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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

626–629

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Olk, Edith

Titel/Untertitel:

Die Barmherzigkeit Gottes als zentrale Quelle des christlichen Lebens. Eine theologische Würdigung der Lehre von Papst Johannes Paul II.

Verlag:

St. Ottilien: EOS Verlag 2011. 472 S. = Dissertationen, 93. Kart. EUR 34,95. ISBN 978-3-8306-7476-4.

Rezensent:

Ulli Roth

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Sauer, Katharina: Dives in misericordia. Barmherzigkeit Gottes, ein Schlüsselbegriff in der Theologie und im Leben Papst Johannes Pauls II. Berlin: Logos Verlag 2012. 289 S. Kart. EUR 39,50. ISBN 978-3-8325-3125-6.


Wenn unmittelbar nach der Seligsprechung Papst Johannes Pauls II. am Barmherzigkeitssonntag, dem ersten Sonntag nach Ostern, im Jahr 2011 zwei Arbeiten das Thema der Barmherzigkeit als Leitmotiv seines Pontifikats in Erinnerung bringen, darf das als Glücksfall betrachtet werden. Zu schnell haben einige brisante Initiativen Benedikts XVI. das große und in vielen Jahrzehnten gereifte Grundanliegen seines Vorgängers in der öffentlichen Diskussion überlagert und in den Hintergrund treten lassen. Dabei kann der Blick auf die Barmherzigkeit Gottes nicht nur helfen, das Pontifikat des Jahrhundertpapstes Johannes Paul II. und seine Theologie klarer zu verstehen. Auch die Herausforderungen und Aufgaben, vor welche die christlichen Kirchen im 3. Jt. gestellt sind, erscheinen aus dieser Perspektive in einem ruhigeren und hoffnungsvolleren Licht, ist doch die Barmherzigkeit Gottes nur die andere Seite jenes mutigen Aufrufs, mit dem der Papst in das 3. Jt. führen wollte: »Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!« Auf dieses Grundanliegen Johannes Pauls II. wieder aufmerksam zu machen und es als Schlüssel zum Verständnis seines Wirkens begreifen zu lernen, ist ein wichtiger Beitrag der beiden Arbeiten von E. Olk und K. Sauer.
Sr. Edith Olk gehört der Gemeinschaft des neuen Weges vom heiligen Franziskus an, einer neuen geistlichen Gemeinschaft im Bis­tum Münster. Sie promovierte mit dieser Arbeit am Päpstlichen Institut für Spiritualität der Päpstlichen Theologischen Fakultät Teresianum in Rom, einer kirchlichen Hochschule der Unbeschuhten Karmeliten. Ihre Dissertation entwickelt das Thema absolut umfassend und gründlich. Vor allem besticht die Anlage der Arbeit. Sie fasst die verschiedenen Aussagen des Papstes zur Barmherzigkeit zu einer gesamten systematischen Theologie zu­sam­men, von der Gotteslehre, Christologie, theologischen Anthropologie, Ekklesiologie bis hin zu Ausblicken in die Mariologie und die ökumenische Theologie. Das Ganze schließt mit umfang­reichen Schlussfolgerungen für die Gestaltung eines christlichen Lebens, das sich der Dynamik der göttlichen Barmherzigkeit öffnet, also mit einer Art Moraltheologie und Theologie der Spiritualität in einem, die aus den päpstlichen Aussagen zusammengestellt werden. Auch die Relevanz für den Dialog der Religionen und für die Begegnung mit Atheisten wird beleuchtet. Barmherzigkeit erweist sich somit nicht nur als einer von vielen wichtigen Begriffen für die Theologie Johannes Pauls II., sondern als das Motto seiner Gesamtvision. Das vermag Olk durch eine immense Zahl von Zitaten und Quellenbelegen aus fast allen Schriften des Papstes deutlich zu machen. Dieses Material hat Olk inzwischen als separate Textsammlung herausgegeben (Johannes Paul II.: Barmherzigkeit Gottes – Quelle der Hoffnung, ausgewählt u. eingeleitet v. E. Olk, Frei burg i. Br. 2011). Zugleich rezipiert sie – durchaus kritisch – die zahlreichen bisherigen internationalen Arbeiten zu ihrem Thema, hierunter eine Vielzahl schwer zugänglicher italienisch verfasster Dissertationen. Indem sie auch das theologische Profil des Papstes während seiner Zeit als Professor und dann als Erzbischof von Krakau untersucht und es in einen klaren Zusammenhang mit dem II. Va­tikanischen Konzil bringt, ergibt sich die Schlussfolgerung, die Barmherzigkeit Gottes sei der Schlüssel zum Verständnis dieses Pontifikats (136), von allein. Die sehr bedeutende Rolle der modernen polnischen Mystikerin Sr. Maria Faustyna Kowalska für sein Anliegen, auf die der Papst selbst mehrfach hinwies, nicht zuletzt bei deren Heiligsprechung im »Jahr der Barmherzigkeit« 2000, er­hält so das ihr zugehörige Gewicht. So sehr den Papst diese Gestalt beeindruckt hat, sie ist doch nur eine der vielen Quellen, aus denen sich sein Anliegen speist. Auch für diese Mystikerin und ihre Privatoffenbarungen gilt, was Olk als Grundzug für den Umgang des Papstes mit wichtigen Einflüssen überhaupt feststellt (423): »Die Lehre von Johannes Paul II. zeichnet sich durch eine ›kreative Treue‹ gegenüber der Tradition aus.