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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

586–588

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Beutel, Albrecht

Titel/Untertitel:

Gerhard Ebeling. Eine Biographie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XVII, 606 S. m. Abb. Lw. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-150447-1.

Rezensent:

Christof Gestrich

Zum 100. Geburtstag wurde diese umfassende Darstellung des Lebens und Wirkens von Gerhard Ebeling (1912–2001) vorgelegt. Sie reiht sich unter die großen Biographien bedeutender Theologen des 20. Jh.s ein. Ihr Vf., der Münsteraner Kirchenhistoriker Albrecht Beutel, geb. 1957, hat aus vielen Quellen einfühlsam recherchiert und ›mit Linie‹ dargestellt. Er lernte Ebeling erst nach dessen Emeritierung kennen. Doch gelang ihm noch eine theologische Schülerschaft, die sich zuletzt zu einem freundschaftlichen Verhältnis gestaltete. Der Vf. hat das Vertrauen von Ebelings Familie und konnte u. a. deren privates Archiv mit Tagebüchern, Photos, Terminkalendern und Briefen nutzen. Unter Letzteren befinden sich auch von Ebeling wöchentlich an seine Eltern in Berlin-Steglitz geschriebene Berichte. Darüber hinaus wurden vom Vf. z. B. Universitäts-, Bibliotheks- und Kirchenarchive ausgewertet sowie Ge­spräche und Korrespondenzen geführt mit ehemaligen Mitarbeitern, Freunden und Schülern Ebelings.
Diese gründliche Biographie ist nicht nur mit historischer Professionalität, sondern auch in einem angenehmen Stil geschrieben, der zugleich von dem Bewusstsein des Vf.s zeugt, Ebeling habe »die deutschsprachige evangelische Theologie nach 1945 maßgeblich gestaltet« (andere hätten hier vielleicht zurückhaltender formuliert ›mitgestaltet‹). Einerseits ist das Buch den Quellentexten verpflichtet, was in seltenen Fällen auch Korrekturen bestimmter Sichtweisen Ebelings notwendig gemacht hat. Andererseits ist eine weitgehende Identifikation des Vf.s mit seinem Gegenstand er­kennbar. Sie wird z. B. deutlich an der Perspektive, die der Vf. bei der Darstellung von Angriffen auf die Theologie Ebelings wählt.
Auch wer Ebelings Werdegang und Werk gut zu kennen meint, erfährt auf jeden Fall Neues. Das könnte zutreffen etwa für die Beschreibung von Ebelings merkwürdigem Verhältnis zu Emanuel Hirsch (318–320 u. ö.) oder für das biographisch so wichtige (und doch sehr spezielle) Verhältnis Ebelings zur Bekennenden Kirche und zu Dietrich Bonhoeffer sowie für die mitgeteilten Einzelheiten aus Ebelings Zeit im Finkenwalder Predigerseminar (46–54).
Je älter er wurde, desto besorgter habe Ebeling sein »Unbehagen gegenüber einer heroisierenden Verehrung und positionellen Vereinnahmung Bonhoeffers zum Ausdruck gebracht« (199). Dass sich Ebeling aber, wie der Vf. an anderer Stelle urteilt, Bonhoeffers Erbe dennoch »authentisch zueigen gemacht« habe (201), scheint mir nicht so weitgehend der Fall zu sein, wie es der Vf. vermutet.
Theologische Arbeiten Ebelings, denen der Vf. einen Schlüsselwert zuerkennt, werden in dieser Biographie hilfreich in ihrer Gliederung und ihrem Gedankengang mitgeteilt. Sodann werden die vielen Beziehungen Ebelings dargestellt – z. B. zu Rudolf Bultmann, Karl Barth und Hanns Rückert in der Lehrergeneration bis hin zu den mit Ebeling etwa gleichzeitig wirkenden Männern Wolfhart Pannenberg, dem Freund Ernst Fuchs oder Ebelings Tübinger Hausbauarchitekten Reinhard. Auch die familiäre Seite von Ebelings Theologenleben und das Verhältnis zu den »Schülern« werden berücksichtigt. Kindheit, Jugend und Studium sind ebenso ausführlich geschildert wie Ebelings letzte Lebenszeit. Dabei können selbst »Tagesgefühle« und Kinobesuche einfließen oder Kleinigkeiten wie Ebelings Wahl der Kleidung in spezifischen Situationen.
Über das für Ebelings Zeit als Universitätslehrer aufzubereitende Material hat der Vf. ein wiederkehrendes Raster gelegt. Dieses gliedert Ebelings Leben und Wirken in den einzelnen biographischen Abschnitten jeweils folgendermaßen: Lebensumstände – Hochschullehrer (und Fakultät) – Wissenschaftskommunikation – Lu­ther– weitere Arbeiten zur Theologiegeschichte – Prinzipienlehre (Hermeneutik, Fundamentaltheologie) – Glaubenslehre – Predigten– Berufungen und Ehrungen. Dieses Raster ist nicht ganz frei von Wiederholungen, denn es musste bei der Darstellung des nächsten Lebensabschnittes Ebelings an früher bereits Behandeltes wieder angeknüpft werden, was ohne Überschneidungen nicht abging.
Die Anhänge des Buchs enthalten u. a.: Zeittafel, Schriftenverzeichnis Gerhard Ebelings, Darlegung sämtlicher Quellen dieser Biographie, Personenverzeichnis und ein – m. E. zu weit gefasstes, weil auch unspezifische Allgemeinliteratur umgreifendes – Verzeichnis der vom Vf. herangezogenen Literatur.
