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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

514–516

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Reller, Jobst [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Die Mission ist weiblich«. Frauen in der frühen Hermannsburger Mission.

Verlag:

Berlin u. a.: LIT 2012. 207 S. = Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-Luth. Missionswerkes in Niedersachsen, 21. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-643-11547-8.

Rezensent:

Ulrich van der Heyden

Es gibt wohl keine deutsche Missionsgesellschaft, die so viel in den letzten Jahren getan hat, um sich mit ihrer Geschichte kritisch zu befassen. Vor allem in der Reihe »Quellen und Beiträge zur Ge­schichte der Hermannsburger Mission und des Evangelisch-Lutherischen Missionswerkes in Niedersachsen« sind einige richtungweisende Monographien und Sammelbände erschienen. Als 21. Band liegt nunmehr ein Konferenzband vor, der die im November 2010 auf dem »Ludwig-Harms-Symposium« gehaltenen Bei-träge zusammenfasst. Zum ersten Mal in der Geschichte der Hermannsburger Missionsgesellschaft befasste sich eine Reihe von Ex­perten mit der Geschichte der weiblichen Mitarbeitenden dieser Gesellschaft in Übersee. Damit ist eine bislang wenig beachtete Thematik angesprochen und somit in einigen nicht unwichtigen Details der Missionsgeschichte bearbeitet worden. Denn Forschun­gen zur Geschichte von Frauen in der christlichen Mission zählen heute noch in der internationalen Missionshistoriographie in vielen Fragen zu den Desiderata. Einen gewichtigen Schritt ist die historische Wissenschaft nun mit dem vorliegenden Buch vorangekommen, zumindest für die Missionsgeschichte dieser deutschen Missionsgesellschaft aus der Lüneburger Heide.
Denn in den Fokus der missionsgeschichtlich Interessierten ist der »weibliche Teil« der Hermannsburger Missionsarbeit getreten. Eigentlich ist es nicht nachzuvollziehen, warum dies erst in unserem Jahrzehnt geschieht, aber die deutschsprachige Missionshis­toriographie bildet da keine Ausnahme, wenn einige Studien der Basler Mission aus dieser Bewertung ausgenommen werden. In das Umfeld der von Ludwig Harms (1808–1865) ab 1843 ausgelösten Missionsbewegung gehörten von Anfang an viele Frauen: Freundinnen, die das Missionswerk unterstützten, Frauen, die sich entschieden hatten, Missionare zu heiraten und als sog. Missionsfrauen in Übersee zu arbeiten, unverheiratete Frauen, die in den ersten Jahrzehnten der Existenz der Gesellschaft eher zufällig zur Mission kamen, Frauen in den entstehenden einheimischen Kirchen, die zuweilen als eigenständig wirkende Christinnen den Missionsauftrag unterstützten. Dies sind alles Themen, die in der Hermannsburger Mis sionsgeschichte nicht unbekannt waren, aber bislang höchstens am Rande in den einschlägigen Publikationen eine Rolle spielten. »Frauen sind«, so schreibt Christine Lienemann-Perrin in dem ersten Beitrag des Sammelbandes, »in der Missionsgeschichtsschreibung größtenteils unsichtbar, unhörbar, abwesend« (7). Völlig zu Recht wirbt der Verlag auf dem Klappentext mit der Feststellung, dass das vorliegende Buch eine erste Schneise in diesen lange vernachlässigten Aspekt der Hermannsburger Missionsgeschichte schlägt.
Neben ausgewählten Biographien bietet das Buch forschungsgeschichtliche Überblicksdarstellungen sowohl zur Hermannsburger, als auch im Allgemeinen zur feministischen Missionsgeschichtsschreibung. Einen solchen bieten u. a. die Beiträge »Den Frauen in der Missionsgeschichte Namen und Gesichter geben« von Christine Lienemann-Perrin sowie des Herausgebers Jobst Reller zum Thema »Frauen in den ersten Generationen von Hermannsburger Missionaren«. Letzterer untersucht explizit die Rolle von europäischen und afrikanischen Frauen in der Hermannsburger Arbeit im südlichen Afrika, eines der Hauptarbeitsfelder dieser Mis­sionsgesellschaft. Besonders erwähnenswert sind seine Ausführungen über die Wahrnehmung einheimischer Frauen durch die Missionare.
