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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

369–374

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Benko, Stephen

Titel/Untertitel:

The Virgin Goddess. Studies in the Pagan and Christian Roots of Mariology.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1993. VIII, 293 S. 8 Taf. gr. 8o = Studies in the History of Religions, 59. geb. hfl. 160.­. ISBN 90-04-09747-3.

Rezensent:

Dietmar Wyrwa

Während vor einer Reihe von Jahren, da ohnehin mariologische Themen kaum kontroverstheologisch oder ökumenisch erörtert wurden, es auch um religionsgeschichtliche Implikationen von Marienfrömmigkeit und Marienverehrung ruhig geworden war und man sich darauf einigen zu können schien, daß zwar vom 5. Jh. an gewisse Einflüsse aus dem Heidentum der weiteren Ausgestaltung der Marienverehrung förderlich gewesen sein mögen, daß aber die aufweisbaren religionsgeschichtlichen Parallelen eine grundsätzliche Herleitung des Marienkultes aus paganen Vorläufern nicht erlauben, hat eben diese religionsgeschichtliche Frage seit einiger Zeit, ausgehend von Nordamerika, im Umkreis "Feministischer Theologie" eine erneute Aktualität erhalten. Denn einerseits wird dort das überkommene, weil ­ wie es heißt ­ gegen die Frauen ausgespielte Marienbild entschieden abgelehnt, andererseits wollen aber einige engagierte Vertreterinnen unter dem kritisierten Bild Züge einer anderen Maria entdecken, die in sich, selektiv gewiß, Urbilder der Religionsgeschichte aufgenommen und aufbewahrt haben, die es im Interesse feministischer Zielsetzungen herauszuarbeiten und bewußt zu machen gelte.

Das anzuzeigende Buch von Stephen Benko, Professor am "Department of Religion and Philosophy" der Universität Philadelphia und für "Ancient History" an der Universität Fresno/ CA, versteht sich zwar ausdrücklich nicht als Beitrag zu feministischen Studien, sondern strikt im Rahmen historischer Theologie, aber es ist natürlich gleichwohl vor dem angedeuteten Hintergrund zu sehen, dem es ein gut Teil seiner Emphase verdankt. Und historisch weist die Grundthese des Vf.s in die nämliche Richtung: Es gebe eine direkte, ungebrochene und klar erkennbare Linie, die nicht im Sinne eines Rückschritts in Heidentum, sondern einer christlichen Umformung und Neuprägung religiöser Urerfahrungen von den antiken Kulten weiblicher Gottheiten zur Marienverehrung führt. Die Mariologie, die das Grundprinzip der Verehrung von Mutterschaft und Geburt aus der paganen Welt ererbte, erweise sich als Weg zu einem besseren Verständnis des weiblichen Aspektes des Göttlichen und zu einem besseren Verständnis der Rolle des Weiblichen in der Heilsgeschichte (4 f.). Das Hauptinteresse des Vf.s richtet sich auf die historische Rekonstruktion, wie die antike Verehrung von Fruchtbarkeitsgöttinnen in das Christentum eindringen konnte, und seine vorliegende, nicht immer stringente und stellenweise eigenwillige Untersuchung weist nach Kleinasien, im Entscheidenden neben anderem auf den Kult der Magna Mater, der Kybele, der über den Montanismus seinen Einfluß geltend gemacht habe. Eine These übrigens, die man ähnlich auch im Kleinen Pauly liest: W. Fauth, Art. Kybele, KP 3, 389.

Nach den programmatischen Vorbemerkungen stellt der Vf. im 2. Kapitel "Goddesses in the Graeco-Roman World" einige charakteristische Göttinnen wie Caelestis, Isis, Dea Syria und Kybele im Hinblick auf ihre Geschichte, ihr Wesen, ihre Zuständigkeiten, ihren Kult, ihre emotionalen Ausstrahlungen u. a. vor. Im Zeitalter des Synkretismus waren sie ihrer Funktion nach, wie der Vf. betont, so gut wie nicht mehr zu unterscheiden. Als ursprüngliche Mächte der Fruchtbarkeit personifizierten sie das weibliche Prinzip in kosmischem Ausmaß, indem sie Ursprung, Werden und Erhaltung des Lebens im Ganzen wie im Einzelnen gewährleisteten; und ihr Kult, so exotisch und bizarr er auf uns auch wirken mag, sei zu interpretieren als sakramentale Repräsentation ursprünglicher kosmischer Ganzheit, als ein Erfüllt- und Absorbiert-Werden vom Göttlichen als Rückkehr zur ursprünglichen Einheit in Gott. Es ist natürlich selbstverständlich, daß damit nicht alle Belange der genannten orientalischen Kulte abgedeckt sind und daß die großen klassischen Darstellungen der Religionsgeschichte gleichzeitig immer im Hintergrund gehalten werden müssen, aber merkwürdig ist, daß ein Verweis auf das Standardwerk von H. Graillot, Le Cult de Cybele, Mère des Dieux, à Rome et dans l’Empire Romain, Paris 1912, fehlt, zumal hier S. 146 ausdrücklich von Kybele als Frauengöttin gehandelt wird.

