt: tolle, lege.