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Ausgabe:

Juni/2013

Spalte:

660–661

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dusˇek, Jan

Titel/Untertitel:

Aramaic and Hebrew Inscriptions from Mt. Gerizim and Samaria between Antiochus III and Antiochus IV Epiphanes.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2012. XVIII, 200 S. = Culture and History of the Ancient Near East, 54. Geb. EUR 99,00. ISBN 978-90-04-18385-8.

Rezensent:

Harald Samuel

Nach seiner exzellenten Behandlung der Wadi Daliyeh-Papyri legt Jan Dušek mit den »Aramaic and Hebrew Inscriptions from Mt. Gerizim and Samaria between Antiochus III and Antiochus IV Epiphanes« sein zweites Buch vor. Welche thematische Fülle den Leser auf genau 200 Seiten erwartet, lässt der etwas sperrige Titel nicht gleich auf den ersten Blick erkennen: In drei Kapiteln untersucht D. die formalen Aspekte der Inschriften vom Garizim (3–63), die Identität der dortigen JHWH-Verehrer (65–118) sowie die Geschichte der südlichen Levante zwischen Antiochos III. und Antiochos IV. (119–151). Nach einer Zusammenfassung (153–157) runden zwei Appendizes mit paläographischem Vergleichsmaterial, eine Bibliographie sowie Register den Band ab.
Mit den Inschriften vom Garizim widmet sich D. einem Corpus, das aufgrund des Fundortes bereits vor der editio princeps durch Y. Magen u. a. 2004 einige Aufmerksamkeit erregt hat, bei Weitem aber noch nicht hinreichend in seiner Bedeutung für die alttestamentliche Wissenschaft gewürdigt worden ist. Da aufgrund der Zerstörung des ursprünglichen Tempels bis auf eine Ausnahme keine der Inschriften in situ gefunden wurde, kommt der paläographischen Analyse für die historische Einordnung besonderes Gewicht zu. D. unterscheidet wie auch die Erstbearbeiter grundlegend drei Schrifttypen: aramäische Monumentalschrift, aramäische Kursive und paläohebräische Schrift; die beiden letzteren finden sich dazu gelegentlich vermischt. Dabei weicht er in der Terminologie mit gutem Grund von seinen Vorgängern ab: Vor allem »lapidary« und »Proto-Jewish script« seien als Bezeichnungen ungeeignet, da sie sämtlich in Samaria, nicht in Judäa, Benutzung fanden und per definitionem als Lapidarinschriften zu gelten haben (5). Durchaus diskutabel wäre m. E. jedoch die Alternative »Neo-Hebrew« für »Paleo-Hebrew« ge­wesen. Es folgt eine gründliche paläographische Untersuchung, in der D., da das zur Verfügung stehende Vergleichsmaterial noch immer dünn gesät ist, teils weit entlegene Inschriften heranziehen muss. Das Ergebnis ist, eine ältere These J. Navehs bestätigend, nichtsdestotrotz überzeugend: Die Inschriften scheinen sämtlich erst aus der Zeit der seleukidischen Herrschaft zu stammen, wofür D. in einer Seitenbemerkung auch einen historisch plausiblen Ort benennen kann: die archäologisch gesicherte Umbauphase des Tempels unter Antiochos III. (59f.).
Unter dem Stichwort »Identität« bietet D. im Folgenden einen knappen historischen Abriss zur Provinz Samaria bzw. der Samaritis in persischer und hellenistischer Zeit mit einem Schwerpunkt auf der Verwaltungsgeographie. Demnach beginne mit der makkabäischen Erhebung und der Verselbständigung Judäas auch der Niedergang Samarias. Hauptthema des zweiten Kapitels ist allerdings die religiöse Identität. Ausgangspunkt sind die oft behandelten Inschriften von Delos. Mit E. Bickerman kommt D. zu dem Schluss, die