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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

496–497

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lödel, Ruth

Titel/Untertitel:

Der Gottesdienst im Altenheim. Erfahrungen – Anregungen – Herausforderungen.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2011. 240 S. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-17-018880-8.

Rezensent:

Martina Plieth

In der von Ruth Lödel vorgelegten Monographie wird ein aktuelles, gegenwartsrelevantes praktisch-theologisches Thema engagiert und durchaus kenntnisreich behandelt. Es geht in ihr um den Gottesdienst im Altenheim in formaler und inhaltlicher Hinsicht (um seine Begründung sowie Gestaltung) und vor allen Dingen darum, ihn als bedeutsames, keineswegs entbehrliches Element kirchlich-gemeindlicher Wirklichkeit zu kennzeichnen.
Altenheimgottesdienste dürfen nach Auffassung L.s nicht als »Nebenschauplätze kirchlichen Handelns« und schon gar nicht als »altengemäße gemeindliche Rumpfveranstaltungen« (miss)verstanden werden; sie sind – ganz im Gegenteil – als »theologisch wichtige Verkündigungs-Orte mit Verheißungscharakter« wahrzunehmen; und die Menschen, die an ihnen teilhaben, sollen als »lebendige Kirchengemeinde, die ihre Gestalt aus dem Evangelium gewinnt«, in den Blick kommen und als solche in lebendigen Gottesdiensten in die immer wieder neu belebende »Liturgie des Le­bens« eingeführt und eingeübt werden.
Diese aus meiner Sicht in jeglicher Hinsicht zu unterstützenden Grundsatzüberlegungen verbinden mich mit L. und lassen bei mir Solidaritätsgefühle ihr gegenüber aufkommen. Und sie waren es auch, die mich dazu gebracht haben, ein für mich alles andere als leicht zu lesendes Buch nicht gleich nach den ersten Kapiteln aus der Hand zu legen, sondern bis zum Ende weiter darin zu blättern und zu lesen. Gleiches gilt für die Passagen, in denen L. Menschen und Situationen aus dem Kontext ihrer Altenheimgemeinde empathisch-liebevoll in narrativer Form beschreibt. Sie vermitteln an­schaulich, welchen Möglichkeiten und Grenzen sich all diejenigen gegenübersehen, die Gottesdienste im Altenheim planen und für deren Realisierung sie verantwortlich zeichnen; in ihnen sind überaus wert­-volle (in 14 Jahren gesammelte) Erfahrungen in konzentrierter Form gespiegelt und so zusammengebracht, dass sich tatsächlich konkrete Anregungen ergeben und in Frage stellende Herausforderungen der Verkündigungsarbeit im Altenheimkontext zeigen.
Wenig bis gar nicht verbunden und solidarisch fühle ich mich mit L., wenn sie – meinem Empfinden nach mit zum Teil beleidigend-verletzender Tendenz – sehr scharfzüngig Pauschalkritik an theologischen Überzeugungen, Gedankengängen und Entscheidungen anderer übt und dabei (vielleicht nicht bewusst, aber doch nachdrücklich) geltend macht, nur ihre Art, die Dinge zu sehen, sei richtig. Ich kann zwar verstehen, dass eine Pfarrerin, die sich der Kerygmatischen Theologie und der lutherischen Tradition verpflichtet fühlt, positiv bejahend Luther, Zinzendorf, Barth, Bohren und Adloff zitiert, aber ich frage mich, warum das mit Schimpf­-tiraden in Richtung der Therapeutischen Seelsorge, der Feminis­tischen Theologie und derer, die für Liturgische Präsenz oder kreative Elemente wie zum Beispiel Bibliologe im Gottesdienst eintreten, einhergehen muss. Sieht so »der gute Kampf für die Sache Gottes« aus, den es laut L. zu kämpfen gilt, damit in gottesdienstlichen Vollzügen nicht nur »Spirituelles