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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

623–625

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

De Mey, Peter, Pierce, Andrew, u. Oliver Schuegraf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Mission und Einheit – Gemeinsames Zeugnis getrennter Kirchen?Tagungsbericht der 16. Wissenschaftlichen Konsultation der Societas Oecumenica. Mission and Unity: Common Witness of Separated Churches? Proceedings of the 16th Academic Consultation of the Societas Oecumenica.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 361 S. = Beihefte zur Ökumenischen Rundschau, 91. Kart. EUR 40,00. ISBN 978-3-374-03023-1.

Rezensent:

Simone Sinn

Die Verhältnisbestimmung von Mission und Einheit gehört zu den klassischen Themen der ökumenischen Bewegung. Aus Anlass der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum der Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 griff die Societas Oecumenica im Jahr 2010 bei ihrer 16. Wissenschaftlichen Konsultation in Belgrad dieses Thema auf. In gewisser Hinsicht reiht sich der Tagungsband damit nahtlos in die Liste der Sammelbände ein, die im Umfeld des Jubiläums veröffentlicht wurden und ein reflektiertes Verständnis von Mission in ökumenischer Verantwortung präsentieren. In an­derer Hinsicht jedoch tanzt der Sammelband aus der Reihe. Durch den spezifischen Fokus auf die Erinnerungsarbeit auf dem Balkan gewinnt er eine ganz eigene Kontur. In bester ökumenischer Tradition wird der Tagungsort selbst als Kontext aufmerksam wahrgenommen. Dabei wird Mission und Einheit im Horizont der Frage nach dem Umgang mit dem schwierigen Erinnern verortet und besonders ein Augenmerk auf orthodoxe Perspektiven zu Mission und Einheit gelegt.
Den Auftakt macht der Eröffnungsvortrag von Peter De Mey. Er diskutiert die Verhältnisbestimmung von Mission und Einheit anhand zentraler römisch-katholischer, or­thodoxer und ökumenischer Texte und zeigt gemeinsame Einsichten auf (21–47). Danach sind die folgenden 20 Beiträge des Sammelbandes im Wesentlichen thematisch gegliedert, in jedem Ab­schnitt kommen Autoren aus mindestens drei verschiedenen Konfessionen zu Wort. Sechs Beiträge sind auf Deutsch verfasst, die übrigen in Englisch.
Zur Frage des Erinnerns legt Miroslav Volf unter der Überschrift »Remembering Well in a Violent World« programmatisch seine Einsichten zum Thema dar (51–60). Thomas Bremer situiert das Verhalten der Kirchen auf dem Balkan während des Krieges in den 1990er Jahren in ihrem zeitgeschichtlichen Zusammenhang und zeigt die neuen Möglichkeiten für die ökumenischen und gesellschaftlichen Beziehungen der Kirchen heute auf (61–73). Der ser­-bische Theologe Radovan Bigovic´ entfaltet aus orthodoxer Perspek­tive Überlegungen zum Erinnern. Nachdem er zunächst die Gefahr einer Kultur des Vergessens in Europa diagnostiziert, plädiert er dafür, die Liturgie als einen hervorgehobenen Ort des Er­innerns wahrzunehmen und legt differenzierte Überlegungen zum Umgang mit Tradition vor. Dabei spricht er zugleich kritisch und konstruktiv die komplexen Verhältnisse im orthodoxen Selbstverständnis und auf dem Balkan an (75–104).
Biblisch-theologische Reflexionen sind in den Beiträgen von Teresa Francesca Rossi, Walter Klaiber und Ioan Sauca im Fokus der Aufmerksamkeit. Rossi plädiert für eine Koinonia-Ekklesiologie als Horizont, in der sowohl Mission als auch Einheit ihre sachgemäße Verortung finden (163–191). Klaiber mahnt ein vertieftes Nachdenken über das Ziel von Mission an und legt dazu drei Grundmodelle aus dem Neuen Testament dar (193–205). In seinem Schlussvortrag vertritt der rumänisch-orthodoxe Theologe Sauca mitVerve die Überzeugung, dass sowohl das ökumenische Streben nach Einheit als auch das Zeugnis in der Welt nur aus einer echten Spiritualität heraus zu ihrem Ziel kommen können. Echte Spiritualität be­stimmt Sauca als ein Leben in Christus, das erfüllt ist vom Heiligen Geist und sich in einer kenotischen Haltung gegenüber anderen vollzieht (209–219).