Das folgende Kapitel "The Image of the Goddess in the New Testament" überrascht dann in mehrerer Hinsicht. Anders als die angekündigte chronologische Forschungsmethode (14) erwarten lassen könnte, wählt der Vf. seinen Einstieg unter Ausblendung der synoptischen Geburtsgeschichten bei der mit der Sonne bekleideten apokalyptischen Frau von Off 12 und geht direkt auf die Frage zu, inwiefern die Frau von Off 12 eine Widerspiegelung der paganen Himmelskönigin ist. Dazu werden vier Aspekte des oft diskutierten, hochmythologischen und synkretistisch durchsetzten religionsgeschichtlichen Hintergrundes des 12. Kapitels untersucht: das Konzept des Himmels, an dem sich das große Zeichen ereignet, die Bekleidung der Frau mit der Sonne, die implizierten Astralmotive sowie der Kampf mit dem Drachen; und immer wieder konvergieren die ausgezogenen Linien des Vf.s in dem Bild der Himmelskönigin, die, hypostatisch mit dem Göttlichen vereint (104), umfassend den weiblichen Aspekt des Geheimnisses Gottes repräsentiere, die die lebensspendende Herrschaft über das Universum innehabe und den destruktiven, chaotischen Mächten entgegenstehe, deren astrale Ausstattung mit der Gestirnkonstellation der Virgo identisch sei und die proleptischen Züge eines kosmischen, Himmel und Erde, Gott und Mensch vereinenden Hieros Gamos in sich berge. Der Vf. kann damit wiederholt an bewegte exegetische Auseinandersetzungen aus dem Umkreis der Religionsgeschichtlichen Schule anknüpfen, aber im Gegensatz zur vorherrschenden Auslegung weigert er sich, die apokalyptische Frau als Symbol oder Allegorie für das Gottesvolk, für Israel und bzw. oder die Christengemeinde, zu werten. Da der Text an Christen in Kleinasien gerichtet war, wo verschiedene Himmelköniginnen verehrt wurden und sich das Zentrum des Kultes der Kybele befand, mußte er in diesem Kontext verstanden werden:

"Regardless of how strong the Old Testament background of Revelation is, this woman is in the distinguished company of other heavenly queens; her position, her robe, her jewelry, her whole appearance identifies her as such. She should be interpreted as the Queen of Heaven of Christianity, Mary, who is soon be called ’Mother of God’" (129). Und: "Historically the divinity of Mary is first indicated in the book of Revelation" (264), "the ’woman clothed with the sun’... is a goddess, a Christian goddess, whose role is to play the female part in the reunification of God with his creatures" (95).

Die Einwände, die sich gegen diese Behandlung von Off 12 erheben lassen, sind, um das gleich anzuschließen, zahlreich und können hier nicht im einzelnen ausgebreitet werden. Generell wird man sagen müssen, daß in derart selektiver Verfahrensweise wie hier religionsgeschichtlich alles und nichts bewiesen werden kann; es käme aber darauf an, nicht nur punktuell religionsgeschichtliche Analogien beizubringen, sondern die Gestalt der apokalyptischen Frau aus der unbeschadet aller Sperrigkeit in überragender künstlerischer Kraft entgegentretenden Einheit der Vision zu begreifen und jedwelche Deutung, die man ihr geben mag, in einer durchlaufenden Exegese Vers für Vers zu erhärten. Das unterbleibt.

