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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

617–619

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Weiss, Andreas

Titel/Untertitel:

Kirchenrecht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und ausgewählter evangelischer Freikirchen. Ein Rechtsvergleich.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XXIX, 579 S. = Jus Ecclesiasticum, 99. Lw. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-151666-5.

Rezensent:

Hendrik Munsonius

Wenn vom Kirchenrecht die Rede ist, geraten in erster Linie das Kanonische Recht der Römisch-katholischen Kirche und das Kirchenrecht der in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammengeschlossenen Landeskirchen in den Blick. Andreas Weiss unternimmt es, diesen Horizont zu erweitern, und vergleicht das Recht einer Landeskirche mit den Rechtsordnungen ausgewählter Freikirchen. Die Arbeit ist als Dissertation an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen entstanden. Sie ist in drei Teilen aufgebaut: Auf einen Allgemeinen Teil folgt eine detaillierte vergleichende Darstellung der ausgewählten Rechtsordnungen (Mikrovergleich), ehe die Ergebnisse in einem Makrovergleich zusammengeführt werden.
Zunächst legt W. in kundigem Anschluss an die Grundlagen­diskussion sein Verständnis des Kirchenrechts als dem staatlichen Recht vielfach ähnelnd, aber durch den kirchlichen Auftrag geistlich geprägt dar. Das Kirchenrecht ist demnach juristischer Bearbeitung zugänglich; seine Legitimität kann jedoch nur unter Rück­griff auf geistliche Gehalte erwiesen werden. Demzufolge werden Schrift und Bekenntnis als »Rechtsquellen allein im weiteren Sinne« und die dem staatlichen Recht entsprechenden Normbestände (Verfassungsrecht, Kirchengesetze etc.) als eigentliche Rechtsquellen dargestellt. Sodann stellt W. die Kirchen vor, deren Rechtsordnungen verglichen werden sollen. Auf der einen Seite wählt er die Evangelische Landeskirche in Württemberg, auf der anderen Seite drei exemplarische Freikirchen. Den Typus der Freikirche sieht er durch die Bedeutung der persönlichen Glaubensentscheidung, die herausgehobene Bedeutung der Einzelgemeinde, die Betonung des Allgemeinen Priestertums, eine stark missionarische Ausrichtung und die strikte Trennung vom Staat charakterisiert. Für den Rechtsvergleich werden die Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland (AMD), der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (BEFG) und die Evangelisch-methodistische Kirche (EmK) ausgewählt. Damit werden die älteste, die größte und die historisch mit Württemberg am engsten verbundene Freikirche in die Untersuchung einbezogen.
Im umfangreichen zweiten Teil (65–509) stellt W. die Rechtsordnungen der ausgewählten Kirchen vergleichend dar und untersucht dabei jeweils die Leitungs- und Binnenstrukturen, das Mitgliedschafts- und Mitarbeiterrecht, die Ordnung des Gottesdiens­tes und der Amtshandlungen, die Einrichtungen und Werke, die Finanzen, die Einbindung in kirchliche Zusammenschlüsse und schließlich Rechtsetzung, Rechtsdurchsetzung und Rechtsschutz. Jeweils werden zunächst die Rechtsordnungen detailliert dargestellt, ehe abschließend ein Vergleich vorgenommen wird. Angesichts der Materialfülle kann auf Einzelheiten nicht eingegangen werden.
W. widmet sich mit Akribie den einzelnen Regelungen, geht auf strittige Auslegungsfragen ein und macht verschiedentlich Vorschläge für eine mögliche künftige Neuregelung. Die Vergleiche im Detail werden im dritten Teil (511–529) gebündelt. Dabei wird deutlich, dass zuweilen zwischen der Landeskirche und der EmK größere Gemeinsamkeiten bestehen als mit der AMD und dem BEFG. Im Ergebnis wird festgestellt, dass alle untersuchten Kirchen Rechtsordnungen ausgebildet haben, die sich jedoch in­haltlich aus theologischen und strukturellen Gründen unterscheiden, wohingegen für die unterschiedliche Regelungsdichte eher die Größe und das Alter der jeweiligen Kirchenorganisation be­stimmend sind. Für die Evangelische Landeskirche in Württemberg stellt W. eine stärkere Neigung zur Verrechtlichung und Bü­rokratisierung fest. Dem Werk sind ein Literaturverzeichnis, Verzeichnisse der zitierten kirchlichen und staatlichen Rechtsvorschriften und ein Sachregister beigegeben.
Mit diesem Buch hat W. zunächst einmal die Rechtsordnungen von vier Kirchen, für die es bislang noch keine geschlossene Darstellung gibt, in ihren wesentlichen Inhalten dargestellt. Aus dem Band lassen sich ohne große Mühe vier Einzeldarstellungen für die betreffenden Kirchen extrahieren. Schon dies allein macht das Buch wertvoll. Darüber hinaus verhilft der Rechtsvergleich zu einer wesentlich weiteren und differenzierteren Sicht. So wird deutlich, dass eine bloße Gegenüberstellung von Landeskirche und Freikirche zu undifferenziert ist. Eher könnte man an eine Reihung von der Landeskirche über die EmK und den BEFG zur AMD denken. Für alle kirchlichen Rechtsordnungen stellen die Taufe, der Ver kündigungsdienst und das Allgemeine Priestertum die wesentlichen Grundlagen dar. Unterschiedliche Bewertungen und Ge­staltungen betreffen die jeweils gewählte organisatorische Gestalt.
Es ist eindrucksvoll, wie W. die Materialfülle bewältigt. Und doch wird deutlich, an welche Grenzen das Vorhaben eines solchen Rechtsvergleichs stößt. Auf zwei Probleme (die W. durchaus be-wusst sind) sei hingewiesen: Zum einen erfordert der Vergleich eine Auswahl der Rechtsordnungen. Diese wird von W. im 1. Teil dargestellt und plausibel begründet. Ein Vergleich der Evange­lischen Landeskirche in Württemberg mit anderen Landeskirchen in der EKD zeigt jedoch, dass diese Kirche nicht paradigmatisch für einen Ordnungstypus Landeskirche stehen kann. Zu vielschichtig sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ordnungsmodellen der Landeskirchen. Zum anderen stellt sich immer wieder die Frage, inwiefern Unterschiede der kirchlichen Ordnung durch das ekklesiologische Selbstverständnis oder geschichtliche Kon­-tingenzen bedingt sind (zumal sich auch Ekklesiologien wandeln können). Die Zuordnungen, die W. vornimmt, erscheinen durchaus plausibel. Um diesen Befund zu erhärten, bedürfte es weiterer historischer und theologischer Untersuchungen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden konnten.
Diese Bemerkungen stellen den Wert der Arbeit von W. nicht in Frage, sondern zeigen an, in welchen Richtungen auf diesem Feld weiterzuarbeiten ist. W. hat dafür einen wichtigen Meilenstein ge­setzt.