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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

670–672

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ansberry, Christopher B.

Titel/Untertitel:

Be Wise, My Son, and Make My Heart Glad. An Exploration of the Courtly Nature of the Book of Proverbs.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2010. XVIII, 240 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 422. Geb. EUR 119,95. ISBN 978-3-11-024790-9.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Die Studie von Christopher B. Ansberry ist eine überarbeitete Fassung einer im Jahr 2009 am Wheaton College angenommenen Dissertation. Betreut wurde sie von Daniel I. Block, der dem Werk ein Vorwort vorangestellt hat. Warum A. ein Zitat von Prov 27,11 als Haupttitel gewählt hat, erschloss sich der Rezensentin nicht. Der Untertitel nennt das Thema des Buches: Es geht um die Frage, wie weit sich die Entstehung des Sprüchebuches von einem höfischen Kontext her wahrscheinlich machen lässt. A. untersucht zu diesem Zweck das ganze Buch der Sprüche. Dass ihm das auf weniger als 200 Seiten gelingt, liegt auch an der Schriftgröße, die im Haupttext an der Grenze des gut Lesbaren liegt, bei den Anmerkungen mit 8 Punkt klar darunter.
Die Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert. Das erste bietet eine »Introduction«, in der A. zuerst auf das Wesen und die Funktion des Sprüchebuches in der modernen Forschung eingeht, dann in einem weiteren Abschnitt das Untersuchungsziel benennt und eine Methode zum Erreichen des Ziels umreißt: »The investigation seeks to explore the discourse setting of the book of Proverbs as well as the formal and thematic features of the individual collections. More specifically, the study attempts to highlight the fundamental features of the book’s discursive context, the relationship between the various compendia, the thematic development of the material, and the aristo­crat­ic elements within the collections to ascertain the degree to which the book of Proverbs may be considered a courtly piece.« (7)
Das zweite Kapitel widmet sich den Texten aus der Umwelt des Alten Testaments, die gemeinhin als »Weisheitstexte« bezeichnet und als solche oftmals als nahe Parallelen zur »Weisheitsliteratur« Israels und zum Sprüchebuch gesehen wurden. A. lässt sowohl die einschlägigen ägyptischen als auch syrische und mesopotamische Werke Revue passieren und fragt jeweils nach dem »Discourse setting«, dem Inhalt und der Weltsicht der Texte. Alle diese Texte weisen eine mehr oder weniger deutliche Beziehung zu höfischen Kreisen auf.
In den Kapiteln 3–6 widmet sich A. den biblischen Texten. Auch diese Texte, das ist die These des Buches, verweisen auf einen Königshof oder eine aristokratische Umgebung als ihren Redezusammenhang. A. geht zum Erweis dieser These alle Sammlungen der Reihe nach durch. Er unterscheidet dabei innerhalb der Sammlungen Prov 10–22,16 (von A. »Solomon 1« genannt, in der Literatur heißt der Abschnitt sonst Sammlung II) die Abschnitte Prov 10–15 von 16–22,16. Analog wird die von ihm »Solomon 2« genannte Sammlung V (Prov 25–29) unterteilt in 25–27 und 28–29. Diese Unterteilung wird aufgrund von Ungleichverteilungen von Spruchformen und bestimmten Stereotypen von manchen Exegeten vertreten, liegt jedoch sicher nicht auf einer Ebene mit der Unterscheidung der Sammlungen, die durch Überschriften abgegrenzt werden. In Prov 30 f. unterscheidet A. nur zwei statt der üblichen vier Sammlungen.
Bei der Bearbeitung der Sammlungen geht A. unterschiedlich vor. Fragt er für Sammlung I noch nach »Social Setting« und dem Sprecher von Prov 1–9, so wird der Bereich Prov 10–24,34 durch ein semantisches Raster betrachtet. A. greift hier diejenigen Sprüche heraus, die nach seiner Ansicht die anthropozentrische bzw. die theozentrische Dimension der jeweiligen Sammlung vertreten. Bei den Sprüchen, die die anthropozentrische Dimension präsentieren, differenziert A. nach solchen, die sich jeweils mit dem Königtum, der Gemeinschaft und der Familie befassen. Innerhalb dieses Abschnitts diskutiert A. nur selten kompositorische Zusammenhänge, die Auswahl der Sprüche, die er als Beleg für seine Darstellungen heranzieht, wird nicht begründet. Im Bereich von Prov 25–29 ist das anders, für Prov 25–27 geht A. sehr viel ausführlicher auf den Kontext der Einzelsprüche ein und betrachtet stärker kompositorische Einheiten, die er häufig von R. van Leeuwen übernimmt ( Context and Meaning in Proverbs 25–27), während die Kapitel Prov 28 f. dann