Dabei kommt es methodisch schon einer "petitio principii" gleich, die biblisch-jüdische Tradition so, wie es hier geschieht, bei der Erklärung des Textes beiseite zu schieben, während überdies ja zu fragen wäre, inwiefern nicht etwa Elemente des ausgewiesenen paganen Materials schon von der jüdischen Apokalyptik aufgegriffen und ihren eigenen Zielsetzungen dienstbar gemacht worden sind. Schlechterdings nicht nachvollziehbar ist, wie der Vf. durchgängig sich über die im christlichen Glauben der Mariologie von Anfang an innewohnende Grenze, daß Maria Magd ist, hinwegsetzen kann. Die Aussageintention des 12. Kapitels der Apokalypse auf jeden Fall ist hier noch nicht in den Blick gekommen. Ein kurzer Exkurs durchmustert sodann die altkirchliche Exegese der apokalyptischen Frau. Das späte Aufkommen der mariologischen Deutung erklärt der Vf., seine eigene Position im Grunde außer Kraft setzend, damit, daß die religiöse Konkurrenz zum Heidentum den kirchlichen Exegeten Zurückhaltung gegenüber Aussagen mit derart starken paganen Konnotationen auferlegt habe.

Dem 4. Kapitel, überschrieben "The Great Mother and Montanism", kommt im Argumentationsgang des Vf.s eine Schlüsselstellung zu, habe doch im Montanismus in exponierter Weise das Einfallstor für Vorstellungsgut des Kybelekultes gelegen. Zunächst wird die Aufmerksamkeit auf die bekannten montanistischen Charakteristika gelenkt, auf Eschatologie, ekstatisches Prophetentum, rigoristische Ethik, Askese und die Rolle der Frauen, wobei der Vf. mit Recht betont, daß in Fragen der "regula fidei" der Montanismus der Frühzeit orthodox war. Die Arbeitsmethode freilich ist ausgesprochen assoziativ, impressionistisch, nicht selten spekulativ und ohne kritische Sichtung der Quellen.

Um nur zwei Beispiele zu nennen: 140 wird der Chiliasmus eines Papias mit dem Dionysuskult in Verbindung gebracht, 142 bleibt die Besprechung von Origenes, Contra Celsum VII 9, bei P. de Labriolle, La Crise Montaniste, Paris 1913, 99 f., unberücksichtigt. Nicht besser steht es, wenn der Vf. zu seinem eigentlichen Thema kommt, daß abgesehen von der apokalyptischen Erwartung des Herabkommens des Neuen Jerusalems alle wichtigeren Kennzeichen des heidnischen Kybelekultes im Montanismus wiederkehren (151). Das angesprochene Problem ist nicht neu. W. Schepelern, Der Montanismus und die phrygischen Kulte, Tübingen 1929, hat die Frage sorgfältig und umfassend untersucht, und K. Aland, Bemerkungen zum Montanismus und zur frühchristlichen Eschatologie, in: ders., Kirchengeschichtliche Entwürfe. Gütersloh 1960, 105-148, hat diese Untersuchung bestätigt und weitergeführt bzw. in einigen Punkten korrigiert. Demnach kann von einer Beeinflussung des frühen Montanismus durch die phrygischen Kulte nicht die Rede sein, und selbst beim späten Montanismus ist das recht zweifelhaft. B. seinerseits läßt sich auf eine Auseinandersetzung mit diesem bewährten Forschungsstand gar nicht ein; er stützt sich teilweise auf Schepelern, ohne freilich dessen Ergebnis mitzuteilen, und Alands Aufsatz taucht nur als unkommentierter Fußnotenverweis (137 Anm. 1) auf. Bezeichnend ist auch die Erwähnung der Artotyriten (162): Selbst der vom Vf. aufgebotene Artikel "Artotyritae" von P. de Labriolle, RAC 1, 718 ff., spricht nicht für ihn, heißt es hier doch ausdrücklich, "daß der Zusammenhang von Artotyritae und Montanismus keineswegs gesichert ist" (720).

So endet dieses Kapitel denn mit vagen Vermutungen und bloßen Hypothesen: "Perhaps as the Montanists were driven out of the ’orthodox’ fold they were reverted to their pagan roots and adopted more ideas associated with Cybele... Thus it is conceivable that the Montanists eventually elevated Mary to a positon of prominence in their faith" (162).

