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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

686–687

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Karakolis, Christos, Niebuhr, Karl-Wilhelm, and Sviatoslav Ro­galsky [Eds.]

Titel/Untertitel:

Gospel Images of Jesus Christ in Church Tradition and in Biblical Scholarship. Fifth International East-West Symposium of New Testament Scholars, Minsk, September 2 to 9, 2010.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XIII, 458 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 288. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-151908-6.

Rezensent:

Eduard Lohse

Seit der eiserne Vorhang, der Europa in zwei Teile trennte, gefallen ist, hat die Internationale Neutestamentler-Gesellschaft (Studiorum Novi Testamenti Societas = SNTS) die Zusammenarbeit zwischen Gelehrten in Ost und West mit starkem Einsatz gefördert. Insbesondere ist den Professoren U. Luz (Bern) und K.-W. Niebuhr (Jena) dankbarer Respekt zu bezeugen, dass sie durch tatkräftige Initiative diese Verbundenheit gefestigt und fruchtbar gestaltet haben. In der Folge ost-westlicher Symposien fand eine fünfte Zusammenkunft im September 2010 in Minsk, der Hauptstadt Weißrusslands, statt. Der Metropolit Philaret von Minsk hat als Gastgeber Gelehrte aus Ost- und Westeuropa willkommen geheißen und das Unternehmen unterstützt, Neutestamentler verschiedener Konfessionen (evangelisch, römisch-katholisch und orthodox) zu intensivem Gedankenaustausch zusammenzuführen. In seiner Begrüßungsansprache brachte er die alle Teilnehmer verbindende Aufgabe zum Ausdruck, durch Auslegung der Heiligen Schrift den Kirchen zu dienen, und beschrieb dabei »Church Life and Biblical Scholarship in Belarus«, wie sie in schweren Zeiten und unter wechselvollen Bedingungen durchgehalten werden konnten.
Der hier anzuzeigende Berichtsband beginnt mit dieser Begrüßungsrede des Metropoliten (13–17). In den vielen Beiträgen, die dann vorgelegt werden, wurde das Thema urchristlicher Christologie unter verschiedenen Perspektiven erörtert und ein buntes und reichhaltiges Bild biblischer Wissenschaft in Ost und West zusammengefügt. Mehrere Vorträge suchten durch historischen Rückblick darzutun, wie in den verschiedenen Kirchen Auslegung des Neuen Testaments verlaufen ist. Einerseits beschrieben Ge­lehrte aus dem westlichen Europa, wie sich historisch-kritische Interpretation herausgebildet hat. Andererseits antworteten Theologen aus Europas Osten und suchten zu erklären, wie neutestamentliche Exegese im Licht der Theologie der Kirchenväter vorgenommen wurde und wird. Dabei geht die Orthodoxie davon aus, dass die verschiedenen Schriften des Neuen Testaments eine einheitliche Botschaft ausrichteten, die dann in harmonischem Zusammenklang von den Kirchenvätern ausgelegt wurde. Hochachtung vor der von den Kirchenvätern ausgehenden und bis heute wirksamen Tradition leitet bis in die Gegenwart das Verständnis der Bibel und betont deren unvergleichlichen Rang für das Leben der Kirche.
Es konnte nicht ausbleiben, dass sich in diesen verschiedenen Beiträgen manche Wiederholungen und recht weit ausholende Ausführungen finden. Doch darüber hinaus werden manche Abhandlungen vorgelegt, die neue und eigenständige Überlegungen vortragen, die gründlichen Bedenkens wert sind. Einige Beispiele seien genannt:
E. Tsalampouni (Thessaloniki) handelt unter Berücksichtigung der bisherigen Forschung von der Darstellung Jesu im Lukasevangelium (153–180) und sucht in Fortführung der bis heute anregenden Studie von Hans Conzelmann »Die Mitte der Zeit« das bestimmende Thema lukanischer Theologie zu erheben: Jesus als die »Mitte der Zeit zu verkündigen« (180). Denn in ihm sind die Verheißungen der Schrift in Erfüllung gegangen.
R. Bieringer (Leuven) unterzieht den Vers Joh 14,28 – »denn der Vater ist größer als ich« – einer eingehenden Betrachtung (181–204). Dabei weist er auf, dass dieser Satz nicht eine Herabstufung Jesu beinhaltet, sondern vielmehr eine nachdrückliche Betonung seiner unvergleichlichen Autorität aufzeigen will.
In einer Studie zum Thema »Beyond Jesus the Jew: Old Visions meet modern Challenges« stellt K. Th. Zarras (Lamnia/Griechenland) Jesu Wirksamkeit in den weiten Kontext seiner jüdischen Umwelt hinein (205–233) und betont am Schluss: »When the Son of God extended his arms upon the xylon (the cross), he did so in order to show his will for the two people, the Synagogue and the Church, to be united under one God.« (232 f.)
T. Nicklas (Regensburg) legt eine umsichtig argumentierende Studie zur Theologie des Markusevangeliums vor und zeigt auf, dass der gekreuzigte Christus das Zentrum der Theologie des Evangelisten bildet, auf das alle Einzelabschnitte bezogen sind (349–372). »Jesus of Nazareth ist proven to be the Son of God precisely in being abandoned by God (as the suffering servant of God in the manner of Deutero-Isaiah, and perhaps even more so as the suffer­ing righteous one of Psalm 22).« (369)
Wie bei den jährlich stattfindenden Kongressen der SNTS üblich, wurden einerseits Einzelvorträge dargeboten, andererseits aber in verschiedenen Seminaren Fragen neutestamentlicher Christologie besprochen. Die Ergebnisse dieser Diskussionen werden am Ende des Bandes in kurzgehaltenen Referaten vorgetragen (405–424). Als Epilog folgen am Schluss drei Kurzreferate, die zukünftig gestellte Aufgaben gemeinsamer Arbeit skizzieren: Ch. Karakolis (Athen): »Hermeneutical Reflections on Modern Jesus Research. An Orthodox View« (427–434); T. Nicklas (Regensburg): »›Historical Jesus(ses)‹ and the Christ of Christian Belief. A Catholic Perspective« (435–437); und K.-W. Niebuhr (Jena): »Which Jesus are we proclaiming? Some Reflections from a Lutheran Perspective with Reference to Martin Kähler« (439 f.).
Die sorgfältig edierten Beiträge werden durch gründlich gearbeitete Register für die Leser hilfreich erschlossen. Als gelungenes Beispiel fruchtbarer Zusammenarbeit ost- und westeuropäischer Gelehrter regt der umfangreiche und gehaltvolle Band an, diesen förderlichen Gedankenaustausch fortzusetzen und mit dem Ziel zu pflegen, dass theologische Wissenschaft der Verkündigung der Kirche in aller Welt zu dienen hat – »in ecumenical openness and with mutual respect for the different exegetical traditions« (IX).