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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

516–518

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Teuffel, Jochen

Titel/Untertitel:

Mission als Namenszeugnis. Eine Ideologiekritik in Sachen Religion.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. IX, 269 S. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-16-149910-4.

Rezensent:

Gerhard Sauter

Jochen Teuffel unterrichtete 2002–2008 Systematische Theologie am Lutheran Theological Seminary in Honkong. Während dieser Zeit lernte er nicht nur viele Studierende auch aus China und aus anderen fernöstlichen Ländern kennen; er hat sich auch dort um­gesehen und die gewonnenen Eindrücke mit der Sicht christlicher Missionsgeschichte verglichen, wie sie seit Jahrzehnten in Europa und den USA vorherrscht.
Die ersten vier Kapitel der Studie enthalten eine überzeugende Revision dieser Sicht, die »Mission« als Seitenzweig von Kolonisation und abendländischem Kulturimperialismus abwertet. Nachweislich wird sie dem Selbstverständnis der Christen, deren Kirchen aus evangelischer Mission erwachsen sind, ebenso wenig gerecht wie ihren vielfältigen missionarischen Aktivitäten. T. widerlegt u. a. das Vorurteil, Mission gefährde indigene Kulturen (65 f.95–97). Er weist nach, wie die Übersetzung der Bibel in die Muttersprachen auch kulturelle Identitätsbildung förderte, indem sie half, das Evangelium mit »eigenen Worten im je eigenen Lebenskontext in glaubhafter Weise« zu bezeugen (42). Ein solches Zeugnis bedarf Lebensformen, in denen persönliches und soziales Wohlergehen dank der »wirkungsbezogenen Lehre« (21) biblischer Botschaft angestrebt wird. Diese »Wohlergehenslehre« (28.31–36) gewinnt vor allem in der südlichen Hemisphäre mehr und mehr an Bedeutung (81–85). Als Heilslehre wird sie auch deshalb erlebt, weil sie die »Interdependenz zwischen sichtbaren und unsichtbaren Wirkungen in der Lebenswelt von Menschen« bestätigt (ebd.). Eingeübt wird diese Auffassung des Evangeliums in hohem Maße im Bildungswesen: In christlichen Kindergärten, Schulen und Hochschulen, deren Standards auch von Nichtchristen sehr geschätzt werden, wachsen junge Menschen un­gezwungen in einen in Geschichte und Gegenwart bezeugten Glauben hinein – gegenläufig, so wäre hinzuzufügen, zu englischen und nordamerikanischen Schulen, Colleges und Universitätsabteilungen, die ihre kirchliche Gründung heute möglichst verschleiern; Fächer, in denen in die christliche Überlieferung eingeführt worden ist, wurden dort weitgehend abgeschafft oder »umgewidmet«. Was in den Missionskirchen geschieht, mag in den Augen mancher »westlicher« Beobachter leicht unter den Verdacht des Fundamentalismus fallen (13). Doch ein Leben mit der Bibel, das Verbindlichkeit nicht scheut, ist »nichts anderes als die emanzipatorische Schriftlektüre in der eigenen Muttersprache« (62).
Der zweite Teil entfaltet den Titel des Buches. Den Begriff »Gott« zu übersetzen, hat sich auf vielen Missionsfeldern als unmög-lich erwiesen. Darum plädiert T. dafür, vom biblisch bezeugten NA­MEN auszugehen, der als personales Geschehen erzählt wird (130). Seinen Eigennamen, den »der HERR« seinem Volk auferlegt hat (182, Anm. 42), verbindet sich im Passahgeschehen mit Jesus Chris­tus: so, dass alle Menschen durch den Namen des Sohnes Zugang zum Vater erhalten (131). »Christliche Theologie ist NA­MENSbestimmt, was nichts anderes heißt, als Jesus Christus mit eigenen Worten und Taten anderen gegenüber so zu bezeugen, so dass diese durch den Namen Jesu IHM [dem HERRN] ihr Vertrauen schenken können.