Nur weniges könnte man in dieser Biographie vermissen. Beispielsweise sucht man vergebens nach den Auswirkungen der vielen Gespräche Ebelings mit nordamerikanischen Theologen während diverser Reisen in die Vereinigten Staaten auf seine Theologie. Oder nach Spuren der Begegnungen Ebelings mit Martin Heidegger, Paul Ricœur und anderen in Ebelings Verständnis der Hermeneutik. Wahrscheinlich geben die Quellen aber das hier Fehlende auch nicht her. Tatsächlich hat Ebeling seine Theologie viel weniger aus dem Dialog mit Zeitgenossen und viel eher aus ›Gesprächen‹ mit theologiegeschichtlichen Texten (vor allem Lutherschen) heraus entwickelt. Seine bekanntlich minutiösen und sehr anregenden Textauslegungen haben eben Kräfte absorbiert, die für Dialoge mit zeitgenössischen Theologen über heutige Glaubenslehre teilweise fehlten. Selbst gegenüber Ernst Fuchs, mit dem solche Gespräche am ehesten stattfanden, ist das gegenseitige Nehmen und Geben – das zeigt auch diese Biographie – auf Ebelings Seite nicht so groß.
Sichtbar wird in der vorliegenden Biographie, dass Ebeling als Systematiker immer mehr einen Zug zum elementaren Reden aus der Gebetssprache heraus entwickelte, jedoch auch hierbei hohe An­sprüche einer gedanklichen Rechenschaft des Glaubens bewahrte. Das war vielleicht die kunstvollste Eigenleistung Ebelings, die den Reiz seiner Texte mit ausmacht.
Die feine Grenzlinie zwischen kirchenhistorischer Textdeutung und systematisch-theologischem Umgang mit kirchlichen Texten übersprang Ebeling besonders elegant in der dreibändigen Dogmatik des christlichen Glaubens, deren Entstehung in Vorlesungen ab 1976 »vor schütterem Hörerkreis« zu datieren ist. Der Vf. legt die wichtigsten Inhalte und Gesichtpunkte sowie die anschließende Rezeption des Werkes knapp dar (421–434). An der Emeritierungsgrenze stehend, war Ebeling – so diese Biographie – beunruhigt über den seiner Meinung nach nicht ausreichenden Ertrag seiner langjährigen Mühen um eine verbesserte theologische Prinzipienlehre. Obwohl Ebelings gesammelte Aufsätze in den vier Bänden Wort und Glaube durchaus auch als eine inhaltliche Dogmatik Ebelings gewertet wurden, drängte es Ebeling, die Ernte seiner in Jahrzehnten erarbeiteten Analysen in einer zusammenhängenden Glaubenslehre einzubringen. Dass ihm dies in seiner geschliffenen Sprache noch gelingen würde (Ebeling ist auch Träger des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa), hätten ihm viele nicht zugetraut – sicherlich auch nicht Karl Barth, zu dem Ebeling immer ein besonders schwieriges Verhältnis hatte, das sich zuletzt noch in einer größeren Arbeit Ebelings über »Barths Ringen mit Luther« niederschlug. Diese wurde jedoch von dem Ebeling theo­logisch sonst nahestehenden Eberhard Jüngel als missglückt beurteilt (508 f.). Die Dogmatik des christlichen Glaubens selbst, deren Ansatz Luthers fundamentalen theologischen Unterscheidungslehren folgt und sich gleichzeitig bewegt zwischen Barths und Schleiermachers Grundlegungen, ist, wie diese Biographie zeigt, überwiegend gut aufgenommen worden. Bis heute wird sie von Pfarrern und Pfarrerinnen zur Klärung eigener theologischer Probleme herangezogen. Doch auch in dieser heutigen Erschließung des christlichen Glaubens ist Ebelings Austausch mit zeitgenössischen Theologen gering. Die Bibel selbst bot den ›elementaren Be­zug‹. Auch das damals üblich gewordene ›Gespräch der Theo­logie mit anderen Wissenschaften‹ blieb minimal. Es kommt nur sehr gelegentlich vor – etwa im Blick auf den anthropologischen Stellenwert der Angst (vgl. 413).
Dem Vf. ist sehr zu danken für die große Mühe der rechtzeitigen Sicherung der heute noch erreichbaren Informationen über Ebeling. Diskutieren ließe sich gleichwohl noch einiges. Vielleicht des Vf.s pauschales Urteil: »Ebeling war kein unpolitischer Mensch.« (201) Oder ob Ebelings Leben, das neben der Lehre am Katheder und den vielen berufsbezogenen Reisen vor allem unablässige Arbeit am häuslichen Schreibtisch war, überhaupt zu einer so breit angelegten Biographie hingedrängt hat? Bereits erschienene Arbeiten über Ebelings Theologie sind aus sicherlich wohl erwogenen Gründen nur wenig berücksichtigt worden. Das gilt auch für die Fragestellung »Nachwirkungen von Ebelings Lutherdeutungen in der jetzigen Lutherforschung und systematischen Theologie«. Nachdem wir jetzt diese schöne Ebeling-Biographie haben, wird aber hieran weiterzuarbeiten sein: Ebeling war bestrebt, ›Sprachstö­rungen‹ im heutigen Glauben von immer noch nicht überholten Lutherschen Ausgangspunkten her zu heilen. Sind heute seine Versuche in dieser Richtung überholt? Oder waren sie Prolepsen in einer noch nicht wirklich gelösten An­gelegenheit?