« Bei allem Respekt vor dem Jahrhun dertpapst und seinem Wirken und der Bewunderung für sein Lebensthema behält Olk doch eine sachliche Distanz und stellt zum Beispiel in ihrer Zusammenfassung fest, dass »seine ausführliche und systematische Lehre über das Glaubensgeheimnis der Barmherzigkeit Gottes im Vergleich zur Lehrverkündigung seiner Vorgänger eine Neuheit« (223) darstelle, dass er seine Aussagen aber nicht aus der neueren Exegese ableite, auch wenn sie in vielem damit übereinstimmen. Entsprechend wirft sie am Ende ihrer Arbeit eine Frage auf, die für das Verhältnis von universitärer und lehramtlicher Theologie zentral und durch die Jesus-Bücher von Papst Benedikt XVI. nochmals besonders aktuell und umstritten ist (430): »Wie lässt sich der besondere bibeltheologische Interpretationsansatz [Johannes Pauls II.] durch die wissenschaftliche Exe­-gese begründen?«
Katharina Sauer ist langjährige Mitarbeiterin im Bereich Bildung und Kultur des Bistums Limburg, hier vor allem im Bereich Religionspädagogik, und wurde mit ihrer Arbeit an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar promoviert. Selbst ohne Vergleich mit einer so umfassenden und beeindruckenden Arbeit wie der von Olk fällt auf, dass Sauers Arbeit unzusammenhängend und oberflächlich bleibt. Dies zeigen schon die Gliederung und die Arbeitsweise. Zunächst referiert Sauer aus sieben der 14 Enzykliken sowie mehreren Apostolischen Schreiben des Papstes die wesentlichen Gedanken zum Thema Barmherzigkeit, indem sie an diesen Texten entlang relevante Passagen zusammenfasst. Dann folgt eine lange Überblicksdarstellung zur Soteriologie H. U. von Balthasars, die nicht mehr mit dem eigentlichen Hauptthema zusammengeführt wird. Erst danach folgt ein eher biographischer Teil über »Barmherzigkeit als Lebenskonzept« des Papstes sowie die Rolle von Sr. Maria Faustyna Kowalska für seine Theologie. In diesem Abschnitt findet sich auch die einzige längere theologiegeschichtliche, genauer gesagt, frömmigkeitsgeschichtliche Reflexion zur Herz-Jesu-Verehrung, allerdings in Form eines Referates einiger weniger zusammenfassender Artikel. Dass Sauer damit dahin ge­langt, von den angeblich »in einem eher pastoralen Ton« gehaltenen Enzykliken des Papstes zu behaupten, dass »so Themen nur aufgezeigt und nicht in eine Vertiefung gebracht werden können« (117), liegt wohl daran, dass ihre eigene Arbeit weder die exege­tischen noch die dogmen- oder theologiegeschichtlichen Hin­ tergründe nachzuzeichnen versucht und dadurch die tatsächlichen Gewichtungen und Akzentuierungen des Papstes nicht wahrzunehmen vermag. Olk kommt zu dem begründeten Fazit, das dem von Sauer entgegensteht, und hält fest, »dass der Papst sich bei seinen zahlreichen, einzelnen Aussagen über die Barmherzigkeit Gottes – unausgesprochen – von einem in sich schlüssig aufgebauten, theologischen Konzept leiten lässt, […] das im weiteren Sinne als ›Theologie der Barmherzigkeit‹ bezeichnet werden kann« (418). Ein eigentlicher Bericht über den Forschungsstand fehlt in der Arbeit von Sauer. Das Literaturverzeichnis nennt auch nur ausgewählte deutschsprachige Titel, obgleich es eine Vielzahl einschlägiger Veröffentlichungen gibt, gerade auch zu den besprochenen päpstlichen Rundschreiben. Eine eigentliche Auseinan­der­setzung mit der Sekundärliteratur zu den Papstenzykliken findet nicht statt. Der wissenschaftliche Gewinn dieser – zudem durch ein miserables Layout sehr leserunfreundlichen – Doktorarbeit ist für den Rezensenten schwer zu erkennen.
Sauer und noch deutlicher Olk stellen beide heraus, wie ernst der Papst die andere Seite der Barmherzigkeit nahm, nämlich das Übel in der Welt und die Sünde der Menschen. Die Erfahrungen der Selbstzerstörung des Menschen im 20. Jh. durch Krieg, Totalitarismus, Kapitalismus und ethischen Verfall und das Verstricktsein der Kirche in diese Fangarme des Bösen bilden den Ausgangshorizont, von dem her der Papst sich der Barmherzigkeit Gottes zuwendet, und zwar schon während seiner Zeit als Fabrikarbeiter und Seminarist im Untergrundseminar während der deutschen Besatzung. Die zahlreichen Schuldeingeständnisse der Kirche im Laufe seines Pontifikats, gut 100 an der Zahl, und die Weihe der Welt an die Barmherzigkeit Gottes im Jahr 2002 zeigen, dass alle und gerade auch die Kirche der Barmherzigkeit bedürfen, was Olk als »neue Akzente in der Verkündigung der vergebenden Barmherzigkeit Gottes« (322) herausarbeiten kann. Insofern eröffnet Olk mit ihrer Arbeit nicht nur einen Zugang zu Johannes Paul II., sondern steht damit auch für ein geistliches Anliegen ein, an das der Leser ihrer Arbeit gerne erinnert und worin er durch das Zeugnis Johannes Pauls II. neu ermutigt wird.