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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

509–511

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schlag, Thomas, u. Friedrich Schweitzer

Titel/Untertitel:

Brauchen Jugend­-liche Theologie?Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theo­logie 2011. 250 S. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-7887-2529-7.

Rezensent:

Bernhard Dressler

Kaum jemand hat sich um die Klärung dessen, was es mit der Re-ligion von Kindern und Jugendlichen auf sich hat, so verdient gemacht und ist zugleich für das »Recht des Kindes auf Religion« so wirksam eingetreten wie Friedrich Schweitzer. Umso zögernder reagiere ich als Rezensent auf ein Buch, das Schweitzer zusammen mit dem Züricher Praktischen Theologen Thomas Schlag veröffentlicht hat, und das mir im Blick auf die Erschließung von Religion für Jugendliche und die Förderung der Religion der Jugendlichen eine Richtung einschlägt, die ich nicht überzeugend finde.
Die (wohl recht mehrdeutige und zwiespältige) Frage, ob Ju­gendliche Theologie »brauchen«, wird in neun Kapiteln erörtert. Dabei wird nach näheren Begriffsbestimmungen von »Theologie« gefragt, das Verhältnis von »Jugendtheologie« zur schon seit Längerem diskutierten »Kindertheologie« erörtert, die Theologie der Jugendlichen von der Theologie mit Jugendlichen und für Jugendliche unterschieden, nach dem Ertrag dieser Überlegungen für re­ligionspädagogische Kompetenzmodelle gefragt, ein Blick auf den Ertrag für die religiöse Erwachsenenbildung geworfen und schließlich nach einer »Theologie des Jugendalters« gefragt. In einige Kapitel integriert sind Interpretationen von jugendlichen Äußerungen zu religiösen Themen für mich die anregendsten Passagen des Buches.
Die Autoren gehen davon aus, dass Jugendliche (wie auch Kinder) trotz ihrer überwiegenden Kirchenferne »als Theologen be­zeichnet werden können und auf ihre je eigene Weise theologisch auf der Suche sind« (9). Freilich »(verknüpfen sich) die christlichen Traditionen und deren theologische Interpretation […] nur im Ausnahmefall stimmig mit den lebensweltlichen Situationen und Sprachwelten heutiger Jugendlicher« (13). Umso mehr müsse »die Frage nach Jugendtheologie an erster Stelle immer von den Jugendlichen selbst ausgehen« (17). Da nach evangelischer Auffassung ein »eigenes Verständnis des Glaubens sowie eine aktive Verständigung über Glaubenswahrheiten und Bekenntnisinhalte« anzustreben ist, sei »nicht mehr nur zu fragen, wie religionsfähig, sondern auch wie theologiefähig die Volkskirche ist« (18). Unter Jugendtheologie sei »keine akademische Disziplin« zu verstehen. Als Theologie soll hier die »Reflexion religiöser Vorstellungen« und die »Kommunikation über religiöse Fragen« gelten; insofern könne man »Jugendliche als sich bildende und bildsame Theologen« be­zeichnen (22). Theologie als »eine Form von Laientheologie« (23) werde von den Jugendlichen gebraucht »als Angebot von Deutungen und Sichtweisen, die sich für ihr Leben als hilfreiche und wei­terführende Bezugs- und Beziehungsgrößen anbieten« (19). So verstanden sei Jugendtheologie als »selbstreflexive Form des Nachdenkens über religiöse Vorstellungen« von »Jugendreligion« zu unterscheiden. Die verschiedenen Anläufe zu präzisen Begriffsbestimmungen blei­ben m. E. allerdings in der Gefahr von Tautologien, so etwa wenn es heißt: »Im Unterschied zu einer allgemeinen religiösen Kompetenz ist jugendtheologische Kompetenz durch ihren theologischen Charakter ausgezeichnet« (47). Immerhin wird konzediert, »dass der Bezug (sc. des Theologie-Begriffs, B. D.) auf Kinder oder Jugendliche immer auch in einem metaphorischen Sinne verstanden werden muss«, »weshalb eine allzu wörtliche Übertragung von Merkmalen der wissenschaftlichen Theologie auf die Ju­gendtheologie kaum zu sinnvollen Klärungen führen kann« (49). Die Autoren folgen der in der Diskussion um die sog. Kindertheologie etablierten Unterscheidung zwischen Theologie für, mit und von Kindern und stehen damit in Analogie zu einer in der empirischen Religionsforschung einschlägigen Unterscheidung von »impliziter« und eine »expliziter« Jugendtheologie (23 u. ö.). Das daraus entwickelte Raster soll einen »Ausgangspunkt für die Identifikation von Jugendtheologie in verschiedenen Entdeckungszusammenhängen« liefern (61).
