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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

549–551

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Marttila, Marko

Titel/Untertitel:

Foreign Nations in the Wisdom of Ben Sira. A Jewish Sage Between Opposition and Assimilation.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2012. X, 287 S. = Deutrocanoncical and Cognate Liter­at­ure Studies, 13. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-027010-5.

Rezensent:

Thomas R. Elßner

Ein Gemeinplatz ist, dass das Buch Ben Sira/Jesus Sirach in den letzten Jahren ein anhaltendes exegetisches Interesse erfährt. So wird auch mit dem hier anzuzeigenden Buch des finnischen Alttestamentlers Marko Marttila, Universität Helsinki, ein weiterer Mo­saikstein der Sirachforschung hinzugefügt. M. gliedert seine Un­tersuchung in sechs Kapitel, während das siebente die Ergebnisse zusammenfasst (Summary, 225–232).
Das erste Kapitel behandelt Einleitungsfragen (The Book of Ben Sira, 10–16), zudem geht es um die Person Ben Siras und um die Zeit­umstände, in denen er wirkte (The Historical Figure of Ben Sira, 1–10; Political Circumstances in Ben Sira’s Time, 17–19; Jerusalem in Ben Sira’s Time, 20–25). Ebenfalls gibt M. einen Forschungsüberblick zum Thema »Ben Sira and Foreign Nations/Cultures« (25–39). Eine wichtige Rolle spielt dabei die Verhältnisbestimmung zwischen »general wisdom« und »special wisdom« (Israel, 37–39). Dieser Aspekt ist vor dem Hintergrund zu verstehen, wie Ben Sira sich bezüglich nicht-jüdischer Kulturen ins Benehmen zu setzen ge­denkt ( isolation, assimilation or adaptation, 31). Das erste Kapitel schließt mit »Research Aim« (40 f.). M. hebt hier hervor: »It was more important for Ben Sira to deal with the relationship between individuals (family, members, friends) than between nations« (40). Dies wiederum begründet die Auswahl der von M. untersuchten Sirach-Texte (Sir 24; 36; 44–50) hinsichtlich »foreign nations« unter Hinzuziehung anderer relevanter Verse (Sir 4,15; 8,2; 10,1–5; 10,8; 10,14–18; 16,6–10; 39,23).
Ab dem zweiten Kapitel setzt M. sich mit konkreten Texten auseinander, und zwar beginnend mit Sir 16,24–17,24 (Convenant with Mankind according to Sirach 17, 42–79). Gleich zu Beginn macht sich aber insofern eine generelle methodische Schwierigkeit im Umgang mit der Sirach-Überlieferung bemerkbar, die jedoch wenig problematisiert wird, als M. einen Mischtext als Ausgangstext bietet. Da nur Sir 16,24–26 in Hebräisch vorliegt (MS A), wird kurzerhand anscheinend nicht nur auf den kürzeren (Gr I), sondern zudem an einigen Stellen auch auf den längeren griechischen Text (Gr II) zurückgegriffen. Aber auch die Textabgrenzung sowohl nach oben als auch nach unten wird in der Forschung unterschiedlich gewertet (vgl. Marböck in seinem Teilkommentar 2010), wenngleich richtig ist: »there is no scholarly consensus concerning the compositional structure of Sirach« (42). Aus Sir 17,1–24 geht hervor, dass Gott der eine Schöpfer aller Menschen ist und somit allen Weisheit zugeteilt hat. Auf diese Weise bringe der Sirazide (der he­bräische?) »some sympathy towards other nations« auf, und schließlich sei ein Bemühen erkennbar, »to bring the Gentiles and Israel more closely together« (79). Dass Gott nach M. ein zusätzliches Maß an Weisheit Israel zugeteilt habe ( This extra measure was poured in the Torah of Israel, 79), geht strenggenommen jedoch nicht aus jenem Text hervor. Zu diskutieren ist, ob Sir 17,17 trotz Bezugnahme auf Josef Haspecker (1967) als »a later gloss« (79) zu interpretieren sei.
