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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

374 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Évieux, Pierre

Titel/Untertitel:

Isidore de Péluse.

Verlag:

Paris: Beauchesne 1995. XXVII, 444 S. 8o = Théologie Historique, 99. fFr 282.­. ISBN 2-7010-1301-1.

Rezensent:

G. J. M. Bartelink

Von dem ägyptischen Priester und Mönch Isidorus von Pelusium ist eine umfangreiche Korrespondenz erhalten geblieben; sie umfaßt etwa 2000 meist ziemlich kurze Briefe in griechischer Sprache. Der vorzüglich ausgebildete christliche Autor wird etwa von 360 bis 435 gelebt haben. Wir wissen wenig über ihn. Er wird sein Leben in und bei Pelusium, damals eine wichtige Hafenstadt am östlichen, jetzt verschlickten Flußarm des Nildeltas an der Verkehrsstraße nach Palästina verbracht haben, in einer Zeit, in der das Christentum endgültig die Oberhand bekam.

Wahrscheinlich war Isidorus zuerst Rhetoriklehrer, danach Priester und christlicher Lehrer in der Gemeinde von Pelusium, um sich schließlich als Mönch in ein Kloster in der Nähe von Pelusium zurückzuziehen. Durch einen regen Briefwechsel stand er mit vielen Personen, sowohl Laien als auch Priestern und Mönchen, in Verbindung. Diese Korrespondenz ist eine wichtige Informationsquelle für das Leben in einer ägyptischen Provinz in der ersten Hälfte des fünften Jh.s.

Évieux’ Studie trägt Wesentliches zur Isidorusforschung bei. Er hat auch die handschriftliche Überlieferung erforscht und wird in den Sources Chrétiennes eine kritische Edition der Korrespondenz herausbringen. Bis heute verfügen wir ja nur über den auf eine Ausgabe aus dem 17. Jh. zurückgehenden Text in der Patrologia Graeca von Migne (Band 78).

Obwohl die meisten Forscher annahmen, daß die Briefe echt sind, ist die Authentizität seit dem 18. Jh. bisweilen in Frage gestellt worden. Noch vor einigen Jahrzehnten kam Riedinger in einigen Artikeln zu der radikalen Schlußfolgerung, Isidorus habe gar nicht existiert, bestenfalls nur seinen Namen geliehen. Nach seiner Ansicht waren die Briefe von den Akoimeten, einer auffälligen Gruppe von Mönchen aus Konstantinopel, gegen Ende des 5. oder am Anfang des 6. Jh.s geschrieben und redigiert worden. Die zahlreichen von Riedinger (neben den bereits bekannten) entdeckten Zitate machten es für ihn wahrscheinlich, daß wir es mit einer Kompilationsarbeit zu tun haben, wobei auch die Namen und Titel der Empfänger der Briefe meistens fiktiv sind.

Évieux’ Untersuchungen über die handschriftliche Überlieferung, die er in dieser Studie kurz zusammenfaßt, aber in der Einführung zur kritischen Edition ausführlich darzulegen beabsichtigt, haben ausgewiesen, daß Riedingers These über die Rolle der Akoimeten da keine Stütze findet. Das isidorianische Corpus hat schon früh eine große Verbreitung gefunden, wie zum Beispiel alte syrische Übersetzungen beweisen; die Überlieferung ist auch ganz andere Wege gegangen als nur über die Akoimeten.

Da wir über Isidorus kaum mehr wissen, als das, was seine Briefe uns mitteilen, blieb Évieux nichts anderes übrig, als vom Werk und nicht vom Autor auszugehen. Kompliziert dabei ist allerdings, daß es nur wenig kontemporäre Dokumente für die Region von Pelusium gibt.

