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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

580–582

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hrsg. u. bearb. v. W. Simon, B. Hamm u. R. Friedrich. In Zusammenarbeit m. M. Arnold u. Ch. Krieger.

Titel/Untertitel:

Martin Bucer Briefwechsel – Correspondance. Bd. VIII (April 1532 – August 1532).

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2011. CIX, 457 S. = Studies in Medieval and Reformation Traditions, 153. Geb. EUR 133,00. ISBN 978-90-04-20364-8.

Rezensent:

Christopher Spehr

Der Martin Bucer Briefwechsel zählt zu den vorzüglichsten Editionsprojekten der gegenwärtigen Frühneuzeitforschung. Editorisch sauber gearbeitet, inhaltlich höchst anregend und international ausgerichtet, lassen die jüngst erschienenen Bände kaum etwas zu wünschen übrig (siehe ThLZ 127 [2002], 920–922; ThLZ 135 [2010], 332 f.). Im achten Band, der von der Bucer-Forschungsstelle in Erlangen kürzlich vorgelegt werden konnte, wird der hohe Qualitätsstandard nun in beeindruckender Weise fortgesetzt.
Dieser Band enthält 50 Briefe, die zwischen April und August 1532 verfasst wurden. 20 Briefe stammen vom Straßburger Reformator und 30 sind an ihn gerichtet. Der Edition ist eine umfassende Einleitung in deutscher und französischer Sprache vorangestellt, welche thematisch in die Briefe einführt. Für die deutschsprachigen Texte tragen Berndt Hamm, Reinhold Friedrich und Wolfgang Simon die Verantwortung, für die französischsprachigen, die eigenständige Forschungsbeiträge bilden, Matthieu Ar­nold, unterstützt von Christian Krieger. Ausgehend von einer statistischen Erhebung der Korrespondenz von April bis August 1532 (X–XII), durch welche die bleibende Bedeutung der Freundschaft Bucers zu Ambrosius Blarer in Esslingen (acht Briefe) sowie die wachsenden Spannungen mit Heinrich Bullinger (fünf Briefe) und Leo Jud (vier Briefe) in Zürich deutlich werden, zeichnen die Herausgeber einen Überblick über die verhandelten Themen und die kontaktierten Orte.
Bucers außenpolitische Wahrnehmung konzentriert sich in diesem Zeitraum auf die Schweizer Protestanten. Er kritisiert die Unterzeichnung des Zweiten Kappeler Landfriedens (20.11.1531) als Treuebruch gegenüber den Burgrechtspartnern und Zwinglis Weigerung, die Confessio Tetrapolitana zu un­terzeichnen, als großen bündnispolitischen Fehler. Zur Vermeidung weiterer Unstimmigkeiten schlägt er den Zürchern vor, die gewichtigen Entscheidungen und Veröffentlichungen zwischen Straßburg und Zürich abzustimmen. Bucers Aufmerksamkeit gilt im Frühjahr 1532 der Reichspolitik. In Schweinfurt wirkt er an den Verhandlungen über Türkenabwehr und befristeten Waffenstillstand zwischen Kaiser und Protestanten mit und erreicht durch seine theologischen Gutachten und Argumentationshilfen bei den oberdeutschen Städten die Zusage, nichts zu lehren, was der Confessio Augustana und deren Apologie widerspreche. Ohne Aufgabe der eigenen Position zählen die Oberdeutschen von nun an zum Kreis der Unterzeichner der Sächsischen Bekenntnisschriften, auf die sich das kaiser­liche Verhandlungsangebot beschränkt. Die drohende politische Isolation wird somit vermieden.
Bucers Sorge gilt auch weiterhin der Uneinigkeit im protestantischen Lager. Schwerpunkte seiner Korrespondenz bilden in dieser Zeit die Städte Augsburg, Esslingen, Ulm und Memmingen sowie der Kraichgau mit ihren spezifischen religionspolitischen Konflikten und Herausforderungen, wie z.B. das Abendmahlsgespräch zwischen Lutheranern und Zwinglianern in Fürfeld am 22. Mai und Heilbronn am 15. August 1532. Straßburger Angelegenheiten wie beispielsweise Maßnahmen des Rates, Personalia oder der Streit mit Michael Servet (Nr. 608 Bucer an Servet, Straßburg, 8.7.[1532]) finden ebenfalls in der Korrespondenz Berücksichtigung.
Dass die »Diskussion um die Unterzeichnung der Sächsischen Bekenntnisschriften in Schweinfurt« (XX–XXI) durch die Herausgeber in einem separaten Kapitel vertieft wird, ist insofern sinnvoll, als es sich hierbei um das zentrale innerprotestantische Ereignis jener Monate handelt. Unter der Meinungsführerschaft Bucers nähern sich die Oberdeutschen den Lutheranern an. Gleichzeitig müssen sie die wachsende Distanz zu den Zwinglianern akzeptieren lernen, was u. a. an dem Briefwechsel Bucer-Bullinger deutlich wird. Ausführlich und theologisch gehaltvoll rechtfertigt Bucer die Unterzeichnung von Schweinfurt in seinen Briefen an Bonifatius Wolfhart (Nr. 591), Leo Jud (Nr. 598) und Heinrich Bullinger (Nr. 626). Welches Forschungspotential in den Briefen liegt, veranschaulicht beispielsweise die feinsinnige Gegenüberstellung des Lutherbildes der Zwinglianer mit dem Bucers: Während Bullinger bei Luther jeglichen »Anstand und Ehrlichkeit« vermisst und Leo Jud ihn als »zweiten Papst« und Schaden für die Kirche charakterisiert (XXII), weist Bucer diese Interpretationen als Sünde von sich und lobt Luther als »Mann Gottes«, der »von einem guten Geist getrieben« ist (XXIII). Differenzen zu Luther zeigt er allerdings nach wie vor im Abendmahlsverständnis auf.
Ergänzt wird die pointierte Einleitung u. a. durch eine chronologische Liste der edierten sowie nicht ermittelten Briefe. Ein Literaturverzeichnis mit Kurztiteln rundet die Vorbemerkungen ab. Die Edition der Briefe, denen ausführliche französische und deutsche Regesten vorangestellt sind, beginnt mit der Nr. 578 (Bucer an Ambrosius Blarer, Schweinfurt, 18.4.1532) und endet bei der Nr. 627 (Johannes Spreter an Bucer, Konstanz, 31.8.1532). Der umfangreiche Anmerkungsapparat zu den deutschen und lateinischen Briefen ist in deutscher Sprache gehalten und enthält zahlreiche weiterführende Details. Obwohl der angehängte Personenindex den Sachkommentar entlasten will, bieten die Herausgeber in den Anmerkungen stets zu jedem Briefpartner einige Kurzinformationen, die bei den Namen Blarer, Bullinger usw. hätten vermieden werden können. Fünf der in diesem Band enthaltenen Briefe (Nr. 585, 609 f., 618 und 626) wurden bereits im Band 2 des Bullinger-Briefwechsels (1982) ediert. Aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven und Kommentierungen stellt dieses Vorgehen aber einen Mehrwert für die Forschung dar.
Umfangreiche Register zu Personen, Bibelstellen, Schriften, Or­ten und Sachen, die nichts zu wünschen übrig lassen, runden eine gelungene Publikation ab, welche auch als eigenständiges Buch mit großem Gewinn zu lesen ist. Es steht zu hoffen, dass der Martin Bucer Briefwechsel auch künftig in bewährter und zügiger Weise fortgesetzt wird. Das wäre für die Reformations- und Frühneuzeitforschung höchst wünschenswert.