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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

578–580

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Huber-Rebenich, Gerlinde [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Lehren und Lernen im Zeitalter der Reformation. Methoden und Funktionen.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XI, 263 S. = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-151973-4.

Rezensent:

Konrad Hammann

Dass die Reformation auch im Bereich der Bildung einen Umbruch herbeigeführt hat, ist hinlänglich bekannt. Das von Gerlinde Huber-Rebenich durch ein Vorwort eingeleitete Buch gibt einen instruktiven Einblick in die Kontinuitäten und Diskontinuitäten, die für die Vermittlung und den Erwerb von Bildung im Zeitalter der Reformation kennzeichnend waren. Der Band, der auf eine 2009 in Gotha abgehaltene Tagung zurückgeht, vereinigt elf Beiträge von zehn Vertretern verschiedener Disziplinen. Von daher gewährleistet er eine Vielfalt an Perspektiven auf den im Titel angezeigten Gegenstand, wobei der Untertitel – offenbar in Aufnahme der gegenwärtig geführten Bildungsdebatten – ein besonderes Interesse an den »Methoden und Funktionen« des Lehrens und Lernens im Reformationszeitalter signalisiert.
Einer humanistisch orientierten Bildungsinitiative geht Ha­rald Müller am Beispiel des Benediktiners Nikolaus Ellenbog aus Ottobeuren nach. In seinen Briefen empfahl Ellenbog den Zisterzienserinnen im Kloster Heggbach ganz im Sinne der humanis­tischen Bildungsreform, sich Kenntnisse in den alten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein als Voraussetzung weiterer Bildung anzueignen (21–42). Dass einzelne Humanisten ein ausgeprägtes Sensorium für den Adressaten- und Zeitbezug ihres Um­gangs mit der lateinischen Sprache hatten, zeigt Michael Rupp an verschiedenen Texten des Paulus Niavis. Dieser suchte das klassische Latein den Gegebenheiten seiner Zeit anzupassen und propagierte solch behutsame Modifikation der antiken Vorbilder auch in seinen Lehrbüchern (43–64). Die weit verbreitete Textsammlung Opuscula aliquot des Erasmus von Rotterdam bildet den Gegenstand einer Untersuchung Michael Baldzuhns. Der Hu­manistenfürst nahm in seine Sammlung auch die Disticha Catonis auf, ein im mittelalterlichen Lateinunterricht bewährtes Lehrwerk, und seine Erläuterungen zu den Opuscula aliquot zielten darauf ab, deren Wert für den Erwerb der Sprachkompetenzen, die Aneignung literarischer Bildung und die Ausformung sittlichen Bewusstseins herauszustellen (65–90).
Philipp Melanchthon sind zwei Studien gewidmet. Walther Ludwig analysiert die methodischen Mittel, die Melanchthon in seinem zuerst 1549 gedruckten naturphilosophischen Lehrbuch Initia doctrinae physicae einsetzte. Ihre wohldosierte Variabilität dürfte für den didaktischen Erfolg der Initia mit verantwortlich gewesen sein (91–113). Melanchthons Loci communes von 1521 sind ebenfalls nach didaktisch-methodischen Gesichtspunkten an­gelegt. Wie Thomas Töpfer anhand einer Werkgeschichte der Loci nachweist, überlagern in den späteren Ausgaben zu­nehmend der dogmatische Anspruch und das konfessorische Ge­präge dieses Lehrbuchs die didaktischen Strukturelemente. In den innerprotes­tantischen Auseinandersetzungen nach 1560 konnten die Loci in Sachsen nur zwischenzeitlich die Stellung als maßgebliches dogmatisches Lehrbuch behaupten, sie blieben aber langfristig als Referenzwerk der universitären Theologie präsent (127–147).
