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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

598–599

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U., u. Simon Peng-Keller [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kommunikation des Vertrauens.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 224 S. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-03027-9.

Rezensent:

Stephan Weyer-Menkhoff

Dass Vertrauen weder direkt hergestellt noch intentional kommuniziert werden kann, gibt dem Phänomen des Vertrauens seine Unergründlichkeit. Vertrauen ist gerade nicht begründet, sondern abgründig. Diese Abgründigkeit macht das Phänomen gegen seine – vor allem empirische – Erforschung widerständig.
»Vertrauen verstehen. Grundlagen, Formen und Grenzen des Vertrauens« heißt das interdisziplinäre Forschungsprojekt an der Universität Zürich, das von den beiden dort systematische Theologie lehrenden Herausgebern geleitet und koordiniert wird. In drei thematischen Aspekten wird das Thema erforscht: Gottvertrauen, Grundvertrauen und Kommunikation des Vertrauens. Der vorliegende Band eröffnet eine Veröffentlichungsreihe zu den drei As­pekten und gibt Tagungsbeiträge wieder, die auf medizinethischem ( Katrin Rockenbach und Frank Fritzsche) und psychotherapeu­tischem Gebiet (Bernhard Grimmer) einen Forschungsüberblick ge­ben, auf seelsorgerlichem (Simon Peng-Keller), religionspädagogischem (Thomas Schlag), sozialpädagogischem (Sandra Tiefel) und organisationstheoretischem Gebiet (Peter Eberl) dagegen das Thema der Kommunikation des Vertrauens systematisch verfolgen.
Der einleitende Artikel der Herausgeber spannt einen weiten Bogen, der in ihrem abschließenden Artikel mit der Benennung weiterer Forschungsperspektiven aufgenommen wird. Die conditio humana, das Zur-Welt-Sein, die Gleichursprünglichkeit von Sozialität und Individualität – zu nennen wäre auch die Leiblichkeit – bettet den Menschen in konstitutiven Fremdbezug. Vertrauen geht abgründig voran, Bewusstsein und Kommunikation von Vertrauen kommen immer zu spät. Der Satz: »Du kannst mir vertrauen« ist weit davon entfernt, Vertrauen zu begründen; er gibt womöglich zu Misstrauen Anlass. Die Herausgeber nennen solche Figuren paradox und listen einige Paradoxien des Vertrauens auf. Diese gewinnen handlungsleitende Dimension, vor allem in professionellen Praxisfeldern, die im Sammelband mit Pädagogik, Religionspädagogik, Sozialpädagogik, Medizinischer Ethik, Psy­chotherapie und Organisationstheorie vertreten sind. Auf den verschiedenen Feldern wird das Problem aufgezeigt, dass Vertrauen sich methodisierbarer Professionalität entzieht. Vertrauen ist nicht das Ergebnis professionellen Handelns. Bei dieser prinzipiellen Ungleichzeitigkeit des Vertrauens wäre allerdings phänomenologisch weiterzufragen, um nicht die weiteren Fragen – etwa nach Fremdheit, Kontingenz und Unergründlichkeit – mit einem hermeneutischen Zirkel fernzuhalten. Vertrauen entzieht sich auch dem Verstehen.
Die Unterscheidung von Glaube, Gottvertrauen und Grundvertrauen wird klar und präzise thematisiert (109–114), für Religionspädagogik und Seelsorge aber nicht stringent weiterverfolgt. Hilfreich ist jedoch der religionspädagogische Verweis, dass die Dimension des Gottvertrauens, der fiducia, nicht von der Lehrperson ab­hängig gemacht werden darf (141–143). Authentizität ist eben kein didaktisches Medium. Dass dies auch für die seelsorgerliche Praxis gilt, wird an den – allerdings äußerst knappen – Ausführungen zur »Vertrauenskommunikation durch Ritus und Gebet« gezeigt (126–128). Dass Vertrauen missbraucht werden kann, wird aus aktuellem Anlass und zu Recht immer wieder und mit aller Schärfe disqualifiziert. Die naheliegende moralische Perspektive verstellt jedoch zugleich auch den Blick auf das Phänomen des Vertrauens in seiner unbegründbaren Abgründigkeit. Ohne Abgrund verschwindet das Phänomen.
Besonders lesenswert, weil etwas quer zum erziehungswissenschaftlichen Mainstream, ist der Beitrag zum sozialpädagogischen Kontext von Vertrauen, der die Insuffizienz empirischer Vorgehensweise mit der Ausblendung anthropologischer und damit praxisrelevanter Fragestellungen deutlich macht (155–171). Auch in der Managementlehre geht die Praxisrelevanz von Vertrauen über das eng abgesteckte Feld ökonomischer Rationalität von Investition und Gewinn, von Steuerung durch Anreiz und Kontrolle soweit hinaus, dass in der Theoriedebatte von einem »Paradigmenwechsel« zu sprechen ist (173). Nicht der Eigenvorteil und dessen Zweckrationalität, sondern das Vertrauen in seiner Abgründigkeit bildet das praktische Feld menschlichen Verhaltens. Es ist ebendiese sich empirischer Rationalität sperrende Abgründigkeit, die den Menschen lebensweltlich verankert.
Wachsend diese Abgründigkeit des Vertrauens vor Augen zu bekommen, ist ein Ergebnis der Lektüre des Sammelbandes zur »Kommunikation des Vertrauens«: Der Abgrund des Vertrauens lässt sich wohl nicht in Kommunikation aufheben; das heißt um­gekehrt: Kommunikation erschafft nicht das Vertrauen. Das Phänomen tritt damit umso deutlicher hervor. Für alle in praktischer Professionalität Lebenden ist die Lektüre erhellend: selbstbefragend wie selbstvergewissernd, widerspruchsweckend wie perspektivwechselnd.