« (ebd.) Aus dieser Perspektive unterzieht T. nicht nur ein allumfassendes »Gottdenken« im Sinne einer »Seinshierarchie« (127), sondern auch »Religion« als neuzeitliche Universalidee einer durchgreifenden Kritik. Sie fällt radikaler aus als manche pauschale Absage an Traditionen »westlicher« Theologie, wie sie in den 1960er und 1970er Jahren vor allem aus den Reihen der Befreiungstheologie zu vernehmen war. »Religion«, urteilt T., sei »ein neuprotestantisch-europäisches Konstrukt ohne allgemeinkulturelle Fundierung«, mit Anhängern vorzugsweise unter »kirchendistanzierten« Europäern (176). Darum habe sich ein »interreligiöser Dialog« außerhalb Europas und den USA naturgemäß nie entwickeln können, wohl aber eine Verständigung über Fragen des alltäglichen Zusammenlebens (189–191).
Dies alles ist bedenkenswert, auch wenn es oft allzu antithetisch formuliert wird. Gerade deshalb sollte T. das christliche Namenszeugnis darlegen, um substantiell zu verdeutlichen, was es im theologischen Kontext des Namens »Jesus Christus« umfasst.
Indem er jegliches »Kulturchristentum« ablehnt, möchte T. wohl Konsequenzen aus Luthers Zwei-Reiche-Lehre ziehen, die allerdings m. E. das Aufgabenfeld einer theologischen Ethik schmälern.– Der von T. abgewiesene Platonismus dürfte zwar als Ferment der Gotteslehre mehr als fraglich sein. Aber er hat in seiner mittleren Form es der Alten Kirche doch auch ermöglicht, Denk­erfahrungen zu gewinnen, die in der Christologie, der Trinitätslehre und in An­sätzen der Eschatologie mit Hilfe biblischer Wortprägungen präzisiert werden konnten. Ob die Missionskirchen im Laufe der Zeit Ähnliches erreichen? Ich vermute, dass sie sich in Fern­ost – ähnlich wie die Alte Kirche mit dem Platonismus und die Reformation mit der aristotelischen Anthropologie und Ethik – noch ein­gehender als bisher mit dem konfuzianischen Erbe, das nach wie vor die ostasiatische Gesellschaftsstruktur, Erziehung und Handlungsnormen prägt, auseinandersetzen müssen.
Nur einmal streift T. die »apokalyptische Ausrichtung« der christlichen Missionsbotschaft (179), die wohl in Asien und Afrika weniger anspricht als die kultisch-liturgisch erlebte Heilsgegenwart. Diese Fehlanzeige für die Eschatologie ist jedenfalls für das asiatische Denken ehrlicher als eine Vermittlung des missionarischen Elans junger Kirchen mit dem amerikanischen Fortschrittsenthusiasmus, wie sie etwa in Südkorea zu beobachten ist (vgl. z. B. Sun-Hee Kwak, Eschatology and Christian Mission, Seoul 2000). Für T. bleibt dagegen die Hoffnung auf die Vollendung des Reiches Gottes und die Erneuerung der Schöpfung zu Recht konstitutiv für die christliche Mission; sie schütze die Mission davor, »sich eine eigene Agenda zu geben« und sich etwa als Mittel zur Ausbreitung des Christentums zu verstehen (233–235).
Auch wenn T. unter dem Eindruck seiner Erfahrungen in Fern­ost eine gewisse »Entfremdung von der sogenannten ›abendländisch-christlichen‹ Kultur« erlebt hat (VIII), ist er doch seiner in Deutschland erworbenen theologischen Bildung treu geblieben. Sie hat ihm, verbunden mit scharfsichtiger Beobachtungsgabe, eine eindrucksvolle Analyse mit zahlreichen Anstößen ermöglicht. Ein mit theologischer Leidenschaft geschriebenes, gut lesbares, informatives Buch – anregend gerade in einer Situation, in der die Missionswissenschaft hierzulande einen schweren Stand hat oder gar durch eine deskriptive Religionswissenschaft ersetzt wird, die von asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen Christen kaum mehr als theologische Gesprächspartnerin anerkannt werden kann. T.s Ideologiekritik verdient auch in anderen theolo­gischen Fä­chern Beachtung, besonders in der Systematischen Theologie.