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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

622–623

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Klaiber, Walter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Biblische Grundlagen der Rechtfertigungslehre. Eine ökumenische Studie zur Gemeinsamen Er­klärung zur Rechtfertigungslehre.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt; Paderborn: Bonifatius 2012. 176 S. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-374-03083-5 (Ev. Verlagsanstalt); 978-3-89710-516-4 (Bo­nifatius).

Rezensent:

Markus Witte

13 Jahre nach Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre durch die Römisch-katholische Kirche und den Lutherischen Weltbund legt eine Arbeitsgruppe von Vertretern des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen sowie der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen und des Weltrates Methodistischer Kirchen mit der hier vorgestellten Studie, deren offizielle Fassung im Jahr 2012 unter dem Titel The Biblical Foundations of the Doctrine of Justification: An Ecumenical Follow-Up to the Joint De­c­laration on the Doctrine of Justification (Paulist Press Mahwah, NJ) erschienen ist, das Ergebnis ihrer gemeinsamen exegetischen Ar­beit vor. In dieser werden die einschlägigen biblischen Texte zur »Rechtfertigung« in ihren literarischen und historischen Kontexten analysiert, der ständige Rückbezug der neutestamentlichen Texte auf das Chris­tuszeugnis herausgestellt, neue Erkenntnisse der Paulusforschung und des christlich-jüdischen Dialogs rezipiert, die exegetische Wie­derentdeckung gesamtbiblischer Themen, zumal des Themas Gerechtigkeit, gewürdigt und die Beziehung zwischen Schrift und kirchlichen Traditionen reflektiert. Ein besonderes hermeneutisches Gewicht liegt auf der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Altem Testament und Neuem Testament und der Betonung der Unaufgebbarkeit des Alten Testaments im Horizont der Kirche, ohne die Eigenbedeutung der alttestamentlichen Texte zu nivellieren und das jüdische Selbstverständnis zu missachten.
Für das alttestamentliche Gerechtigkeitsverständnis wird gut aufgezeigt, wie dieses an der allgemein altorientalischen und ägyptischen Vorstellung einer heilsamen Weltordnung, die kosmische, religiöse, soziale und ethische Aspekte berührt, partizipiert und wie Gerechtigkeit als ein Beziehungsbegriff zu verstehen ist, der im Blick auf Gott vornehmlich dessen rettendes Handeln beschreibt: Dementsprechend kann göttliche und menschliche Gerechtigkeit in Parallele zu Begriffen wie Treue, Güte, Solidarität, Aufrichtigkeit und Recht gesehen werden. Das alttestamentliche Gesetz er­scheint, wie exegetisch zutreffend herausgearbeitet wird, als Ergebnis von Gottes rettendem Handeln. Rechtfertigung wird, unter Bezugnahme auf spätalttestamentliche Texte wie Ps 51 und Dan 9, als grundlegende Erneuerung der Beziehung des Menschen zu Gott durch den als Schöpfer, Richter und Retter handelnden Gott selbst verstanden. Die für das neutestamentliche Gerechtigkeits- und Rechtfertigungsverständnis wesentlichen Anthropologien und Theologien in frühjüdischen Texten wie im Jubiläenbuch (1,15–18.22–25), im Schrifttum von Qumran (vgl. 1QS XI, 11–15; 1QH IV[XII],29–37) oder im Vierten Esrabuch, in denen die radikale Angewiesenheit des Menschen auf durch Gott selbst gewirkte Sühne und auf göttliche Gnade betont wird, finden erfreulicherweise ebenso Berück­sichtigung wie die intertextuelle Reflexion und Bestimmung der argumentativen Funktion der für die neutestamentliche Ausformulierung der Rechtfertigungsbotschaft zentralen alttestamentlichen Texte Gen 15,6; Hab 2,4 und Jes 28,16.
Der dem exegetischen Durchgang durch das Neue Testament ge­widmete Abschnitt bestimmt »Rechtfertigung« als Zentrum der neu­testamentlichen Schriften bzw. als Interpretament des Christusgeschehens, das in das Zentrum des Evangeliums führe, und entfaltet die Rechtfertigungsvorstellungen in der Theologie des Paulus, in der frühen Jesusbewegung, im Matthäusevangelium, im johanneischen Schrifttum und im Jakobusbrief. Dabei werden die theologischen und kontextuellen Spezifika, mitunter auch Divergenzen der Rechtfertigungsbotschaft in den neutestamentlichen Schriften – d. h. die Verortung in der Soteriologie bei Paulus, in der Botschaft von Gottes anbrechender Herrschaft in der frühen Jesusbewegung, in einer umfassenden Konzeption von Gerechtigkeit als Gabe Gottes und Aufgabe des Menschen im Matthäusevangelium, in der dramatischen Spannung von Gottes lebensstiftendem Handeln und den im Glauben darauf antwortenden Menschen im Corpus Johanneum sowie im Gegenüber von Glauben und Werken des Menschen im Jakobusbrief – pointiert herausgearbeitet.
Als wesentliche exegetische Erkenntnis halten die Autoren fest, dass die Rechtfertigungsbotschaft bei allen Variationen in der konkreten Ausformung in den biblischen Schriften ein gemeinsames Zeugnis von Gottes rettendem Handeln darstelle und dass eine Theologie der Rechtfertigung eine dreifache theologische Basis biete: erstens für eine Theologie der Mission im Sinne der Ausbreitung des Evangeliums von Gottes Heil für diese Welt, zweitens für eine Theologie der Gemeinschaft, mithin der Einheit der Kirchen (wozu auch die versöhnte Gemeinschaft mit dem Judentum gehört), und drittens für eine grundlegende Anthropologie, die den menschlichen Schrei nach Erlösung aufnehme.
Insgesamt handelt es sich um eine auch in der Kürze gelungene Darstellung biblischer Grundlagen der Rechtfertigungslehre, bei der ausgewogen Erkenntnisse der historisch-kritischen Bibelwissenschaft auch mit ausgewählten Stimmen der Tradition von der Alten Kirche über die Scholastik und Martin Luther bis zu Johann Adam Möhler ins Gespräch gebracht werden.