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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

28–30

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Homann, Heinz-Theo

Titel/Untertitel:

Das funktionale Argument. Konzepte und Kritik funktionslogischer Religionsbegründung.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1997. 579 S. gr.8. Kart. DM 78,-. ISBN 3-506-73955-7.

Rezensent:

Donata Schoeller-Reich

Wer Homanns Werk mit dem knappen und präzisen Titel "Das funktionale Argument" zu Hand nimmt und meint, hier ginge es nur um "Konzepte und Kritik funktionslogischer Religionsbegründung" (so der Untertitel), der greift zu kurz. Denn unter dem schlanken Titel verbirgt sich nicht nur ein voluminöses Buch, sondern eine Weite des Ausgriffs, in der der Autor eine Geschichte der Religionstheorie von Anfang an zu erzählen trachtet. Nicht nur das. H.geht bei diesem Unterfangen einige Hauptposten der abendländischen Philosophie durch, so daß unter der Hand weite Strecken Philosophiegeschichte und philosophische Religionskritik vorüberziehen. Hinzu kommt eine detaillierte Darstellung der wichtigsten soziologischen Analysen des religiösen Phänomens.

Die Fülle des verarbeiteten geistesgeschichtlichen Materials ist überwältigend. Die Namen, die behandelt werden, hören gar nicht mehr auf. Ein Systematisierungsversuch nahezu enzyklopädischen Ausmaßes scheint unter dem knappen Buchtitel verborgen. Dabei wird deutlich, wie unter dem thematischen Aufhänger des "funktionalen Arguments" gleichsam ein Großteil der abendländischen Ideengeschichte behandelt werden kann. Neben der unzweifelhaften Achtung für eine solche Aufarbeitungskraft des Autors ertappt man sich beim Lesen jedoch immer wieder dabei, Grenzen der Stoffsammlung zu ersehnen, eine vertiefende Reflexion zu erhoffen statt einer weiteren Darstellung von noch einer weiteren Position.

H. jedoch will scheinbar nichts auslassen. Mit einem ausgeprägten Sinn für die geschichtliche Situation und die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge, zieht er es vor, ideengeschichtlichen Zeugnisse für sich sprechen zu lassen. So beginnt er sein Buch auch nicht mit einer theoretischen Auseinandersetzung dessen, was man unter "Funktion" bzw. dem "funktionalen Argument" eigentlich zu verstehen hat. Diese Analyse erfolgt merkwürdigerweise erst auf Seite 394. Dafür wird durch die Skizzierung der griechisch-römischen Einschätzung von Religion sozusagen am Beispiel nahegebracht, wie tief die funktionale Beurteilung von Religion in der antiken Kultur verankert ist und wie sehr dadurch auch die (Selbst-)Einschätzung des Christentums von Anbeginn betroffen ist. "Nicht um eines übernatürlichen Heiles willen verdienen die Götter Verehrung, sondern weil sie die Sicherheit des Reiches garantieren" (37). Willig unterstellt sich das aufkeimende Christentum dem gleichen Legitimationsdruck in seiner Ambition, das bewährte und Rom zu Größe und Macht führende Reich der Götter zu ersetzen.

Denker wie Tertullian und Origines operieren bewußt mit der politisch-funktionalen Legitimation, um die Attraktivität ihrer Religion anzupreisen. Das Wohl des Reiches wird in den engsten Zusammenhang gestellt mit dem Prosperieren des Christentums. Der Untergang Roms stellt die christliche Botschaft daher erneut unter harte Bewährungsprobe, erweist sie sich nun endgültig als unfähig, den Schutz der Pax Romana zu gewährleisten. Erst Augustinus entkoppelt die Korrelation zwischen Religionswahrheit und Reichserfolg gründlich. Damit reißt die Tradition der funktionalistischen Religionsplausibilisierung jedoch nicht ab, sondern floriert bis in "unsere Tage" hinein, wie H. zeigt. Nach einer mittelalterlichen Pause, die der Autor in ihren wesentlichen religionstheoretischen Strömungen jedoch nicht unskizziert beläßt, setzt eine Erneuerung der funktionalistischen Religionskonzeption in der Früh-Renaissance wieder ein. Dabei entstehen neue Varianten. Mit den italienischen Humanisten setzt die Sichtweise der Kirche als "praktisches Institut zur Stabilisierung des Gemeinwesens" an, welche Auffassungsweise sich durch Machiavelli und seinen Schülern bis Montaigne verstärkt.

