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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

575–576

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Asche, Matthias, Buchholz, Werner, u. Anton Schindling [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die baltischen Lande im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Livland, Estland, Ösel, Ingermanland, Kurland und Lettgallen. Stadt, Land und Konfession 1500–1721.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2009–2012. 4 Teilbde. = Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 69–72. Kart. Teilbd. 1: 2009. 228 S. EUR 26,80. ISBN 978-3-402-11087-4. Teilbd. 2: 2010. 216 S. EUR 26,80. ISBN 978-3-402-11088-1. Teilbd. 3: 2011. 184 S. EUR 24,80. ISBN 978-3-402-11089-8. Teilbd. 4: 2012. 215 S. EUR 24,80. ISBN 978-3-402-11090-4.

Rezensent:

Gert Haendler

Das Heft 72 schließt die Hefte 69–71 der Reihe »Katholisches Leben und Kirchenreform« ab, die bereits den baltischen Ländern galten. Im Vorwort sagen die Herausgeber, dass die Hefte den Zäsurcha­rakter der Reformation und den Begriff Konfessionalisierung hin­terfragen. Sie wollen zeigen, »daß die Trennung der Konfessionen, mithin eine spezifisch katholische oder protestantische Konfessionskultur im Alltag der Menschen, eher später als früher angesetzt werden muß«. Man solle von Konfessionsbildung oder von Kon­fessionalisierung reden, »mithin von einem konfessionellen Zeit­alter« (10). Im Baltikum haben außer dem Luthertum die Herrnhuter und die Ostkirche eine Rolle gespielt. Zudem hatten die Letten mehr noch als die Esten auch eine katholische Tradition mit zu integrieren.
Markus Gerstmeier und Krista Kodres untersuchen den Hauptaltar des Revaler/Tallinner Doms, den der vordere Buchumschlag zeigt. Die aus dem Mittelalter stammende Kirche war seit 1561 Sitz des vom schwedischen König ernannten Bischofs und Pfarrkirche der dortigen Gemeinde. Nach einem Brand 1648 wurde die Kirche neu aufgebaut. Der dazu entworfene Altar soll als porta triumphalis das Ineinander-Verflochtensein der örtlichen Landesherrschaft, also »der schwedischen Krone und der evangelisch-lutherischen (Landes-)Kirche zum Ausdruck bringen«. Das war in Schweden für beide Seiten konstitutiv sowohl als »Legitimationsgrundlage für die Herrschaft der jüngeren Vasa als auch für Gültigkeit und Fortbestand der unveränderten Confessio Augustana« (23).
Magnus von Hirschheydt bietet Regentenlisten und Übersichten zu den höchsten geistlichen und weltlichen Amtsträgern in den baltischen Ländern 1500–1721. Es folgen ikonographische Beiträge: Abb.1, a–c zeigt das »Markgrafenfenster« in der Nürnberger Sebalduskirche mit sechs Hohenzollern, darunter Albrecht, der später als Hochmeister nach Preußen ging, das Land 1525 in ein Herzogtum verwandelte und so die Linie zum Königtum in Preußen 1701 eröffnete (47). Freilich lässt jenes Bild keine Stellung zur Reformation erkennen (54). Markus Gerstmeier und Ojars Sparitis untersuchen das Grabmal des letzten katholischen Erzbischofs von Riga, Wilhelm von Brandenburg-Ansbach. Jens E. Olesen und Wolf von Buchholtz gehen dem Siegel des Herzogs Magnus von Holstein nach, der als Bischof von Ösel und Kurland hohe Ziele erstrebte. Er wurde 1570 in Moskau zum König von Livland gekrönt, doch wurde er 1578 polnischer Lehnsmann (64).
Einer genealogischen Übersicht über die Herzogsdynastie Kettler in Kurland und Semgallen 1561–1737 von Matthias Asche folgen Bilder jener Familie. Julia Trinkert stellt das kurz vor 1584 geschaffene Gemälde (Abb. 5) »Gotthart Kettler und Anna von Mecklenburg« in Mecklenburgs Maltradition vor (71). Die Abb. 6–11 kommentieren Markus Gerstmeier und Ojaris Sparitis: Abb. 6 zeigt Gotthard Kettler aus der Sicht des 19. Jh.s. Auf Abb. 7 sieht man ein Wappen von 1643 am Sarg Fried­rich Kettlers (77). Die Abb. 8–11 zeigen Wilhelm Kettler, Jakob Kettler mit Luise Charlotte von Brandenburg, Friedrich Casimir Kettler sowie Friedrich Wilhelm Kettler, Abb. 12 das Schloss Mitau.
Juhan Kreem stellt die livländische Reformation im Spiegel der estnischen Geschichtswissenschaft dar. Er nennt Aufsätze in Ta­gungsbänden, die im Um­kreis der Theologischen Fakultät Tartu entstanden (113). Man sieht die Reformation nicht als Grenze von Epochen, sondern in Kontinuität der livlän­dischen Geschichte (115). Ähnlich beschreibt Valda Klava die livländische Reformation im Spiegel der lettischen Geschichtswissenschaft mit dem Resümee: »Während die Rolle der Reformation in der Entwicklung der lettischen Bildung, des Schrifttums, der Sitten und anderer Kulturbereiche detailliert betrachtet wird, bleiben Vorstellungen von ihrem Ablauf und ihren Ergebnissen unter der deutschsprachigen Landesbevölkerung oberflächlich und fragmentarisch. Auf diese Weise verliert die Reformation ihren epochenbildenden Charakter und Wechselwirkungen zwischen Abläufen der Reformationsprozesse im Ostseeraum und in Europa werden in ihrer Bedeutung unterbewertet. Eine Überwindung bahnt sich in neuesten Forschungen zur Kunst-, Literatur- und Kirchengeschichte an« (141).
Sergiusz Michalski geht zehn Fällen von Bilderstürmerei 1524 und 1526 nach, die von der zaristischen Propaganda hochgespielt worden waren (147–162). Bei einer Restaurierung des Rigaer Doms 1884 wurden in einer von Bürgermeister Eck († 1623) gestifteten Kapelle zwei neue Fenster eingebaut, die die Reformation im Rückblick sehen. Markus Gerstmeier und Ojars Sparitis stellen sie unter den Titel »Der deutschbaltische Blick auf die Reformation«. Sie erkennen »die bekannten Deutungsmuster des Kulturprotestantismus, hier aus dem 19. Jahrhundert in deutschbaltischer Reinkultur« (168).
Ausführliche Register zu den Heften 69–72 beschließen den Band, der gerade mit seinen Abbildungen für den Kirchengeschichtler wertvoll ist. Die Geschichte der uns eng verbundenen Landschaft wird auch auf diese vielfältige Weise neu erhellt.