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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

577–578

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hein, Markus, u. Armin Kohnle [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Leipziger Disputation 1519. 1. Leipziger Arbeitsgespräch zur Reformation.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2011. 183 S. m. Abb. = Herbergen der Christenheit, Sonderbd. 18. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-374-02793-4.

Rezensent:

Christopher Spehr

Die Leipziger Disputation im Jahr 1519 war für die theologische Entwicklung Martin Luthers zum Reformator von grundlegender Bedeutung. Durch die Auseinandersetzung mit Johannes Eck traten die hermeneutischen Differenzen zur römischen Kirche massiv in Luthers Bewusstsein und sollten fortan seinen reformatorischen Weg prägen. Die Disputation selbst fand unter großer öffentlicher Anteilnahme vom 27. Juni bis zum 15. Juli 1519 auf der Pleißenburg in Leipzig statt. Es disputierten Andreas Bodenstein genannt Karlstadt und Eck miteinander sowie Luther und Eck.
Im Jahr der 490. Wiederkehr des akademischen Großereignisses fand am Reformationstag 2009 in Leipzig eine wissenschaftliche Tagung zur Disputation statt, deren Vorträge im vorliegenden Band versammelt sind. Die 14 Beiträge befassen sich mit den Kontexten, Akteuren und Wirkungen der Disputation, bieten eine niveauvolle Bestandsaufnahme über das berühmte Streitgespräch und erschließen in interdisziplinärer Weise gehaltvolle Perspektiven, an denen künftige Forschungen zum Thema nicht vorbei kommen werden.
Den Band eröffnet der lesenswerte Beitrag von Armin Kohnle, der die Leipziger Disputation in »ihre[r] Bedeutung für die Reformation« herausarbeitet und als Kern der Disputation den »ekklesiologischen Grundkonflikt« markiert (9–24). Es folgt ein Forschungsüberblick von Markus Hein, in dem eindrucksvoll die Pionierarbeiten des 19. Jh.s zur Disputation dargestellt, das 20. und 21. Jh. aber leider nur kurz gestreift werden (25–34), sowie eine Zu­sammenstellung der zeitgenössischen Briefe, Berichte und Protokolle der Disputation durch Christian Winter (35–44). Nachdem Quellenbasis und Forschungsstand notiert sind, widmen sich Thomas Noack der Pleißenburg als Ort der Disputation (45–54) und Enno Bünz »Territorium – Stadt – Universität« als dem historischen Umfeld der Disputation (55–72).
Mit den Hauptakteuren befassen sich vier Beiträge: Heiko Jadatz widmet sich Herzog Georg von Sachsen (73–86), Helmar Junghans Martin Luther, insbesondere dessen kurz vor der Disputation fertiggestellter Resolutio – der argumentativen Widerlegung des Primates des römischen Bischofs – (87–94), Johann Peter Wurm dem Kontrahenten Johannes Eck (95–106) und Markus Cottin dem Merseburger Bischof Adolf von Anhalt (107–116). Insbesondere die Beobachtungen von Cottin zu den Möglichkeiten und Grenzen kirchenpolitischen Handelns des Bischofs, der unmittelbar die Auswirkungen der reformatorischen Bewegung zu spüren bekam (z. B. seit 1519 deutlicher Einbruch bei der Zahl der Priesterweihen, Rück­gang beim Spendenaufkommen in Markranstädt), er­öffnen der Kirchengeschichtsforschung ein differenziertes Bild über die Merseburger Diözese in den frühen 1520er Jahren. Dass Karlstadt nicht durch einen eigenen Beitrag im Sammelband vertreten ist, bedauern die Herausgeber explizit. Es habe sich schlichtweg kein Referent finden lassen. Diese Leerstelle sollte durch eine Intensivierung der kirchenhistorischen Karlstadtforschung dringend ge­schlossen werden!
Hatte bereits Junghans als zentralen Streitpunkt vor der Disputation die Frage nach dem Primat des Papstes umsichtig herausgearbeitet, weitet Volker Leppin anhand des Disputationsprotokolls die Thematik auf »Papst, Konzil und Kirchenväter« und pointiert die dort zutage tretenden fundamentalen Differenzen in der Autoritätenfrage (117–124). Während Luthers Kritik am Papstprimat bereits vor dem Streitgespräch bekannt war, gelang es Eck mittels der auf dem Konstanzer Konzil verurteilen Sätze des Jan Hus, Luther die folgenreiche Aussage abzutrotzen: Ein Konzil habe bisweilen geirrt und könne bisweilen irren, zumal in den Dingen, die nicht den Glauben betreffen (WA 59; 500,2081–2083). Mit dieser Position hatte Luther den Lehrkonsens des Mittelalters über die kirchlichen Autoritäten endgültig verlassen, so dass er in Folge der Leipziger Disputation seine reformatorische Autoritätenlehre mit aller Deutlichkeit entfalten konnte.
Die folgenden Beiträge gruppieren sich um die Erinnerung und Wahrnehmung des Leipziger Ereignisses. Michael Beyer skizziert Luthers Erinnerungen an die Disputation (125–130) und Christoph Volkmar behandelt die Disputation »in den Augen der Zeitgenossen« unter dem Titel »Von der Wahrnehmung des Neuen« (131–142). Über die Illustrationen der Disputation handelt der instruktive Beitrag von Doreen Zerbe, der durch eindrückliches Bildmaterial bereichert ist (143–158), wie überhaupt eine Stärke des Bandes in der umsichtigen Auswahl und Präsentation zentraler Bildmaterialien zum Thema besteht.
Abgerundet wird der durch ein Personenverzeichnis bereicherte Tagungsband durch einen Beitrag von Christoph Münchow, der die Themen der Leipziger Disputation als ungeklärte Kernthemen des heutigen ökumenischen Dialogs identifiziert und als im katholisch-evangelischen Gespräch der Verständigung und Klärung bedürftig interpretiert (159–171). Es steht zu wünschen, dass weitere kirchenhistorische und systematische Forschungen zur Leipziger Disputation durch diesen Tagungsband angeregt werden.