in homöopathischen Dosen«, sondern eine »biblische Blutransfusion« verabreicht werden kann? Ich zumindest teile diese Einschätzung nicht und finde – wohl auch deshalb – viele der in L.s Buch eingebrachten Gegensatzpaare falsch gebildet. Muss denn wirklich ein unüberwindlicher Hiatus zwischen biblischer Predigt und sog. symboldidak­tischen Weisheiten gesehen werden? Steht Eingeübtes immer in Opposition zu Innovativem? Und ist es tatsächlich so, dass Prediger und Predigerinnen in Altenheimgottesdiensten sich entweder als Überbringer von Streicheleinheiten verstehen oder sich »demütig unter das Wort Gottes stellen und vom Reichtum des Evangeliums für sich selbst und für ihre Gemeinde alles erwarten«? Religiöse Stimulierung, Psychedelik und »beidseitiges Mithinken mit Baalspropheten« auf der einen und das »Bekenntnis zur eigenen Unwürdigkeit und zum sündigen Herzen auf der anderen Seite«? L. scheint das wirklich so zu sehen – und so kommt sie an vielen Stellen ihres Buches zu einer meines Erachtens überzeichnenden Schwarz-Weiß-Malerei, die nicht produktiv ist.
Letzteres hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich mich wirklich schwer damit getan habe, L.s Ausführungen bis zum Schluss zu folgen. Gefahren und Missstände aufzuzeigen, ist sicherlich hilfreich und gut, aber Polemik, die über sinnvolle Ziele (wie das der Verortung und Differenzierung) hinausschießt, wirkt einfach nur ab- und ausgrenzend. Sie ist weder einladend noch dialogfördernd und deshalb nicht sachdienlich. Dass sich von ihr und durch sie – wie von L. intendiert – Menschen in der Gemeinde, Vikare, Pfarrer zur Anstellung, Lektoren und Prädikanten ansprechen und für das Thema Altenheimgottesdienst begeistern lassen, erscheint mir zumindest fraglich.
Wenig ansprechend und begeisternd ist in meinen Augen auch der insgesamt altfränkisch-betuliche Sprachstil, den L. in ihrem Werk durchgängig verwendet. Er passt zwar zu der Empfehlung, die 1912er Ausgabe der Lutherbibel im Altenheimgottesdienst zu ge­brauchen und als Seelsorger bzw. Prediger einen eigenen »Dialekt« (im Sinne einer biblisch-kirchlich geprägten Mundart) zu entwi­ckeln, aber nicht in unsere heutige Zeit. Da wirkt er – zumindest auf mich – eher befremdlich-fern (wie aus dem 19. Jh. stammend) und ganz und gar nicht zugänglich. Aber das kann auch als Ge­schmackssache gewertet werden. Vielleicht entspricht es anderen Lesern, wenn davon gesprochen wird, dass »die Zeit so wankelmütig ist wie das Glück und ihre Hartnäckigkeit wie ein steter Tropfen, der den Stein höhlt«, oder davon, dass all »diejenigen, die sich Sonntag für Sonntag vom ›Anfänger und Vollender des Glaubens‹ in dessen hohepriesterlichen Bereich führen lassen, ein Übungsfeld zur Stärkung für das Leben draußen geboten bekommen«.
Ich kann auf derartige Satzkonstrukte (ebenso wie auf viele anscheinend zur Verstärkung ihrer Aussage angehängte Bibelzitate) im Fließtext eines theologischen Fach- und Sachbuchs auf jeden Fall gut verzichten und finde es bedauerlich, dass sie L.s Publikation außerordentlich intensiv prägen. – Diese Tatsache und die zuvor angemerkte überstarke Neigung, polemisch zu formulieren, führen dazu, dass ich das neue Buch von L. trotz seiner überzeugenden Grundthese von der Hochwertigkeit des Gottesdienstes im Altenheim leider nur bedingt zur Lektüre empfehlen kann. Aber vielleicht macht ja gerade das Lust darauf, in L.s Denkkosmos vorzudringen und ihn von innen her selbsttätig (das heißt selbst lesend) zu ergründen.