Das dritte Kapitel widmet sich Sir 24 (Wisdom, Israel and Other Nations in Sirach 24, 80–118). Nahezu gleich zu Beginn dieses Kapitels muss M. einräumen: »Unfortunately, Sirach 24 is not preserved to us in its Hebrew form« (81). Unter Verweis auf Dtn 4,5–8 und Dtn 12 habe nach M. Ben Sira Sir 24 »in the Deuteronomistic spirit« geschrieben und die Figur der personifizierten Weisheit aus Spr 8 entlehnt (118). Letztlich sei der Kontrast zwischen Israel und den fremden Völkern insofern nicht so scharf, als diese selbst an Weisheit gewinnen können, wenn sie das Gesetz Israels ( the Law of Israel) akzeptieren, zumal die Weisheit alle einlädt (Sir 24,19). Da­her: »Ben Sira made a huge effort to combine traditions of the ancestors and the prevailing Hellenistic culture« (118). So gelinge Ben Sira eine beachtliche Synthese durch die Identifizierung der universellen Weisheit mit der Tora. Kritisch bleibt zu fragen, ob diese Synthese in Gänze bereits auf das Konto Ben Siras oder erst auf die Übersetzung von dessen Enkel im hellenistisch geprägten Alexandrien geht. An dieser Stelle sei vermerkt, dass der sog. Prolog nicht eigens behandelt wird.
Das vierte Kapitel, welches M. als »importance for our own survey« (119) bezeichnet, beschäftigt sich mit Sir 36. In diesem Kapitel bietet M. den betreffenden Text in einer hebräischen Fassung, wiederum versehen mit Übersetzung und textkritischen Anmerkungen. Dieser Text basiert auf der sogenannten Handschrift B, die eine mittelalterliche Abschrift aus der Kairo Geniza ist. Als litera­rische Gattung bestimmt M. Sir 36 in Anlehnung an die bisherige Forschung als ein Gebet, näherhin als »national lament« (132). Wenngleich M. Sir 36 einen »extraordinary text« (156) nennt und dieses Gebet als »quite odd for most parts of Sirach« (157) charakterisiert, findet er dennoch z. B. im Gebrauch der Gottesbezeichnung »God of All« (Sir 36,1) im Vergleich mit Sir 43,27; 45,23; 50,22 »a strong argument in favour of Ben Sira’s authorship for Sir 36« (156). Jedoch nur wenige Zeilen später relativiert M. seine Einschätzung insofern, als er mit Blick auf Sir 36 salomonisch von »genuine material from Ben Sira« spricht und zudem Verständnis für die hat, die zu anderen Ergebnissen als er selbst kommen. Bezüglich der fremden Völker zeige Ben Sira sich durchaus aufgeschlossen, sie sollten je­ doch »Yahweh’s superiority« anerkennen; ihre Disziplinierung seitens Gottes diene dazu, dass sie von ihrer Überheblichkeit und ihrem Götzendienst abließen und den einen wahren Gott anerkennten (»the recognition of the only true God«, 157).
Im fünften Kapitel wendet M. sich dem »Lob der Väter« (Sir 44–50) zu (158–216). Dieses Kapitel enthält zudem einen längeren Exkurs, warum Esra von Ben Sira nicht berücksichtigt wird (192–206). Näherhin untersucht M. Sir 44,1–15.19–23; 45,23–26; 46,1.3.4.5b und Sir 50,25–26, wobei Sir 44,19–23 wiederum als Mischtext geboten wird. Insgesamt werden die fremden Völker im »Lob der Väter« nicht einseitig negativ beschrieben. Denn durch die Nachkommen Abrahams werden die Völker ja gesegnet werden (Sir 44,21). Weitere Anhaltspunkte für einen mehr universalen Ansatz Ben Siras sieht M. darin, dass er bestimmte grausame Details, z. B. die Handlung Pinhas in Num 25, oder die ausländische Herkunft der vielen Frauen Salomos nicht erwähnt (216). Diese Vorgehensweise berühre das alte Rätsel ( the old riddle), weshalb Ben Sira Esra nicht nennt, und zwar wegen dessen Partikularismus. Kritisch ist jedoch anzumerken, dass es immer schwierig ist, aus nicht erwähnten Dingen sichere Schlüsse zu ziehen.
Im sechsten Kapitel werden einzelne Verse in Bezug auf fremde Völker analysiert (Sir 4,15; 8,2; 10,1–5; 10,8; 10,14–18; 16,6–10; 39,23), wobei formal zu fragen ist, weshalb Sir 50,25–26 nicht in dieses Kapitel eingeordnet wird, zumal es sich bei Sir 10,1–5; 10,14–18 und Sir 16,10–16 um längere Passagen handelt.
Ein Literaturverzeichnis (233–265), eine Liste moderner Autoren (267–271) sowie ein Schriftstellenregister beschließen den Band.
Die Arbeit von M. hilft, die differenzierte Sicht des Siraziden auf sog. fremde Völker zu schärfen, so dass auch unter dem Aspekt von Integration, interkultureller und interreligiöser Kompetenz diese Untersuchung zu empfehlen ist.