Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

612–613

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hartmann, Richard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bilderwechsel. Kirche – herausgefordert durch ländliche Räume.

Verlag:

Würzburg: Echter 2012. 245 S. = Fuldaer Hochschulschriften, 54. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-429-03544-0.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Der Untertitel bezeichnet den Inhalt dieses Sammelbandes deutlicher als der Haupttitel, der sich auf die notwendige Veränderung der Vorstellungen vom Land und von der Kirche nicht nur in ländlichen Räumen bezieht. Die 13 Autorinnen und Autoren, darunter Jürgen Schilling von der EKD, stimmen darin überein, dass sich der gegenwärtige Umbruchsprozess der Kirchen am deutlichsten in den ländlichen Räumen zeigt und sich dort gewonnene Erfahrungen für eine missionarisch-lernende Kirche insgesamt fruchtbar machen lassen. Da es nicht »das Land« gibt, sondern die ländlichen Räume sich äußerst unterschiedlich darstellen, sind auf der kirchlichen wie der politischen Ebene dezentrale Strategien erforderlich, die ein Optimum an Partizipation und Eigenverantwortung er­möglichen.
Theologisch entspricht diesem Ansatz das Kirchenverständnis des 2. Vatikanums. Zur Situationsanalyse und zu den konzeptionellen Überlegungen trägt mit Gerhard Henkel ein Soziologe bei, der durch wichtige Publikationen zum ländlichen Raum bekannt wurde. In seinen Überlegungen, wie ein »Fitnessprogramm« für die Zukunft der Dörfer aussehen könnte (39–65), plädiert er für eine Revitalisierung der Ortskerne und betont die Bedeutung der Vereine, während die Kirchen nur am Rande Erwähnung finden. Zum Ortskern gehören aber Kirche und Pfarrhaus.
Alois Glück, Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, wirbt dafür, als Antwort auf das Schwächerwerden der traditionellen familiären Netzwerke die soziale Kompetenz und die besonderen Stärken der ländlichen Situation zu erkennen und zu fördern. Er bezieht die globale Perspektive ein und meint, »dass das Thema Zukunft der ländlichen Räume zu einem wichtigen Thema der internationalen Entwicklungsstrategien wird« (78).
Einigkeit besteht in dem Grundsatz, dass die Kirche sich nicht aus der Fläche zurückziehen darf. Birgit Hoyer, deren Buch »Seelsorge auf dem Land« (2011) in ThLZ 137 (2012), 989–991, besprochen wurde, will Kirche konsequent vom individuellen Menschen her denken und strukturell entwickeln. Die Entscheidungsbefugnis und -kompetenz vor Ort sei zu stärken, Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Auffällig oft wird auf das Priestertum aller Gläubigen hingewiesen. Der Herausgeber, Pastoraltheologe in Fulda, der in die Thematik einführt und die Ergebnisse zusammenfasst, fordert eine konzeptionelle »Offenheit, die zu einer Ermöglichungspastoral führt, gelenkt durch die Gaben des Heiligen Geistes« (218). Zwar braucht die Kirche überall die Entdeckung und Praktizierung der Charismen, aber auf dem Land zeigt sich deutlicher als in den Städten, dass die Abhängigkeit vom ordinierten Amt gefährliche Defizite verursacht. Hartmann schlägt vor, »bewährte und geistliche Menschen auszuwählen, die – auch ohne langjähriges Studium – vom Bischof für eine bestimmte Gemeinde zur Feier der Eucha­-ristie und der Versöhnung geweiht werden (relative Ordination)« (235f.). Würde das Subsidiaritätsprinzip wirklich in die Kirchentheorie eingeführt (232), ergäbe das in der Tat einen »Bilderwechsel«, der die Kirche veränderte.
Hubertus Schönemann, Leiter der katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz in Er­furt, die zusammen mit der Theologischen Fakultät Fulda eine Tagung zur Landpastoral durchführte, referiert ausgewählte ak­tuelle Verlautbarungen deutscher Bischöfe zur pastoralen Neuausrichtung. Die Bischöfe sind sich einig, dass die gesellschaftlichen Veränderungen die Kirche herausfordern, ihren Auftrag im Hören auf das Wort Gottes und im Lernen von und mit den Menschen wahrzunehmen. »Es ist den Bischöfen offenbar klar, dass die Kirche der Zukunft eine pluriforme Kirche sein wird, die eine diakonische Grundstruktur aufweisen muss« (31), und dass neue Formen der Leitung notwendig sind. Die übrigen Beiträge des Bandes enthalten dafür Beispiele.
So schildert der Künstler und Theologe Stefan Weyergraf gen. Streit am Beispiel der Gemeinde Thalmässing, wie die Neugestaltung eines Kirchenraumes einen Lernprozess auslösen kann. Richard Stefke von der Katholischen Landjugend-Bewegung zeigt, wie die Verbände dazu beitragen, dass die Kirche in der Fläche bleibt. Er erklärt, der Priestermangel zwinge nicht dazu, Pfarreien aufzulösen. Maria Hensler berichtet, wie der Verein »Hilfe von Haus zu Haus« beispielhaft Partizipation und Innovation in ländlichen Räumen realisiert. Stephan Kreye informiert über den Beitrag der Landvolkshochschulen im Prozess der Kirchenentwick­lung am Beispiel der katholischen Landvolkshochschule »Anton Heinen« Hardehausen.
Der Salzburger Dogmatiker Hans-Joachim Sander interpretiert »Land« als »locus theologicus alienus«. Der christliche Gott sei als Stadtgott nicht selbstverständlich auf dem Land präsent. Landpastoral kann nicht einfach vom Land her begriffen werden, sondern sie ist von den Menschen aus zu verstehen, die sich unter globalem Aspekt nicht der Verstädterung entziehen können. »Das Land gehört nicht mehr der Kirche« (176). Der Stadtbewohner Gott ist aber für Überraschungen gut, wenn Herkömmliches zusammenbricht.
Im Beitrag des EKD-Vertreters Jürgen Schilling über »›Kirche in der Fläche‹ als Schwerpunktthema im Reformprozess der Evange­lischen Kirche in Deutschland« (141–155) wird deutlich, wie sowohl die Probleme als auch die Lösungsansätze auf katholischer und evangelischer Seite trotz der ekklesiologischen und kirchenrechtlichen Differenzen einander ähnlich sind. Dem finanziell verursachten Pfarrermangel soll durch die Etablierung regionaler Strukturen sowie durch die Unterscheidung von Prioritäten und Posterioritäten begegnet werden. Von der Konkretisierung Letzterer wird viel abhängen. Das Allgemeine Priestertum soll nicht nur die hauptamtlich Tätigen entlasten, sondern kreatives Potential entfalten. Die vorliegenden Beiträge weisen deutlich darauf hin, dass dafür spirituelle und kirchenrechtliche Impulse notwendig sind, die zur Mitarbeit motivieren und herkömmliche Hindernisse beseitigen.