Diese Linie wird im 5. Kapitel: "Women who sacrificed to Mary: The Kollyridians" fortgeführt. Die Sekte der i. W. weiblichen Kollyridianer, die dem Bericht des Epiphanius von Salamis zufolge Maria vergöttlichten und ihr Opfer darbrachten, ist von F. J. Dölger, Die eigenartige Marienverehrung der Philomarianiten oder Kollyridianer, AuC 1, 1929, 107-142, grundlegend untersucht worden. Dölger rechnete damit, daß sich hier wirklich der Kult einer heidnischen Göttin ­ wegen der Nennung von Thrakien und Skythien wollte er an Bendis oder die skythische Diana denken ­ in christliche Kreise hinein forterhalten hat. Auch B. kennt und benutzt diese Arbeit, aber er geht eigene Wege. Die Kollyridianer sind für ihn, da aus Euseb, HE V 19,3 eine Wirksamkeit der montanistischen Phrophetin Priscilla in Thrakien hervorgehe, ein lokaler Zweig des Montanismus in Thrakien, der die religiösen Praktiken der Umwelt, eben solche des mit den thrakischen Dionysus-Mysterien verwandten Kultes der Magna Mater übernommen habe. Ihre Bedeutung habe darin gelegen, daß sie den Finger auf ein Defizit der Großkirche legten: "they are a link between paganism and Christianity and that suggests what Christianity could have become had not orthodox Christian theology... developed its own Mariology. The Kollyridians disappeared only when the veneration of Mary became universal accepted in the Church" (18, vgl. 194). Dabei ist wiederum erstaunlich, wieviel der Vf. im Unterschied zu dem wohlabgewogenen "ignoramus" von Dölger, ebd. 138 ff., über das kollyridianische Opferverständnis zu sagen weiß, indem er einen allgemeinen Vorstellungskreis von heiligem Brot bzw. Opferbrot in der antiken Welt unterstellt. An den Quellen für die Kollyridianer hat das alles keinen Anhalt.

Wenn der Vf. im 6. Kapitel: "From Devotion to Doctrine" dann zur Entwicklung der Mariologie innerhalb der Großkirche hinüberlenkt, so hat er sich im Grunde mit den vorangegangenen Kapiteln bereits den Blick für die kirchlichen Gestaltungskräfte der Mariologie gründlich verstellt. Seine Sicht lautet lapidar: "The entire development may be looked upon as the response of the Christian genius to a challenge posed by pagans" (206). Aber es ist ja nicht ­ wie der Vf. meint ­ so, als hätten die kirchlichen Theologen in Konkurrenz zum Heidentum und zu sektiererischen bzw. häretischen Gruppierungen erst spät und unter dem Drängen der noch in paganen Vorstellungen verhafteten Volksfrömmigkeit zu mariologischen Aussagen gefunden. Übrigens wäre auch zu berücksichtigen, daß sich das Volk nach Ausweis von Julian, Ep. 84 (p. 431d/432 Bidez), Mitte des 4. Jh.s nicht mehr um Kybele gekümmert hat. Vielmehr erkannte das Glaubensbewußtsein der Christenheit sozusagen von Anfang an an, daß Maria in gnadenhaft geschenkter Eigenständigkeit am Heilswerk Gottes in Christus beteiligt ist. Und nicht, daß Maria der Rang der großen Jungfrau-Mutter-Göttinnen der griechisch-römischen Welt gebühre, war die die Entwicklung bewegende Grundüberzeugung, sondern die, daß Maria gnadenhaft zur personalen Freiheit für Gott erweckt und dadurch zum Gehorsamsakt disponiert war, daß sie eben dadurch für Gott ausgesondert war und blieb und daß sie in dieser heilsgeschichtlichen Sonderstellung von gewiß kreatürlicher Seinsverfassung, aber den übrigen Töchtern Evas nicht gleichgestellt ist. Dergleichen kommt dem Vf. nicht ins Kalkül.

