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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

607–608

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Deeg, Alexander, Mildenberger, Irene, u. Wolfgang Ratzmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Angewiesen auf Gottes Gnade. Schuld und Vergebung im Gottesdienst.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 196 S. = Beiträge zu Liturgie und Spiritualität, 26. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-374-02899-3.

Rezensent:

Stefan Böntert

Schuld und Vergebung gehören nicht unbedingt zu den bevorzugten Themenfeldern in den aktuellen theologischen Debatten. Wenn der Eindruck nicht täuscht, fällt das Interesse besonders gering auf Seiten der liturgiewissenschaftlichen Arbeit aus, allerdings liegen ebenso in der Praxis die Schwerpunkte zumeist anders. Umso erwartungsvoller nimmt man den Sammelband, der auf eine Tagung am Liturgiewissenschaftlichen Institut Leipzig zurück-geht, zur Hand.
Die liturgische Feier von Umkehr und Vergebung verdient Aufmerksamkeit, weil sie zum einen grundlegende Lebenswirklichkeiten erneut ins Bewusstsein hebt. Die Frage, wie Schuld angemessen bearbeitet werden kann, stößt auch in anderen kulturellen Bereichen auf ein reges Interesse. Zum anderen bietet sie den Anlass, grundlegende Problemkonstellationen zum Verhältnis von Rechtfertigung, Moral und liturgischer Inszenierung zu bedenken. Schließlich kommen zahlreiche für das ökumenische Gespräch reizvolle Perspektiven in den Blick, die dem Austausch über Fragen nach dem Wesen von Sünde, Versöhnung und Glaube neue Im­-pulse verleihen können. Bei einem Werk, das ein derart breites Frageinteresse abdecken will, braucht es nicht eigens betont zu werden, dass Umfang, methodischer Zugriff und inhaltliche Dichte der einzelnen Aufsätze sehr unterschiedlich ausfallen. Sie können hier nur exemplarisch vorgestellt werden.
Hervorgehoben seien zunächst die beiden systematischen An­näherungen von Dorothea Sattler und Peter Zimmerling, die sich in ihren Argumentationslinien unterscheiden, jedoch beide für eine Stärkung der Vergebung plädieren sowie eine sachgerechte theologische und praktische Sensibilität anmahnen. Die katholische Theo­login entwirft einen Zugang, der konsequent von der Taufe als der entscheidenden Versöhnungsgabe Gottes her denkt. In diesem so­teriologischen Licht betrachtet können Umkehr und Versöhnung mit Gott als eine Rückkehr zur in der Taufe geschenkten Gnade verstanden werden. Hier läge in der Tat ein theologisch noch nicht ausgeschöpfter Anknüpfungspunkt, die reformatorische Konzentration auf Reue und Glauben mit der katholischen Überzeugung von der Notwendigkeit der Lossprechung zu verbin den. Der Beitrag von Zimmerling nimmt zunächst eine Be­standsaufnahme vor und beleuchtet die Wiederkehr der Rede von Schuld und Sünde und ihre Ambivalenzen in der Gegenwartskultur. Dass sich daraus auch theologische Konsequenzen ergeben, liegt auf der Hand. Für Zimmerling besteht die Hauptaufgabe darin, Sünde und Schuld aus ihrer moralischen Überwucherung zu be­freien und auf Gotteserfahrungen hin zu weiten, die ermutigend wirken. Als Lösungsweg schlägt er die Wiederbelebung der Beichte vor, die jedoch nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern die Kooperation mit der Seelsorge sowie der Therapie erfordert.
Vier weitere Beiträge vereinen ein breites Spektrum aus Gottesdienst und Predigt. Sie schreiten historische, liturgische und homiletische Aspekte ab und bringen aus der Sicht der Liturgiewissenschaft viel Licht in die Komplexität des Geschehens von Schuld und Vergebung. Der Durchgang zeigt, dass die Agenden in den letzten Jahrzehnten bereits markante Akzente für eine liturgische Form der Vergebung gesetzt haben, in ihren konkreten Details und ih­rem jeweiligen Ort im Geschehen allerdings unterschiedliche We­ge einschlagen. Theologisch bemerkenswert ist die These von Johannes Block, nach der ein Gottesdienst/eine Predigt für die Gläubigen einen Weg darstellt, überhaupt zur Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit zu gelangen. Insofern können Gottesdienst und Predigt vor Gott zu einem realistischen Selbstbild führen: »Der wis­sende Sünder wird zum Transparent der Gerechtigkeit Gottes« (96).
Besondere Beachtung verdient der ausführliche Briefwechsel zwischen Klaus-Peter Jörns und Wolfgang Ratzmann über eine von Jörns entwickelte »Liturgie der Feier der Lebensgaben Gottes«. Während Jörns vor den Gefahren einer missverständlichen Deutung von Sünde, Opfer und Vergebung als Sinnspitze allen liturgischen Handelns warnt und daraus praktische Konsequenzen zieht, spricht sich Ratzmann wiederholt für einen vorsichtigeren und wohlwollenderen Umgang mit den überlieferten theologischen Sprach- und Deutungsmustern aus. Der Briefwechsel ist überaus anregend zu lesen, macht er doch deutlich, dass die liturgischen Fragen zum Thema nicht gestalterischer, sondern dezidiert theologischer Natur sind.
Welcher Ertrag lässt sich aus der Lektüre des Sammelbandes ziehen? Der katholische Rezensent legt das Buch mit der Hoffnung aus der Hand, dass das hier ablesbare Mühen um eine theologische Formulierung und praktische Feier der Versöhnung mit Gott weiter Schule macht. Schuld und Vergebung umfassen vielfältige Dimensionen, die nur in Kooperation und getragen von ökume­nischem Geist sachgerecht erkundet und geistlich fruchtbar ge­macht werden können. Schließlich werden Christen durch die immer noch existierende Trennung der Kirchen schuldig und be­dürfen gemeinsam der Versöhnungsgnade Gottes.