Im Unterschied zu den bisher vorgestellten Beiträgen geht es in Volker Leppins Studie zu den »Disputationen als Medium der Theo­logie- und Kirchenreform in der Reformation« um einen institutionsgeschichtlichen Zugang zum Bildungsthema. Leppin plädiert dafür, für die Transformation der Disputation von einer Veranstaltung im universitären Ausbildungsbetrieb zu einem öffentlichen Instrument der Durchsetzung der Reformation einen organischen Prozess anzunehmen. Für diesen sieht er vier einander sich teilweise überlappende Phasen als charakteristisch an: die affirmative Lehrmitteilung, die Entscheidung über die zur Debatte stehende Wahrheit, die Propagierung der eigenen Überzeugung und die Strategie demonstrativer Durchsetzung wie in den Zürcher Disputationen Zwinglis (115–125).
Anscheinend als programmatische Ouvertüre zu dem ganzen Band gedacht ist die neuerliche Untersuchung der beiden Schulschriften Luthers An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes (1524) und Eine Predigt, dass man Kinder zur Schule halten soll (1530), die Ralf Koerrenz in Form einer »gegenwartsorientierte[n] Lektüre« (1) vornimmt. Er befragt die Schulschriften – in Aufnahme neuerer schulpädagogischer Überlegungen zur Funktion und Struktur des Lehrens und Lernens in der Schule – danach, »ob und inwiefern Luther ›Schule‹ als strukturelles Arrangement der Kulturtradierung« begriffen habe (2). Die Analyse ist vor allem auf die Frage fokussiert, inwieweit Luther den institutionellen Charakter der Schule als einer Einrichtung zur Ermöglichung kultureller Entwicklung erkannt und zur Geltung gebracht habe. Die von Koerrenz berührten Aspekte des Bildungsengagements Luthers zeigen, dass der Reformator die Schule als öffentlichen Raum zur Gestaltung der Gegenwart auf der Grundlage des Evangeliums für unabdingbar hielt (1–19). Wie Luthers Anregungen weiterwirkten, demonstriert Daniel Gehrt am Beispiel des 1564 erstmals erschienenen Kleinen Corpus Doctrinae, eines von Matthäus Judex für die religiöse Unterweisung verfassten, Luthers Kleinen Katechismus ergänzenden Kompendiums der evangelischen Lehre. In den theologischen Kontroversen, die im Luthertum nach dem Augsburger Interim geführt wurden, sollte diese Schrift die Positionen der Gnesiolutheraner schon in der religiösen Elementarbildung zur Geltung bringen. Gehrt kann 104 Drucke des Kleinen Corpus Doctrinae bis 1827 nachweisen; dieses Kompendium erzielte mithin eine beachtliche Wirkung (149–199).
Die den Band abschließenden Beiträge nehmen teilweise bereits Entwicklungen der Zeit der Gegenreformation in den Blick. Franz Körndle analysiert fünf aus dem 15. Jh. stammende lexikographische Wörterbücher, die auch im 16. Jh. in Gebrauch waren, nach ihren auf die Musik bezogenen Einträgen. In diesen Vokabularien begegnen kaum Begriffe der zeitgenössischen Musiktheorie, häufiger hingegen Stichwörter und Erläuterungen zu Musikinstrumenten. Als Quelle für die Geschichte des Musikunterrichts im 16. Jh. kommt den Vokabularien demnach kein erkennbarer Wert zu (201–210). So­dann macht Körndle in einem weiteren Beitrag wahrscheinlich, dass der Münchner Hofkapellmeister Orlando di Lasso aktiv an Schuldramen der Jesuiten beteiligt war, möglicherweise durch Neukompositionen, nachweislich mit bereits vorliegenden Motetten und Chorgesängen (211–226). Christel Meier schließlich stellt ein in Münster durchgeführtes Forschungsprojekt zur Rolle des Theaters in der Frühen Neuzeit vor. Eine didaktische Funktion kam dem Theater im Rahmen seiner Aufgabe zu, Wertevorstellungen durch theatral-symbolische Kommunikation zu vermitteln. Das frühneuzeitliche Theater erfüllte die ihm zugedachte Rolle als Medium der Belehrung, indem es Lehre »in lebendigen Bildern« darbot (227–248).
Wie die Herausgeberin prophylaktisch betont, bietet der vorliegende Band »keine geschlossene Bildungsgeschichte der Reformationszeit« (VII). Er führt aber exemplarisch ein in dieselbe, auch wenn er die innovatorischen Impulse der Reformation im Bereich der Bildung nur gelegentlich thematisch macht. Literaturverzeichnisse zu den einzelnen Beiträgen sowie Register (Personen, Ort und Sachen) erweisen sich als hilfreiche Erschließungshilfen.