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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

610–611

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fendler, Folkert, u. Christian Binder[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottes Güte und menschliche Gütesiegel. Qualitätsentwicklung im Gottesdienst. Hrsg. im Auftrag des Zentrums für Qualitätsentwick-lung im Gottesdienst.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 288 S. m. Abb. u. Tab. = Kirche im Aufbruch, 3. Kart. EUR 14,80. ISBN 978-3-374-02895-5.

Rezensent:

Wolfgang Ratzmann

Die EKD hat zur Gestaltung ihres Reformprozesses mehrere Zentren neu gegründet, von denen die weiteren wünschenswerten inhaltlich-theologischen Impulse ausgehen und diese gründlicher als bisher reflektiert werden sollen. So ist an die Stelle der früheren »Ar­-beitsstelle für gottesdienstliche Fragen« unter dem Dach des Kirchenamts der EKD ein Institut getreten, das das Thema »Qualität« und »Qualitätsentwicklung im Gottesdienst« wissenschaftlich re­flektiert und in Hildesheim seinen Ort hat. Erste Zwi­schenergebnisse werden in dieser Veröffentlichung vorgestellt. Die zehn ver­schiedenen Aufsätze beleuchten unterschiedliche Perspektiven auf gottesdienstliche Qualität: die der »Erfahrungen anderer«, z. B. die von beobachtenden Journalisten oder Qualitätsentwicklern in anderen Bereichen von Theologie und Kirche (Seelsorge und Diakonie); die der theologischen Reflexion von gottesdienstlicher Qualität ( Da­vid Plüss und Jochen Arnold); die eines Sich-Einlassens auf fachfremde Qualitätsdebatten und deren er­hellende Sicht und die von exemplarischen Anwendungen be­stimmter Qualitätsstandards auf die Gottesdienstgestaltung oder die Ausbildung für den Gottesdienst.
Unter den Beiträgen ragen m. E. der des Journalisten Matthias Kamann über die journalistische Wahrnehmung von Gottesdiens­ten und der theologische Beitrag von David Plüss heraus. Kamann weckt nicht nur Verständnis für die ganz eigene Problematik von journalistischen Gottesdienstrezensionen, sondern er überrascht zu­gleich mit einem eindrucksvollen Einblick in seine subjektive Gottesdiensterwartung: »Ich betrete […] den Gottesdienstraum als eine Sphäre, in der es auf besondere Weise um mich geht, nämlich in Form einer Würdigung, bei der ich infrage gestellt werde […] Ich gehe nicht in die Kirche, um heitere Gefühle zu bekommen. Darin würde ich mich eher verlieren. In der Kirche gewinne ich mich, weil ich hier ernster bin als sonst zumeist« (26 f.). Plüss be­nennt »Ritualität«, »Andacht« und »Transformation« (Gottesdienst »zielt darauf ab, dass Menschen von Gott berührt und verändert werden«, 90) als entscheidende Qualitätsperspektiven für den Gottesdienst. Spannungsvoll stehen Einsichten der populären soziologischen Milieutheorien neben einer psychologischen Theorie des Erlebens, der sog. Morphologischen Psychologie von Wilhelm Salber, durch die Menschen mit ihren in sich gegensätzlichen Er­wartungen in den Blick kommen und mit deren Hilfe spannungsvolle »Wirk­felder des Gottesdienstes« entwickelt werden können (Arbeitskreis »Qualitätszirkel«).
Als Rezensent ziehe ich aus den verschiedenen anregenden Veröffentlichungen vor allem zwei positive Schlussfolgerungen: Zum einen bietet die gegenwärtige Diskussion über gottesdienstliche Qualität nicht etwas ganz Neues, vielmehr wird durch die Qualitätskategorie das klassische theologische Nachdenken über das, was den Gottesdienst zum (guten) Gottesdienst macht, wieder neu angeregt (J. Arnold: »Die Qualitätsdebatte lässt somit alte, gleichsam unverrückbare theologische Linien in neuem Licht erscheinen«, 146). Zum anderen führt die Einführung der Qualitätskategorie und speziell der Blick in den Bereich der Ökonomie nicht automatisch zu einer sachfremden Funktionalisierung des Gottesdienstes und zur Ausblendung seiner spirituellen, also der Machbarkeit des Menschen entzogenen, Dimension. Im Gegenteil: Sie kann – beispielsweise unter der Kategorie von »Kundenerwartungen« – sogar ganz neu und dann auch neu eindrucksvoll ins Spiel kommen (F. Fendler: »Ich bin aber überzeugt, dass die meisten Gottesdienstbesucher im Gottesdienst nicht nur oberflächliche Zufriedenheit […] suchen, sondern durchaus auch als Befriedigung ihrer Erwartung akzeptieren würden, aufgerüttelt oder infrage gestellt zu werden, ja, dies wohl durchaus auch häufiger ersehnen«, 178).
Der bisherige Ertrag der Qualitätsdebatte für die praktische Gottesdienstgestaltung oder für die Ausbildung erschließt sich mir allerdings durch die diesbezüglichen Beiträge (Swantje Eibach-Danzeglocke und Julia Neuenschwander) kaum. Einleuchtend ist es, dass das Nachdenken über Qualität eine neue Feedback-Kultur erforderlich macht (»kollegiale Hospitation und Beratung« oder »Gottesdienst-Coaching«, Wege, die C. Binder einleuchtend vorstellt, 224–236). Sind wir aber jetzt wirklich weiter als in den Zeiten, in denen die Kompetenz-Kategorie überall geläufig war und in denen lange Kompetenz-Listen, auch für Pfarrerinnen und Pfarrer, zusammengestellt wurden? Oder bietet die Qualitätsdebatte nur ein neues begriffliches Dach für Ausbildungsstandards, die es schon längst gibt, die aber nun »Qualitätsstandards« heißen (vgl. den sachkundigen Einblick in das pastorale Ausbildungskonzept der Ev. Kirche der Pfalz von J. Neuenschwander, 261–285)?