In der Darstellung der unterschiedlichen Positionen wird diese Denkentwicklung vom Autor gewissenhaft verfolgt. Fraglich erscheint aber, wie der Autor Baruch de Spinoza in diese Linie einordnen kann, vor allem, wenn er mit Horkheimer darin jene Denktendenz festmachen will, die schon längst vor dem Faschismus "die Wahrheit der Macht" unterzuordnen trachtet (siehe 174). An solchen Beispielen wird das Bedürfnis nach eingehenderen Vergleichen und Gegenüberstellungen stark. Denn interessant wäre gewesen, diese Denkpositionen nicht nur in Darstellungen aneinanderzureihen, sondern auch übereinanderzulegen, um Strukurunterschiede des Arguments griffiger machen zu können. Dabei hätten unter ähnlich lautender Rhetorik diametral unterschiedliche Motivstrukturen sichtbar werden können.

Eine grundsätzliche Unterscheidung innerhalb der funktionalen Betrachtungsweise von Religion arbeitet H. an Hand derjenigen Denklinie heraus, die die Gottesidee nicht für die Gesellschaftsstabilisierung, sondern für die Erkenntnissicherung in Dienst nimmt. Ansetzend bei Nikolaus von Cues über Descartes webt H. auch hier engmaschig einen weiten ideengeschichtlichen Ausschnitt, welcher in die Wahrheitsproblematik der Aufklärung und des Idealismus mündet und schließlich bei der Liquidation dieser Fragestellung in der radikalen Religionskritik eines Feuerbach, Bakunin, Nietzsche, Joseph de Maistre etc. endet. Hier verläßt H. weitgehend die philosophische Perspektive und setzt auf das soziologische Ufer über. In etwas veränderter Gestalt begegnen einem dort prinzipiell ähnliche Argumentationsgebilde, insofern als Religion auch hier unter einer gesellschaftsstabilisierenden Perspektive rezipiert wird. So zum Beispiel kulminiert Emile Durkheims Sicht von der Funktion der Religion in ihrer "Vereinigungskraft einer moralischen Gesellschaft" (293). Nur die Religion, so Durkheim, kann als Wurzel bindender Autorität der gesellschaftlichen Werte fungieren. Gegenläufig zur Kritik eines Feuerbachs oder Marx wird nun Rang und Stellung der Religion durch die Soziologen verteidigt - freilich jedoch wiederum nur aus funktionalistischer Perspektive. Die Bedeutung von Religion weder als "Epiphänomen" noch als "Begleiterscheinung" der Gesellschaft, sondern als konstitutives Moment des gesellschaftlichen Zusammenhalts ergibt sich nicht aus ihr selbst heraus, sondern aus der Rolle, die sie in den kollektiven Gesellungsformen spielt.

Hier nun setzt der letzte Teil des Buches in seiner Kritik am funktionalistischen Argument ein. H.s einleuchtende Kritik spricht aus, was auf der Hand liegt: daß die funktionalistische Perspektive dem eigentlichen religiösen Bewußtsein "marginal" bleibt. In den funktionalistischen Leitthesen wird Religion niemals als das verstanden versucht, "was sie an ihr selbst" ist. So nötig das funktionale Argument als Korrektiv sowohl für die Religionskritik wie für die religiöse Selbsteinschätzung ist, so beschneidend ist es zugleich. Religion "steht demzufolge in der Gefahr, nicht als das verstanden zu werden, was sie an ihr selbst ist, sondern reduktionistisch "wegerklärt" zu werden" (380). Mit einer Reflexion auf das Wesen der funktionalen Denkweise untermauert H. diesen Befund. Hat doch nur das "Substantielle" sein Sein "in sich", das Funktionale" dagegen stets "im anderen" (394). Die eigentliche Quelle, aus der Religion lebt, die "religiöse Erfahrung", gerät darin gar nicht erst ins Blickfeld. Gemäß seinem umfassenden Aufarbeitungsstil weitet H. diese Kritik zu einer zeitdiagnostischen Generalkritik an der funktionalistischen Denkweise unserer Epoche in Anlehnung an Musil, Jaspers, Barth, von Balthasar, Heidegger, Adorno, Spaemann usw. Der Menge und Vielseitigkeit der Standpunkte bleibt der Autor bis ins letzte Kapitel zutiefst verpflichtet. Eine sparsamere Dosierung hätte vielleicht den Vorteil gehabt, die Gefahr einer gewissen Leserübersättigung zu vermeiden.