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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

689–691

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zwierlein, Otto

Titel/Untertitel:

Petrus und Paulus in Jerusalem und Rom. Vom Neuen Testament zu den apokryphen Apostelakten.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2012. XIV, 314 S. m. zahlr. Abb. = Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte, 109. Geb. EUR 109,95. ISBN 978-3-11-030331-5.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Otto Zwierlein, habilitiert für Klassische und Mittellateinische Philologie, war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2004 ordentlicher Professor für Klassische Philologie an den Universitäten Hamburg und Bonn. Ein hoch angesehener Wissenschaftler, korrespondierendes Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. In den vergangenen Jahren hat Z. sich ausführlich an der sog. Petrus-Rom-Debatte beteiligt.
In diesem Buch sind drei Originalbeiträge abgedruckt: A.III. Sind Petrus und Paulus in Rom gestorben? (105–149); A.IV. Danaiden und Dirken (1 Clem 6,2) (151–158); C. Nachlese zu dem Tagungsband S. Heid (Hrsg.), Petrus und Paulus in Rom. Eine interdisziplinäre Debatte, Freiburg 2011 (263–288). Alle übrigen Beiträge sind Studien der vergangenen Jahre, die seit der Publikation von Z., Petrus in Rom: Die literarischen Zeugnisse. Mit einer kritischen Edition der Martyrien des Petrus und Paulus auf neuer handschriftlicher Grundlage, Berlin u. a. 2009 (2., durchgesehene und ergänzte Aufl.) erschienen sind (vgl. die Nachweise, IX). Die doppelte Seitenzählung im Band stellt den Bezug zu den Erstveröffentlichungen her. Fußnote 2 auf S. VI führt bislang erschienene Rezensionen zu den Arbeiten Z.s auf. Die Abschnitte A.II. und C., die umfänglich auf Autoren der zwischenzeitlich intensiv geführten Debatte zum Thema eingehen, verleihen dem Band etliche Wiederholungen, aber auch einen Einblick in eine höchst lebendige und philologisch anspruchsvolle Diskussion, an der sich nicht nur Bibelwissenschaftler, Patristiker und Altphilologen beteiligen. Ein ausgezeichnetes, differenziertes Wort-, Namen- und Sachregister hilft, einen Überblick über die Fülle der von Z. angesprochenen Themen zu behalten.
Z. verortet sein Buch im ersten Satz des Vorworts, in dem sich im Übrigen fast alle wesentlichen Thesen des Buches pointiert finden, folgendermaßen: »Das Erscheinen meines Petrusbuchs (2009) hat eine lebhafte, fächerübergreifende Diskussion ausgelöst, die neben der vordergründigen Frage nach der Historizität des Wirkens Petri in Rom auch die Stellung des Papsttums in der Kirchenstruktur, den Primat des Papstes (oder der Kirche Roms) und seine Begründung durch die ›Apostolische Sukzession‹ berührt. Die in diesem Band vereinigten Studien beschränken sich ganz auf die historischen und philologischen Aspekte« (V). Es ist der Wunsch des Autors, eine Leserschaft zu finden, »denen es ein Bedürfnis ist, die Fundierung altvertrauter Konventionen zu erproben und somit auch die historische Kontingenz in Genese, Wachstum und Wandel des Römischen Petrusmythos aufzudecken« (VII).
Nach wie vor bin ich erschrocken über den selektiven Umgang mit der Fachliteratur aus der neutestamentlichen Wissenschaft. Es könnte jetzt leicht eine Seite mit derjenigen Literatur gefüllt werden, die Z. hätte lesen müssen, die er aber völlig unverständlicherweise übergeht. Gleichzeitig aber ist Z. höchst anfällig für Positionen, die sich nicht einer mehrheitlichen Sicht erfreuen, aber seiner eigenen Position entgegenkommen. So behauptet er etwa, Trobisch habe nachgewiesen (!), dass die Apostelgeschichte um 160 eine Überarbeitung erfahren habe, in deren Redaktion wiederum die beiden Vermächtnisbriefe 2Petr und 2Tim in den Kanon aufgenommen worden seien (133). Im Übrigen ist David Trobisch neben Heinrich Julius Holtzmann der einzige Neutestamentler, der die Aufnahme in das Register geschafft hat.
