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Ausgabe:

Mai/2013

Spalte:

540–541

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dietrich, Walter, u. Wolfgang Lienemann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionen – Wahrheitsansprüche – Konflikte. Theologische Perspektiven.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2010. 244 S. m. Abb. = Beiträge zu einer Theologie der Religionen, 10. Kart. EUR 27,80. ISBN 978-3-290-17558-0.

Rezensent:

Claus-Dieter Osthövener

Die insgesamt acht Beiträge des Bandes verdanken sich zumeist einem Symposion zum titelgebenden Thema, das 2008 in Bern stattfand. Einleitend skizziert Wolfgang Lienemann die allem zugrunde liegende Leitfrage, »ob und wie mittels theologischer Reflexion Konflikte, die u. a. durch ein kommuniziertes Wahrheitsbewusstsein und das Geltendmachen von Wahrheitsansprüchen ausgelöst oder verstärkt werden, so bearbeitet werden können, dass die Religionsgemeinschaften und ihre Anhänger ihrer erkannten Wahrheit treu bleiben und zugleich den gesellschaftlich-politischen Frieden finden und wahren können« (12). Das ist ein anspruchsvolles Programm – voller systematischer, historischer sowie soziologischer Prob­leme. Lienemann arbeitet insbesondere den krisenhaften Cha­rakter der gegenwärtigen Konfliktlinien heraus und scheut sich nicht vor der Zuspitzung, ob Menschen, denen ihre Religion exis­tenziell bestimmend und wertvoll ist, »auch und womöglich in gleicher Weise von der Richtigkeit und Wahrheit anderer Religionen überzeugt sein« können (36). Bis zu dieser Spitzenfrage dringen freilich die folgenden Beiträge kaum einmal vor, entfalten aber ein im Ganzen interessantes Tableau von Perspek­tiven.
Walter Dietrich stellt die weitreichende These auf, dass mit dem Alten Testament »in die christliche Bibel ein sehr weiter, geradezu interreligiöser Geist Eingang« fand (84). Ulrich Luz geht der Frage nach, wie sich durch den Eintritt des Christentums in die Spätantike dasjenige herausbildete, was wir heute »Theologie« nennen. Reinhold Bernhardt versucht, den Offenbarungsbegriff und die Christologie mithilfe des Gedankens der Repräsentation so zu re­formulieren, dass sie an eine theologisch verantwortbare interreligiöse Praxis anschlussfähig werden. Christine Lienemann-Perrin untersucht in interessanten Fallstudien aus dem Bereich des Hinduismus den Vorgang der Konversion. Andreas Feldtkeller entwirft eine Matrix zur Untersuchung konfligierender Wahrheitsansprüche insbesondere missionarischer Religionen. Der hier zugrunde liegende Religionsbegriff (Deutung und Gestaltung von menschlichen Grunderfahrungen) ist bewusst vage gehalten, um möglichst weiträumige Beobachtungen anstellen zu können. Interessant sind vor allem Überlegungen zum differenzierten Zusam-menhang von Wahrheitsanspruch und Durchsetzungsanspruch von Religionen.
Der eindringlichste Beitrag stammt von dem Islamwissenschaftler Reinhard Schulze, der zugleich der Einzige ist, der in nennenswertem Maße ältere Theoriemodelle ins Gespräch bringt (Weber, Otto, Harnack, Jaspers, Wellhausen), die in den anderen Beiträgen mehr oder minder elegant ausgespart werden. Zwar geht es auch hier (wie schon bei Feldtkeller) nicht ohne Schaubildchen ab, sie lassen sich jedoch verlustfrei ignorieren. Aus der Vielzahl der mitunter allerdings nur leichthin angerissenen Problemfelder sei die Entfaltung der polaren Klassifikatoren »sakral/profan«, »transzendent/immanent« und »religiös/säkular« herausgehoben, denen (darin vergleichbar den Weberschen Idealtypen) sowohl systema­tische wie historische Erschließungskraft zugeschrieben wird. Er­kennbar ist das Bemühen darum, nicht ohne Not moderne Fragestellungen in die (insbesondere archaische) Religionsgeschichte hineinzutragen sowie das Eigenrecht der jeweiligen religiösen Phänomene zu wahren. (Schulze ist darin Rudolf Otto sehr viel näher, als ihm selbst klar ist; die gelegentlichen Abgrenzungen (164 f.174 f.) beruhen auf ungenauer Lektüre, die im Fall Ottos bekanntlich eher die Regel als die Ausnahme ist.) Der Fokus liegt jedoch auf der Differenz von Religion und Säkularität, die hier nicht als zeitliche Ab­folge betrachtet wird, sondern als »ein einheitlicher Prozess« (158). In der Anwendung auf den Islam zeigt sich, dass der Autor daran interessiert ist, die üblichen Schemata (Untrennbarkeit von Religion und Politik etc.) hinter sich zu lassen und einen Prozess der Säkularisierung, aber auch der »Religionisierung« (188) zu entwerfen, innerhalb dessen eine neue Verständigung zwischen den Religionen möglich wird. Auch wenn man dem Autor nicht überall folgen mag, ist doch die Konzeption insgesamt vielversprechend. Allerdings, wie es bei solchen Konzeptionen zu sein pflegt, ist sie auch sehr voraussetzungsreich und es fragt sich schon deswegen, ob sie in eine innerhalb der jeweiligen Religionsgemeinschaften akzeptierte »Theologie« überführbar ist, die, im Sinne der einleitenden Betrachtungen, Konfliktpotentiale wirksam und weitreichend zu entschärfen vermag.