veränderte Titulierung des Heiligtums auf dem Garizim in der jüngeren Inschrift könne einen veränderten fiskalischen Status, d. h. die Aufhebung der Steuerfreiheit anzeigen (79). Von entscheidender Bedeutung für Fragen der Identität ist aber die Selbstbezeichnung der Garizim-Gemeinschaft als »Israeliten«. Wäh ­rend D., insgesamt zu Recht die vormakkabäische Einheit von Judäa und Samaria betonend, ansonsten über weite Strecken neutral von »Samarian Yahwists« im Gegenüber zu »Judaean Yahwists« spricht, überträgt er hier etwas vorschnell auch die Bezeichnung »Israeliten« auf die Jerusalemer Tempelgemeinschaft. Dieser Sprachgebrauch setzt jedoch die biblische Gedankenwelt voraus, die sich in den außerbiblischen Zeugnissen der Zeit (bisher) nicht spiegelt. Die Unterscheidung von »biblischem« und »nicht-biblischem Ju­ dentum« (R. G. Kratz) wäre hier vielleicht weiterführend. Die Gleichsetzung von offizieller Religion an den beiden Tempeln und biblischer Religion führt denn auch zu den üblichen Inkonsistenzen bei dem Versuch, die Entstehung von Judäischem und Samaritanischem Pentateuch (man denke auch an die Funde »proto-samaritanischer« Texte im judäischen Qumran!) zu erklären. Es ist m. E. wenig überzeugend, dass die samarischen JHWH-Anhänger einen als Kompromiss gedachten, bloß »akzeptablen« (eigentlich judä­-ischen) Pentateuch als grundlegende Urkunde ihrer Religion hätten übernehmen sollen (90 f.). So folgt D. am Ende mit seiner Rede von einer »Exclusion of the Samarian Yahwists« aus einem »common Israel« (115 f.) letztlich wieder der einseitigen Perspektive der »Ju­daean orthodoxy«, die er zuvor gründlich zu relativieren ge­sucht hatte.
Das dritte Kapitel schließlich beruht vor allem auf einer minutiösen Analyse von Josephus’ Erzählung über den Zeitraum von der Eroberung Palästinas durch Antiochos III. bis zum Herrschaftsantritt Antiochos IV. in AJ 12,129–236. D. plädiert für die Historizität des Heiratsabkommens zwischen Antiochos III. und Ptolemaios V., wonach Antiochos’ Tochter Kleopatra als Morgengabe die Steuern aus Palästina erhalte, welches gleichwohl unter seleukidischer Oberherrschaft verbleibe. Auch wenn D. dieses Szenario unter Heranziehung des numismatischen Befundes an sich plausibel ma­chen kann, scheint mir sein Vertrauen in die Detailgenauigkeit bei Josephus mitunter etwas zu groß zu sein, nicht zuletzt in D.s Exegese der Tobiadengeschichte. Von Nachteil ist überdies, dass D. die 2009 publizierten Bruchstücke der Heliodor-Stele aus Maresha, die einen besseren Einblick in die seleukidische Verwaltung Palästinas ermöglichen, nicht mehr in seine Diskussion einbeziehen konnte.
Im Ergebnis zeigen sich die ersten Jahrzehnte des 2. Jh.s als eine Art »Goldenes Zeitalter« für die Region um Samaria. Mit Antiochos IV. und der makkabäischen Revolte hingegen änderte sich die Si­-tuation nachhaltig und führte zu einem »Judaized Palestine« (157). D. bietet mit seiner Arbeit weit mehr als eine »modest contribution« (XIII) zur Geschichte Samarias. Sein Buch ist ein an der Schnitt­stelle zahlreicher Spezialwissenschaften (Paläographie, Philologie, Nu­mis­matik etc.) angesiedeltes, an allen verfügbaren Quellen orientiertes Grundlagenwerk; dazu nimmt der deutlich in der frankophonen Welt verankerte Autor auch englische, deutsche und he­bräische Literatur zur Kenntnis. Sein umsichtiges und anregendes Buch sei daher wärmstens empfohlen.