Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

582–583

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Stolt, Birgit

Titel/Untertitel:

»Laßt uns fröhlich springen!«. Gefühlswelt und Gefühlsnavigierung in Luthers Reformationsarbeit. Eine kognitive Emotionalitätsanalyse auf philologischer Basis.

Verlag:

Berlin: Weidler Buchverlag 2012. 350 S. = Studium Litterarum, 21. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-89693-575-5.

Rezensent:

A. B.

Die schwedische Germanistin und Lutherforscherin Birgit Stolt hat alte und neue Studien zu der sich in Luthers theologischem Denken vollziehenden »Gefühlsnavigierung« in einem jüngst erschienenen Sammelband vorgelegt. Zwar ist ihre mehrfach vorgetragene Warnung vor der irreführenden Unterscheidung zwischen dis­tinkten Verstandesleistungen und dem als rein körperliche Reaktion missdeuteten Gefühl vielleicht für den landläufigen Sprachgebrauch notwendig und berechtigt, kaum jedoch für die gegenwärtige Arbeit der Geisteswissenschaften. Gleichwohl erbringt sie im ersten Teil des Bandes einen wichtigen und vielfach anregenden Beitrag zur Lutherforschung, indem sie versucht, die Ansätze und Er­gebnisse der seit den ausgehenden 1960er Jahren namentlich von Richard S. Lazarus und James R. Averill betriebenen kognitiven Emotionalitätsforschung für die Text- und Gedankenwelt des Re­formators fruchtbar zu machen. Ihr philologisch orientierter Zugriff auf den »Erlebniswortschatz« (46) Luthers findet im Begriff Herz den entscheidenden, aus klassischen (Augustin) und insbesondere biblischen Quellen gespeisten Ansatzpunkt, von dem aus das konstitu­tive anthropologische Wechselspiel zwischen intellectus und affectus paradigmatisch erhellt werden kann. In eindringender Un­tersuchung werden die beiden von Luther beschriebenen »Grundgefühle der Religion«, nämlich Angst oder Furcht einerseits, Liebe und Freude andererseits, sprachgeschichtlich sowie theologisch ana­-lysiert. Zu Recht erhält dabei die semantische Ambivalenz von »Furcht« (timor servilis/timor filialis) besondere Aufmerksamkeit. Eine komplementäre Studie legt für die Katechismusformel, man solle Gott »fürchten, lieben und vertrauen«, die damit von Luther geleistete »strategische Emotionsarbeit« frei (109).
Der zweite, etwas umfangreichere Teil versammelt bereits früher publizierte Lutherstudien, die in unterschiedlichen Anläufen zentrale Fragen der Bibelübersetzung, emotionalen Rhetorik und affektiven Semantik des Reformators behandeln. Dass es dabei zu etlichen thematischen Rekapitulationen kommt – na­mentlich das »Herz« ist ein allenthalben bedachter Grundbegriff des Bandes –, wird der Leser gewiss als mater studiorum zu goutieren wissen.
Dem anregenden, durch zahlreiche Fall- und Textbeispiele il­-lus­trierten und in angenehm zu lesender Wissenschaftsprosa ge­haltenen Sammelband ist ein (nicht ganz vollständiges) Literaturverzeichnis beigefügt. Nützliche Erschließungshilfe hätte darüber hinaus ein Namen- und mehr noch ein Sachregister zu leisten vermocht.