Bisher war es das Anliegen Z.s, ein Martyrium des Petrus in Rom in Frage zu stellen. »Der historische Petrus war nie in Rom.« (132) In diesem Buch kommt nun noch ein knapper Abschnitt zum Tod des Paulus hinzu (132–147), in dem Z. auch die These des römischen Martyriums in Frage stellt. Freilich ist Z. darin Recht zu geben, dass kein originäres Wissen über den Ort, die Zeit und die Todesart des Paulus in der Überlieferung vorliegt, was wiederum Freiräume ergab, die Leerstellen von Apg 28 (Ankunft in Rom als Gefangener), Röm 15 (Spanienmission nach einem Rom-Besuch) und des Phil (Haftsituation) aufzufüllen. Gleichwohl deutet ein großer Teil der Überlieferung auf ein Ende des Paulus in Rom hin, entweder nach der ersten oder nach einer zweiten Gefangenschaft in dieser Stadt. Z. hingegen sieht, dass der 2Tim sowohl den aus römischer Haft geschrieben Phil und die in leichter römischer Haft endende Apg »durch ein fiktionales Ausspinnen zweier vorgegebener Gefangenschaftsmuster« weiterführen möchte in eine schwere Gefangenschaft mit abschließender Verhandlung und Todesurteil (142). Z. verweist überdies auf die Angleichung des Geschicks beider Apostel in der Überlieferung und versteht das Apostelpaar in einer bewusst kontrastiven Position an der Stelle des Zwillingspaars der römischen Gründungslegende (146). Eine oftmals vorgetragene Berufung auf 1Clem 5,5.7 als Beleg für ein römisches Martyrium beider Apostel wird schroff zurückgewiesen, da die Beschreibung der Verfolgung der beiden Apostel in einem engen Anschluss an Berichte der Apostelgeschichte vorgetragen wird (273). Ungewöhnlich sind die späte Datierung des 1Clem um 125 (VI, 286) und die These, dass 1Clem auf jeden Fall den 1Petr voraussetze. In diesem Paulus-Teil findet sich erneut die von Z. vorgelegte These, dass der sog. 3Kor (Papyrus Bodmer X) ein ursprünglicher Bestandteil der romanhaften Paulusakten gewesen sei und nicht ein unabhängig davon umlaufender Brief (191–231).
Gegenüber den bisherigen Publikationen sieht Z. nach eigener Einschätzung jetzt deutlicher, dass »der Schlußgruß [sic! Z. meidet durchgehend die Buchstabenfolge ss anstelle des scharfen s] des wohl um 112–115 verfassten, fiktiven Ersten Petrusbriefs nach der Imagination des unter dem Namen des Apostels schreibenden Verfassers nicht aus Rom, sondern aus Jerusalem entboten wird, der Heimatgemeinde des Petrus und Metropole des frühen Christentums« (V; dagegen datiert 131 auf 110–115, 92 auf 110–113). Voraussetzung dieser These ist die diskutable Position, Babylon (1Petr 5,13) nicht als Deckname oder Ortsmetapher für Rom aufzunehmen, sondern allgemein als Metapher »für das Leben der Christen in der Fremde und Gefangenschaft der irdischen Welt …« (132); an anderer Stelle spricht Z. von einer ontologischen Metaphorik (266). Die Personalnotizen zu Silvanus/Silas und Markus deuten nach Z. ebenfalls nach Jerusalem, da beide Mitarbeiter der Urgemeinde dort ansässig waren und da Silas wie in Apg 15 auch in 1Petr 5,12 erneut als Briefbote der Jerusalemer Urgemeinde eingeführt wird (132). Der Schlussgruß 1Petr 5,13 wird als Ellipse begriffen (9 u. ö.), der in Vollform folgendermaßen lautet: ἀσπάζεται ὑμᾶς ἠ (μετ᾽ ἑμοῦ) ἐκκλησία (ἡ) ἐν Βαβυλῶνι συνεκλεκτή (ὑμῖν) Das gibt Z. die Möglichkeit folgender Auslegung: Es grüßt die um Petrus versammelte Gemeinde, die in Babylon miterwählt ist. Z. schließt folg-lich die grüßende und die zu grüßende Gemeinde als erwählt und beide als in Babylon/im Exil seiend gedanklich zusammen, bezieht aber Babylon nicht mehr ausschließlich auf die grüßende Ge-meinde, schon gar nicht auf eine aus Rom (= Babylon) grüßende Gemeinde.