Geteilt nach drei Gruppen, Missionarsfrauen, einheimische Agentinnen der Mission und Missionsfreundinnen, werden im An­schluss an die Überblicksdarstellungen biographische Fallstudien geboten. Alle Beiträge basieren auf einer beträchtlichen Anzahl von archivarischen und gedruckten historischen Quellen. Wohl jeder der biographiegeschichtlichen Aufsätze ist als Pionierleistung zu bewerten. Denn, wie schon zum Ausdruck gebracht, über die Biographierten existieren nur wenige gedruckte Schriften, weder zeitgenössische noch spätere.
Eine Ausnahme bezüglich des Vorhandenseins von authentischen Quellen ist Luise Wendlandt-Homann. Sie ist eine durch eine Autobiographie bekannte Hermannsburger Frau, die auf drei Kontinenten, Indien, Afrika und Australien, lebte. Ihren interessanten Lebensweg zeichnet Gunther Schendel nach. Martina Helmer-Pham, die Direktorin des Missionswerkes in Niedersachsen, die in dieser Funktion auch ein kurzes Geleitwort zum vorliegenden Buch beisteuert, schildert das Leben von Elisabeth Wörrlein, die in Indien angesichts der den Männern unzugänglichen Frauengemächer eine eigene Frauenmissionsarbeit beginnen konnte. Reller ist mit einem weiteren Beitrag über eine der ersten Lehrerinnen der Hermannsburger Mission in Südafrika vertreten. Er zeigt auf, dass in der Anfangszeit der Arbeit der Hermannsburger Mission im Süden Afrikas in der Regel der Dienst der Frau nur in der christlichen Ehe mit einem Missionar vorgesehen war. Das Ideal des Missionsgründers war allerdings die Ehelosigkeit. So war es eine Ausnahme, dass Caroline Nehme die Leitung einer Schule auf einer recht abgelegenen Missionsstation übernehmen konnte.
Frieder Ludwig skizziert sodann das Leben der »Apostelin« des Nordzululandes, Paulina Dlamini, der vom Hermannsburger Missionar Heinrich Filter ein inzwischen über eine englische Übersetzung weithin bekanntes literarisches Denkmal gesetzt worden ist. Ludwig entwickelt Ansätze für weitere Forschungsfragen zu dieser einheimischen Akteurin der christlichen Mission. Gladson Jathanna würdigt in einem Beitrag – der einzige in englischer Sprache – die Arbeit der Senanamissionarinnen; das sind einheimische indische Akteurinnen.
In einem weiteren Komplex werden die Lebensbilder von drei deutschen Missionsfreundinnen aus der gesellschaftlichen Oberschicht in Deutschland nachgezeichnet. Inge Mager stellt Elise Averdieck vor, Bürgerstochter aus Hamburg und Gründerin eines Diakonissenhauses. Hartwig Harms lenkt den Blick auf Charlotte Kroeplien, Bürgerstochter aus der Hansestadt Wismar und spätere Wahlhermannsburgerin, die literarisch tätig war. Ihre Tagebuchblätter sind erst vor Kurzem unter dem Titel »Biblewoman and the Missionary Ideal of the Hermannsburg Mission in India« publiziert worden. Andrea Grünhagen skizziert Leben und Werk von Catherine Gertrud Adelheid Gräfin Reventlow aus Verden. – Ergänzt wird das Buch durch einen Aufsatz von Wolfgang Günther über die Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 und die Hermannsburger Mission.
Um eine Weiterbeschäftigung mit der Thematik »Frauen und Mission« zu erleichtern, ist u. a. ein Literaturverzeichnis zur »weiblichen Literatur« vom Herausgeber angefügt, was trotz einiger Lü­cken seinen Zweck erfüllen wird.
Ingesamt betrachtet handelt es sich um ein wichtiges Buch, das die feministische Missionshistoriographie – so ist zumindest zu wünschen – voranbringen wird.