So hat Évieux damit angefangen, sich durch sorgfältige Kollation der Handschriften, die meistens verschiedenartig zusammengesetzt sind, da sie verschiedenen Zwecken dienten (Sammlungen, Auswahlen), einer zuverlässigen Grundlage für die Namen und Funktionen der Adressate zu versichern. Weitere Analysen der Briefe haben dann zur Identifikation vieler Personen geführt. Der nächste Schritt war der Versuch, soviele Datierungen als möglich festzustellen und den geographischen Rahmen näher zu bestimmen. Im kirchlichen Bereich hat sich die Vergleichung der Namensliste der Bischöfe unter den Adressaten mit den Listen der Teilnehmer an den Konzilen von Ephesus (431) und Chalkedon (451) und an der Synode von Ephesus (449) als besonders fruchtbar erwiesen. Nicht nur stellte sich heraus, daß die Übereinstimmung überraschend groß war, sondern aus näheren Analysen haben sich noch einige weitere mögliche Identifikationen aus der Region von Pelusium ergeben.

Isidorus ist mehr Exeget als Theologe. Doch fehlen die Briefe nicht, die über theologische Fragen handeln. Besonders im 6. Jh. hat man mehrmals Stellen aus seinen christologischen Auseinandersetzungen angeführt. Namentlich die Bezeichnung von Maria als Mutter Gottes und das Problem der Vereinigung der menschlichen und göttlichen Natur in Christus und der dafür geeigneten Terminologie waren in der ersten Hälfte des 5. Jh.s in den Blickpunkt gerückt.

Die Briefe sind ebenfalls eine wichtige Quelle für die damalige Lage der ägyptischen Kirche. Sie enthalten Angaben über das Verhältnis zwischen dem Bistum Pelusium und dem Patriarchat in Alexandrien, über die Verbindungen zwischen Kirche und Staat, etwaige Probleme bei den Bischofswahlen, Pflichten und Betragen der Geistlichkeit, die Liturgie, die Sakramente und über das kirchliche Leben im allgemeinen.

Aus der Korrespondenz darf man schließen, daß Isidorus seit etwa 415 bis zu seinem Tode als Mönch in der Nähe von Pelusium gelebt hat. Durch seine gründliche rhetorische Bildung und Schriftkenntnisse besaß er eine große Autorität. Mehrere Briefe sind an Mönche gerichtet. Sie sind nicht nur eine Quelle für die monastische Praxis und die Einrichtung der Klöster, sondern auch für Isidorus’ Auffassungen über das Leben der Mönche und ihre Rolle in der Kirche. Dabei folgt er ­ auffällig für einen Ägypter ­ namentlich der von Basilius und Johannes Chrysostomus vorgezeicheten Linie. Der Mönch soll einerseits durch ein Leben nach dem Evangelium und durch die Nachfolge Christi an seiner eigenen Vervollkommnung arbeiten, andererseits soll er sich auch aktiv für die Mitmenschen einsetzen. Er soll das wichtige Gesetz der caritas nicht vernachlässigen und sich die geistige Freiheit aneignen, die es ermöglicht, andere auf das evangelische Ideal hinzuweisen. Das "Mönchtum in der Stadt" sagte Isidorus jedoch nicht zu. Nach seiner Ansicht behinderte die viele Ablenkung die notwendige Konzentration auf das Geistige. Seine Ratschläge sind von einer weisen Mäßigung geprägt. Er kümmerte sich darum, daß die Novizen nicht unter dem Joch der Regel zerschmettert wurden.

Obwohl Évieux nicht jedes Problem zu lösen vermocht hat ( z. B. das der doch vielleicht später eingeschobenen Stücke, 366), hat seine gründliche Studie viel Klarheit geschaffen. Zwar kommt er nicht ohne Hypothesen aus, aber diese werden vorsichtig introduziert. In einem Fall ist er wohl zu weit gegangen. Er meint nämlich (312, Anm. 54), Isidorus habe die kappadokischen Väter nicht nur indirekt gekannt, sondern sei ihnen möglicherweise selbst begegnet. Dafür fehlt jedoch jeder Anhaltspunkt.

Évieux’ ausgeglichene und gut lesbare Studie beruht auf eingehenden Forschungen. Mit Interesse sehen wir der Erscheinung seiner kritischen Ausgabe des isidorianischen Briefcorpus entgegen.