recht knapp abgehandelt werden: Prov 25–27 widmet A. 24 Seiten, Prov 28–29 dagegen nur sechs Seiten. Die letzten beiden Kapitel erfahren wieder eine etwas ausführlichere Bearbeitung. A. stellt im Anschluss an die Beschreibung der beiden letzten Kapitel fest, dass hier eine Entwicklung zum Ab­schluss kommt, die in Kapitel 1 begann: »These pieces plot the development of the addressee; they chart a journey of character that moves from hearth (1:8–9:18) to throne (31:1–9) to noble home (31:10–31). The poems bring the quest for wisdom full circle. Whereas the book opens with a liminal, silent son, instructed in basic socio-moral values, it ends with a married, noble adult who has incorporated the moral vision of the book of Proverbs« (182).
Das Schlusskapitel resümiert die Ergebnisse und beschreibt, inwiefern das Sprüchebuch als höfische Literatur zu verstehen ist. A. ist sich darüber im Klaren, dass die These, das Sprüchebuch sei in elitären Kreisen entstanden, eigentlich nicht neu ist. Bereits Udo Skladny hatte das aufgrund einer Untersuchung des Vokabulars für einige Sammlungen postuliert, Karel van der Toorn hat sich für die These, dass das gesamte Alte Testament Produkt einer geistigen Elite sei, auf Prov 25,1 berufen. Allerdings hatten diese und ähnliche Studien nicht die Gesamtkomposition des Buches der Sprüche in den Blick genommen. A. versucht ja, das ganze Sprüchebuch als eine Gesamtkomposition zu verstehen, die von der ersten bis zur letzten Zeile weitgehend folgerichtig auf ein einziges, nie aus den Augen verlorenes Ziel zustrebt. Für die Gegenüberstellung von Prov 1–9 und Prov 30–31 scheint das durchaus einleuchtend. Allein der Umstand, dass diese Textbereiche als ein Rahmen um das Korpus der Sentenzensammlungen gelegt sind, legt den Schluss nahe, dass wir hier den Textbereich vor uns haben, der das teilweise doch etwas disparat anmutende Material dazwischen einen soll. Allerdings umfasst dieser »Rahmen« ja nur elf der 31 Kapitel des Buches. Ob die These haltbar ist oder ob die Rahmenkapitel nur eine unzureichende Klammer um die Sentenzen bilden, das entscheidet sich in Prov 10–29. Hier scheint der Rezensentin die Argumentation A.s nicht ausgewogen und auch nicht gleichermaßen überzeugend. Besonders im Bereich Prov 10–24 ist die Behandlung der Sprüche von Eklektizismus ge­prägt. Der Kontext wird, anders als A. sich das anfangs vornimmt, zumeist nicht berück­sichtigt, obwohl auch für Prov 10–24 und Prov 28–29 inzwischen Arbeiten vorliegen, die Kompositionen in diesen Bereichen festgestellt haben und die A. auch in seiner Bibliographie aufführt. In der Auseinandersetzung über die exegetische Diskussion kommen diese Arbeiten dann aber nicht vor, jedenfalls nicht als erkennbare Ansichten zu den Texten. Die Diskussion mit anderen exegetischen Arbeiten führt A. fast ausschließlich in den Fußnoten, was den Text sehr entlastet und die Lesbarkeit fördert. Andererseits aber kommt diese Diskussion in den Anmerkungen dann doch etwas zu kurz, zumal wenn dort häufig nur Werke zitiert werden, ohne dass A. zu den Inhalten Stellung nimmt. So entsteht der Eindruck, dass A. die Diskussion umgeht und seine These durch eine sehr spezifische Auswahl der zitierten Primärtexte plausibel zu machen versucht. Besonders in der Behandlung der Texte Prov 10–24 erscheint der Rezensentin die Auseinandersetzung mit den Sprüchen auch etwas zu kurz zu kommen: Wenn A. Prov 19,1 behandelt, so verliert er kein Wort darüber, dass dieser Spruch eine doch sehr unkonventionelle Art von Logik präsentiert. Der Anspruch, die Sprüche aus ihrer diskursiven Situation heraus zu interpretieren, wird darüber hinaus durchkreuzt durch den Umstand, dass A. die soziale Wirklichkeit der Texte ganz selbstverständlich vorauszusetzen scheint. Sie müsste aber sorgfältig rekonstruiert und reflektiert werden. Was bedeutet denn »courtly« oder »aristocratic« im 1. Jt. v. Chr.? Und was ist die »guild of literati« (72)? Ohne Rückgriff auf Informationen jenseits der Texte selbst dürften soziologische Rekonstruktionen sehr schwer plausibel zu machen sein, A. spart jede Darlegung zu diesen Fragen aus.
Das Buch ist gut zu lesen, stellt ein interessantes Thema dar und bietet immer wieder Details, die die Lektüre lohnend machen. Das selbst gesteckte Ziel allerdings hat A. nach Ansicht der Rezensentin nicht erreicht. Allerdings muss man sagen, dass A. sich auch eine un­geheuer umfangreiche Aufgabe vorgenommen hat, die im begrenzten Rahmen eines Dissertationsprojektes vielleicht von vornherein nicht zu lösen gewesen ist.