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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

629–631

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Stan, Liviu

Titel/Untertitel:

Die Laien in der Kirche. Eine historisch-kirchenrechtliche Studie zur Beteiligung der Laien an der Ausübung der Kirchengewalt. Aus d. Rumänischen übers. v. H. Pitters. Hrsg. v. S. Tobler.

Verlag:

Würzburg: Ergon-Verlag 2011. 633 S. = Orthodoxie, Orient und Europa, 4. Geb. EUR 85,00. ISBN 978-3-89913-873-3.

Rezensent:

Thomas Schüller

Die Neuedition der 1939 erstmalig erschienenen Doktorarbeit des berühmten rumänisch-orthodoxen Kanonisten Liviu Stan in deutscher Ausgabe ist ein wertvoller Beitrag zum besseren Verständnis der orthodoxen synodalen Praxis und greift ein Thema auf, das alle christlichen Kirchen beschäftigen muss: Wie können Laien an der Ausübung der Kirchengewalt in der Kirche beteiligt werden? Wer diese Frage stellt, wird vor allem in der römisch-katholischen Kirche häufig mit der Gegenfrage konfrontiert werden, ob man etwa beabsichtige, die Staatsform der Demokratie in ihrer heutigen Ausprägung, mit all ihren egalisierenden Tendenzen, in die Kirche hineinzutragen, die doch eine societas hierarchica sei, eine Ge­meinschaft von Gläubigen ganz eigener Art. Liest man die Einleitung von S., so ist man erstaunt, wie aktuell seine Analyse der kritischen Stimmen innerhalb seiner eigenen Kirche ist, die den zeitgenössischen Kontext für seine Doktorarbeit darstellt. So sieht auch er sich bereits mit dem Vorwurf konfrontiert, wer Laien an der Ausübung der Kirchengewalt beteiligen wolle, ignoriere, dass Laien »zu gehorchen und nur zu gehorchen« (54) hätten.
Weiterhin setzt er sich mit dem Vorwurf der »Verweltlichung der Kirche« (55) auseinander – und sofort denkt der katholische Leser an den »Entweltlichungsaufruf« von Benedikt XVI. bei seiner Rede in Freiburg. Weitere Kritikpunkte, die S. in seiner Einführung er­wähnt, sind die der Politisierung des Kirchenvolkes und der Anbiederung an den Zeitgeist, der demokratisch durchdrungen Partizipation fordere, wo doch nur Befehl und Gehorsam das alleinige Prinzip sein können. S.s Bemühen ist es, ausgehend von einem korrekten Verständnis von Kirche und der sich daraus ergebenden Lehre von der Leitung der Kirche (60) die Rolle der Laien bei Leitungsentscheidungen im Lichte der orthodoxen Tradition darzustellen. Dabei grenzt er die orthodoxe Lehrposition von zwei, aus seiner Sicht fehlgegangenen, Entwicklungen in anderen Kirchen ab. Die römisch-katholische Kirche sei gleichsam unter das Joch eines ab­solutistisch regierenden Papstes geraten, der »aus dieser Kirche in gewissem Ausmaß eine Sklavin des Papstes, eine passive Herde, die der Papst als Vikar Christi und als Nachfolger Petri mit unbegrenzter Vollmacht leitet« (61), gemacht habe. Die protestantische Kirche sei demgegenüber in das andere Extrem »einer unbegrenzten Freiheit und eines übertriebenen Individualismus« (64) gefallen. Sie habe, fehlgeleitet von einem falschen Kirchenverständnis, »eine demokratische Organisationsform« (65) etabliert, bei der es sogar vorkommen könne, dass das Oberhaupt des Staates zugleich das Oberhaupt der Kirche sei. Aus dieser Analyse zieht S. folgenden Schluss: »Es ist also klar, dass diese beiden Kirchen je­weils ein Ex­trem darstellen: die eine ist absolutistisch, die andere ist an Anarchie angrenzend demokratisch. Die Bedeutung und die allgemeine Stellung der Laien sind in beiden nicht korrekt definiert. In der abendländischen Kirche bleiben sie passiv, ihre Be­-deutung ist auf blinden Gehorsam reduziert, während in der protestantischen Kirche ihre Bedeutung zu groß und ihre Rolle so übertrieben ist, dass die Existenz einer durch göttliches Gesetz be­stimmten Hierarchie bestritten wird.« (65) S.s Anliegen ist es nun, aufzuzeigen, dass die orthodoxe Kirche die reine Lehre von der Kirche von jeher bewahrt habe, die eben darin bestehe, dass die Leitung der Kirche »hierarchisch-synodal bzw. episkopal-synodal« (72) wahrgenommen werde.