Das Motiv der Kenosis ist in den Beiträgen von Ulrike Link-Wie­czorek (225–229) und Bert Groen (231–245) ebenfalls von Bedeutung. Damit wird ein vor allem in der Missionswissenschaft reflektiertes Motiv in der ekklesiologischen Debatte zur Geltung ge­bracht und dabei deutlich gemacht, dass Versöhnungsprozesse und Bildungs­prozesse mühe- und verheißungsvolle Arbeit mit sich bringen. Das Thema Spiritualität wird nicht nur von Sauca aus orthodoxer Sicht, sondern auch von Veli-Matti Kärkkäinen aus pente­kostaler Perspektive in den Mittelpunkt gestellt. Mit dem Begriff »primal spirituality« benennt Kärkkäinen die zentrale Rolle des affektiven Erfasst-Werdens und mit dem Ausdruck »materia­lity of salvation« hebt er zugleich hervor, wie wichtig leibliche Erfahrungen von Heilung und Ganzwerden sind (117–129).
Während in dem Sammelband mehrfach auf die bekannte These verwiesen wird, dass das missionarische Engagement mit einer gewissen Notwendigkeit zu einem Streben nach Einheit wird, da gerade das gemeinsame Zeugnis höchste Überzeugungskraft in sich trage, weist Clare Amos darauf hin, dass die missionarische Präsenz im je konkreten Kontext zugleich starke Differenzen zeitigt. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen über »Mission as a challenge to unity?« sind die extrem unterschiedlichen Bewertungen in der Anglican Communion im Blick auf das Thema Sexualität (149– 162). Mit Verweis auf Jonathan Sacks’ The Dignity of Difference und auf Apg 2 hebt Amos hervor, dass die Gabe des Geistes nicht dazu führt, dass Menschen identisch werden, sondern dass sie sich trotz Differenzen gegenseitig verstehen können. An­derssein und Differenz sind auch der Fluchtpunkt des Beitrags von Tim Noble (131–146). Das Verständnis von Mission als prophetischer Dialog wird schließlich sowohl von Clare Amos als auch von dem russisch-orthodoxen Theologen Vladimir Fedorov aufgegriffen (107–115).
Im letzten Teil des Bandes finden sich unter der Überschrift »Workshop« sieben weitere Aufsätze, von denen sich vier auf den regionalen Kontext der Tagung beziehen: Mato Zovkiš diskutiert den Beitrag interkonfessioneller Beziehungen zur interethnischen Verständigung in Bosnien-Herzegowina (245–257). Bert Groen be­richtet von den interreligiösen Beziehungen in Bulgarien und deutet die Ambivalenz einer Haltung passiver oder pragmatischer To­leranz an (259–270). Péter Szentpétery schreibt über das Bemühen um interethnische Verständigung in Ungarn (271–282). Eine Auswertung der Serbien-Tagungen während der Jahre 1999 bis 2009 legt Angéla Ilic´ vor, die von der Evangelischen Kirche in Deutschland und von der mitteleuropäischen Diözese der serbisch-orthodoxen Kirche mit Beteiligung der Deutschen Bischofskonferenz und an­deren zivilgesellschaftlichen Akteuren durchgeführt wurden (283– 302).
Ştefăniţă Barbu präsentiert eine eingehende Untersuchung zu den ekklesiologischen Perspektiven des internationalen ortho­dox- römisch-katholischen theologischen Dialogs (303–324). Josef Außermair diskutiert die Bedeutung der Person des Missionars für die Einheit der Kirche (325–335). Eine Fallstudie von Stefan Höschele gibt schließlich Einblick in die von William Miller initiierte Erwe­ckungsbewegung (337–355). Der Stil und die Länge der einzelnen Beiträge in diesem Sammelband variieren deutlich, während manche Texte im Vortragsstil gehalten sind, daneben kürzere Re­pliken oder Kommentare wie etwa der von Bosco Gunaseelan Pa­neer Selvam (221–223) geboten werden, haben andere Autoren einen elaborierten Aufsatz verfasst.
Die Themen Mission und Einheit werden bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Herbst 2013 in Busan (Korea) eine wichtige Rolle spielen. Zu beiden Themen werden neue Grundsatzdokumente vorgestellt werden. Im Horizont dieser in­ternationalen Debatten liefert der Tagungsband der Societas Oecumenica einen europäischen Beitrag und rückt dabei die Bedeutung von Erinnerungsarbeit und kenotischer Spiritualität in den Fokus.