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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

379–381

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Uthemann, K. H., Regtuit, R. F. und J. M. Tevel [Ed.]

Titel/Untertitel:

Homiliae Pseudo-Chrysostomicae. Instrumentum studiorum. Vol. I in memoriam Bernardi de Montfaucon (1655–1741).

Verlag:

Turnhout: Brepols 1994. II, 307 S. gr. 8o.

Rezensent:

Eckhard Reichert

Die vorgelegte Textsammlung eröffnet ein Unternehmen, das weit über die Erforschung der griechischen christlichen Literatur der Spätantike hinaus Aufmerksamkeit beanspruchen darf. Die Hgg. haben sich nämlich die Aufgabe gestellt, in den nächsten Jahren möglichst alle griechisch überlieferten, aber bisher nicht edierten pseudo-chrysostomischen Homilien zugänglich zu machen. Für die patristische Forschung sind diese Texte von großer Bedeutung. Doch harren noch zahlreiche überlieferungsgeschichtliche und textkritische Fragen der Klärung. Außerdem stehen die Probleme und Tendenzen der Forschung an den Pseudo-Chrysostomica in so engem Zusammenhang mit der Arbeit an den Chrysostomica, daß, wer Pseudo-Chrysostomica herausgibt, auch die Chrysostomica ständig im Blick behalten muß, um so u. a. auch deren Edition zu fördern. Bereits die Zahl der in Frage stehenden Texte könnte aber zur Zurückhaltung raten, denn als Diakon konnte Johannes Chrysostomos nach eigener Aussage keinen Tag verstreichen lassen, ohne seine Gemeinde in Antiochien "aus den Schätzen der heiligen Schrift zu nähren" (Hom. in Gen. 28, 1; 82, 2). Und später als Bischof und Patriarch von Konstantinopel predigte er noch einmal in der Woche (vgl. Hom. 30, 3 in Act.).

Zum großen Teil sind diese Texte erhalten, und die Zahl der Homilien, die unter dem Namen des Chrysostomos überliefert sind, aber, wenn man von einigen noch diskutierten Zweifelsfällen absieht, mit Sicherheit nicht auf ihn selbst zurückgehen, geht in die hunderte. Gedruckt liegen etwas mehr als 300 Pseudo-Chrysostomica vor; mindestens die doppelte Anzahl ist nicht ediert. Zuweisungen an andere Autoren sind unternommen worden. Ins Spiel gebracht wurden Nestorius, Severian von Gabala, Flavian von Antiochien, Amphilochius von Iconium, Euseb von Alexandrien, Hesych von Jerusalem, Gregor von Antiochien, Anastasius Sinaita, Proklos von Konstantinopel, Basilius von Seleukia, Johannes von Damaskus, aber auch der "römische" Hippolyt. Angesichts des Forschungsstandes würden deshalb selbst vorsichtige Schätzungen für eine kritische Ausgabe nur der pseudo-chrysostomischen Homilien, die allen wissenschaftlichen Standards und Ansprüchen des 20. und bald des 21. Jh.s zu genügen trachtete, sicher nicht weniger als ein Gelehrtenleben veranschlagen. Eine Anregung, die auf J. Paramelle, den langjährigen Direktor des Institut de recherche et d’histoire des textes in Paris, zurückgeht, führte zu einem anderen Plan. Die Hgg. knüpfen an die Tradition der großen "nicht kritischen" Ausgaben vor allem des 17. und 18. Jh.s an und vermeiden, "soweit dies möglich ist, jeden Ansatz zu einer kritischen Edition" (3). Auf diese Weise wird in vertretbarer Zeit ein Arbeitsmittel auch für Gelehrte der benachbarten Disziplinen bereitliegen können. Damit wird zum einen die Überlieferung für zukünftige kritische Editionen der Autoren gesichtet, die in der Forschung als Verfasser von Pseudo-Chrysostomica diskutiert werden, denn bei der Zuweisung pseudonymer Schriften können innere Kriterien durch äußere Kriterien wie etwa die Corpuszugehörigkeit mindestens gestützt werden. Und zum anderen wird durch die Herausgabe der griechischen Texte die Bearbeitung der weitverzweigten nichtgriechischen handschriftlichen Überlieferung der Pseudo-Chrysostomica erheblich erleichtert.

Der vorgelegte Band macht deutlich, daß die von den Hgg. getroffene Entscheidung richtig war. Er enthält 42 Texte, die in liturgischen Handschriften und Chrysostomos-Homiliaren überliefert sind. Die Überlieferung ist meist schmal, oft steht nur eine Handschrift zur Verfügung. Auch eine große kritische Ausgabe wird deshalb in einer Vielzahl von Fällen keinen besseren Text als dieses Instrumentum studiorum bieten können. Einen deutlichen Schwerpunkt bilden Pseudo-Chrysostomica, die wahrscheinlich zum Corpus Severians von Gabala gehören. Über diese Auswahl wird niemand rechten; sie ist bestimmt durch die jüngere Forschungsarbeit an den pseudo-chrysostomischen Homilien, die durch Workshops in Aarhus (1987) und Amsterdam (1991) markiert wird und neben anderen Zielen eine kritische Ausgabe der Werke Severians für das Corpus Christianorum anstrebt.

Die vorgelegte Ausgabe ist praktisch eingerichtet. Die Anlage des Bandes weist deutlich auf die reiche Editionserfahrung, über die K.-H. Uthemann verfügt. Eine knappe Einleitung informiert über die Geschichte des Bandes (1-2), es folgen die Texte (4-269).

Gelegentlich geben knappe Hinweise hilfreiche Auskunft über Besonderheiten der Überlieferung. Beigegeben sind aliquae lectiones variantes necnon adnotationes (271-278). Vier Indices (Index locorum sacrae scripturae [281-294]; Index onomasticus [295-301]; Index codicum [302-303]; Index textuum secundum ordinem clavis patrum Graecorum [304]), ein Verzeichnis der veröffentlichten Texte, die nicht in CPG erfaßt sind (305) und ein Inhaltsverzeichnis (306-307) beschließen den Band. Ein Index verborum soll "in absehbarer Zeit nachgeliefert" (2) werden.

Die Hgg. haben für die Geschichte der Predigt und die Liturgiegeschichte, aber auch für die Erforschung der griechischen und nichtgriechischen christlichen Literatur des Nahen Ostens überhaupt ein treffliches Arbeitsmittel bereitgestellt. Dem Unternehmen ist ein rascher Fortgang zu wünschen.