In breiten rechtsgeschichtlichen Angängen untersucht S. die Aspekte Laien und sakramentale Gewalt (83–96), die Teilnahme der Laien an der Ausübung der Lehrgewalt (97–130), die Teilnahme der Laien an der Ausübung der Leitungsgewalt (131–235) und in dem umfänglichsten Kapitel die Teilnahme der Laien an der Wahl des Klerus (235–608), wobei der Schwerpunkt auf der Beteiligung der Laien an der Bischofswahl liegt. Hilfreich ist die von Paul Brusa­nowski vorgenommene historische Einordnung dieser Doktorarbeit (19–52), die belegt, dass S. auch die konsequent synodale Ausrichtung der siebenbürgischen Kirche im Kontext der Streitigkeiten innerhalb der rumänisch-orthodoxen Kirche in der Zeit nach dem I. Weltkrieg verteidigen wollte, wobei er vor allem den Metropoliten Andrei Şaguna (19. Jh.) als Gewährsmann zitiert (194–203), dessen kanonische Grundauffassungen für S. »als patristisch« (199) zu bezeichnen sind und der nach seiner Auffassung der Synodalität als Grundprinzip des orthodoxen Kircheseins »die breiteste klassische Interpretation verliehen« habe, »ohne die dogmatischen und kanonischen Grenzen der Kirche im Geringsten zu übertreten« (199).
Allerdings zeigt gerade die Darstellung der Lehre von Metropolit Şaguna, wie doppelbödig aus kirchenrechtlicher Perspektive dieses episkopal-synodale Prinzip ist. Einerseits solle die Beteiligung der Laien in sog. gemischten Synoden zum einen ihre in der Taufwürde gründende geistliche Begabung zum Ausdruck bringen und zum anderen hierdurch einen hierarchischen Absolutismus der Bischöfe in die Schranken weisen, andererseits besäßen die Be­-s­chlüsse dieser Synoden aber nur »konsultativen Charakter« (200), so dass deren Entscheidungen bloß »Meinungen« (200) seien. Stelle sich allerdings heraus, dass diese Entscheidungen mit der Lehre der Kirche und den kanonischen Normen übereinstimmen und nützlich seien, würde aus dem konsultativen ein obligatorischer Charakter werden und die Beschlüsse seien »nicht mehr konsultativ, sondern deliberativ« (200). Sofort ergibt sich dabei die berechtigte Frage, wem die Entscheidungskompetenz, die »Kompetenz-Kompetenz« zu­kommt, verbindlich darüber zu befinden, was denn nun mit der Lehre und den kanonischen Normen übereinstimmt und was nicht. Diese Kompetenz kann, ohne dass S. dies ausführt, nur den Bischöfen zukommen und somit hängt letzlich wiederum allein von ihnen ab, wie sie im konkreten Einzelfall mit Entscheidungen der gemischten Synoden umgehen.
Vorbildlich und geradezu akribisch ist das umfängliche Kapitel zur Teilnahme der Laien an der Wahl des Klerus. Hier analysiert S. die Jahrhunderte seit Beginn der frühen Kirche, um aufzuzeigen, dass das urkirchliche Prinzip, dass die Laien das Recht zum Vorschlag und zur Ablehnung bei der Wahl des Klerus haben, umfänglich in der Orthodoxie gewahrt wurde, während in der römisch-katho­lischen Kirche diese lange Zeit gemeinsamer Praxis aufgrund des monarchischen Papsttums eingestellt worden sei und in der pro­-testantischen Kirche die Wahlen nach dem »Bild einer politischen Organisation« (238) durchgeführt würden. Leider bündelt S. am Ende dieses Kapitels nicht mehr systematisierend seine Beobachtungen zusammen. Das Buch schließt mit einem Abkürzungsverzeichnis (609) und einem Literaturverzeichnis (611–633). Den Übersetzern ist für ihre sprachlich verständliche Übersetzung zu danken, die nur ganz wenige sprachliche Fehler aufzeigt.
Für jeden Theologen und Kirchenrechtler, der sich mit der zu Beginn aufgezeigten Grundfrage beschäftigen will, liegt nun mit dieser Übersetzung eines bedeutenden Grundlagenwerkes orthodoxer Kanonistik eine wahre Fundgrube vor, aus der sich Inspiration und auch historisch valide Rückversicherung für zukunftsweisende Antworten in den aktuellen Diskussionen um mehr Synodalität und Beteiligung von Laien an Leitungsentscheidungen ab­leiten lassen. Ein Buch also, das mit Nachdruck zur Lektüre empfohlen werden kann.