Wenn man in diesem Raster nicht nur ein vergleichsweise ab­straktes Schema anstelle gehaltvoller Begriffsbestimmungen se­hen will, werden damit alle Unterscheidungen wieder in Geltung gesetzt, die zuvor durch einen allzu unterbestimmten Theologiebegriff verschliffen wurden. Die durch die Abblendung des Unterschieds zwischen Religion und Theologie aus dem Blick verlorenen Differenzierungen kehren in diesem Tableau mehr oder weniger alle wieder – aber ohne die gleiche Distinktionskraft. Was also ist der Gewinn? Praktische Theologie (und das gilt noch mehr für die Religionspädagogik als Teildisziplin der Praktischen Theologie) gibt es überhaupt nur aufgrund der Unterscheidung zwischen Religion und Theologie. Warum sollte jede Form von reflexivem Umgang mit religiösen Fragen als »Theologie« bezeichnet werden? Auch das, was man Laientheologie nennen kann, ist doch erst als ein mit gehaltvollen Kriterien zu bestimmendes Resultat eines religiösen Bildungsprozesses zu verstehen. Auf diesem Wege droht eine Trivialisierung der Theologie und reziprok eine Depotenzierung des Religionsbegriffs. Ohne Religion gibt es keine Theologie, umgekehrt gilt nicht: ohne Theologie keine Religion. Deshalb sollte die Erschließung der Religion (die dann freilich nicht ohne Reflexivität auskommt) in einer christlichen Religionsdidaktik systematischen Vorrang haben. Das gilt gerade dann, wenn die Arti­-kulationsmöglichkeiten religiöser Transzendenzerfahrungen sich von deren kirchlich-theologischen Reflexionsmustern entfernen.
Was unter Religion, näherhin unter Jugendreligion zu verstehen ist, von der sich Theologie doch auch nach Meinung der Autoren unterscheiden soll, bleibt nun aber weitgehend ungeklärt. Das liegt vermutlich nicht zuletzt daran, dass die in Bildungsprozessen unvermeidliche pädagogische Asymmetrie, in diesem Fall zwischen theologisch gebildeten Lehrkräften und dem Reflexionsvermögen (mehr oder weniger religiöser) Jugendlicher abgeblendet wird: »Gefragt wird nicht, wie ihnen (den Jugendlichen, B. D.) Theo­logie vermittelt werden kann, sondern entschieden steht an erster Stelle die Frage danach, was sie selbst für bedeutsam und lebensdienlich halten, kurz: was sie aus eigener Sicht brauchen« (10). Im kontrafaktischen Geschäft der Pädagogik geht es aber nicht so sehr um eine normative, sondern um eine hermeneutische Orientierung an den Interessen und Lebenslagen der Jugendlichen.
Bildungstheoretisch ist von einer Religionsdidaktik zu fordern, dass sie anleitet, zwischen den symbolisch-metaphorisch-per­for­mativen Kommunikationsmodi der Religion und den dis­kursiv-propositionalen Sprachformen der Theologie zu unterschei­den, um z. B. die Grenze der zu Recht geforderten Übersetzung religiöser Vorstellungen in säkular anschlussfähige Begriffe verstehen zu können, also die Übergänge zwischen Religion und öffentlichem Diskurs mitgestalten zu können.
Im Religionsunterricht soll den Lernenden die Religion auf Seiten der Lehrenden in Gestalt einer Überzeugung begegnen, ohne dass der Unterricht auf diese Überzeugung verpflichten darf, wenn er nicht dem Bildungsgedanken widersprechen will. Theologie nun ist der (christlichen) Religion normativ verpflichtet. Als solche gehört sie zum Reflexionshorizont der Unterrichtenden. Auf der Seite der Schülerinnen und Schüler hingegen muss der reflektierte Bezug auf die eigene (oder in Gestalt einer kulturellen Praxis allgemein wahrgenommene) Religion ebenso in quasi-religionswissenschaftlicher Distanziertheit erfolgen dürfen wie in Gestalt theologischer Reflektiertheit. Es ist problematisch, wenn der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen mehr als ohnehin schon in den Verdacht eines christlich-theologischen Partikularinteresses ge­rückt werden kann.
Das profilierte »Tübinger Elementarisierungskonzept«, an dessen erfolgreicher Entwicklung Friedrich Schweitzer maßgeblich beteiligt war, gewinnt m. E. durch die Verbindung mit dem Label einer »Kinder«- oder »Jugendtheologie« nichts an theoretischer Fundiertheit und religionsdidaktischer Operationalität hinzu. Ich gestehe offen, dass ich schlicht nicht verstehe, warum und wozu die konzeptionelle Neuformatierung dieses Konzeptes notwendig sein soll. Aber selbst dann, wenn die hier vorgeschlagene Diskussionsrichtung als didaktische Innovation einleuchten sollte, bedürfte es noch genauerer Begründungen und Erörterungen. Immerhin: Eine Debatte ist eröffnet. Es ist zu hoffen, dass die damit notwendig werdende Kontroverse die Religionspädagogik weiterbringt.