Er beginnt dieses Kapitel mit dem Protevangelium des Jakobus, um die frömmigkeitsgeschichtlichen Wurzeln zu veranschaulichen, auf die die Dogmen der immerwährenden Jungfräulichkeit Mariens (ohne Nennung des Konzils von Konstantinopel 553!) und der unbefleckten Empfängnis zurückzuführen seien. Dazu erklärt er, der Autor des Protevangeliums, ein Nichtjude, der tief von der Frömmigkeit des Kybelekultes beeinflußt sei, habe durch den Gedanken der dauernden Jungfräulichkeit mit den Auszeichnungen der heidnischen Jungfrau-Mutter-Göttinnen gleichziehen wollen. Einzuwenden ist hingegen, daß schon die Basis für solche Annahme brüchig ist (der Name der Salome hat nichts mit einer anatolischen Erdgöttin zu tun, sondern ist ein hellenisierter semitischer Eigenname, vgl. Bl.-Debr.-R. § 53,4, und stammt aus der synoptischen Tradition; die Grotte der Geburt Jesu nach Jes 33,16 gemäß Justin, Dial. 78,5; zum Tanzen der dreijährigen Maria mit ihren Füßchen vgl. Ps 68,26. 149,3. Ri 21,21), und philologisch ist zu beanstanden, daß der Vf. nicht mit der großen kritischen Ausgabe von E. de Strycker, La Form la plus ancienne du Protévangile de Jaques, Brüssel 1961, arbeitet, wo u. a. auch gewichtige Argumente zugunsten einer ägyptischen Herkunft des Textes ins Feld geführt werden. Als nächstes läßt der Vf. unter dem Stichwort "Maria als Erdengöttin" weitgestreutes Material zur Erdauffassung in der Antike und Aussagen der biblischen Tradition Revue passieren, um auf die Gedankenfigur des "ex terra virgine Adam, Christus ex Virgine" abzuheben und die eigentümliche Farbgebung der Schwarzen Madonnen zu erklären. Diese Ausführungen beschließen einen Abschnitt, der auf das Dogma der "Assumptio Mariae", durch welches Maria offiziell als Himmelskönigin inthronisiert worden sei, eingeht und ihre damit intendierten Funktionen als "Co-redemptrix", "Mediatrix" und "Dispensatrix of all graces" bestimmt.

Das letzte Kapitel, überschrieben "Mary and the History of Salvation", skizziert in großen Schritten die Entwicklung der Zusammenschau Marias mit der Kirche sowie die Entfaltung der durch die paulinische Adam-Christus-Gegenüberstellung vorgebildeten Eva-Maria-Typologie. Neue Erkenntnisse wird man hier nicht erwarten, ist doch das Feld oft genug und tiefer durchgepflügt worden. (Am Rande ist zu vermerken, daß der Vf. an früherer Stelle, 168 f. 195, Justin und Irenäus, den Initiatoren der Eva-Maria-Typologie, Offenheit für den Montanismus bescheinigt, was im ersteren Fall abwegig und im letzteren mindestens mißverständlich formuliert ist.

Irenäus’ spezieller Terminus für die heilsgeschichtliche Bedeutung Marias lautet "recirculatio", Adv. Haer. III 22,4 (SC 211 p. 440). Auf S. 235 Z. 12 muß es statt "Tertullian" "Cyprian" heißen. S. 240 Anm. 56 darf das Fragment Contra Noetum nicht Hippolyt zugeschrieben werden, vgl. M. Richard, Art.: Hippolyte de Rome, DSp VII col. 533).

Indem der Vf. schließlich einen früheren Aufsatz zum Thema einarbeitet (245 Anm. 73), mündet das Kapitel in eine geraffte Skizze der Entwicklung der Christologie vom Urchristentum bis zur Durchsetzung des Theotokos-Titels im Jahre 431 ein. Um die Pointe gleich vorwegzunehmen, der Vf. konstatiert, daß mit dem Konzil von Ephesus "in a remarkably absurd way" ein Umschlag eingesetzt habe. Während die Konzilsväter mit dem Theotokos-Prädikat ganz im Sinne seiner früheren Verwendung eine strikt und ausschließlich christologische Aussage machen wollten und nicht an einem mariologischen Würdetitel interessiert waren, haben sie gleichwohl, nicht eingedenk der noch heidnischen Verwurzelung der Volksfömmigkeit, mittelbar den Weg freigegeben, daß unter Verlagerung der Gewichte die Mariologie zu einer theologischen Disziplin wurde:

"In their attempt to avoid polytheism theologians included Mary in their Christological debates as an argument for the humanity of Jesus. The results, however, were exactly the opposite of what they intended... the Church entered upon a long and arduous journey towards the final conclusion: the Mother of God must be the Queen of Heaven" (262).

Dazu nur noch eine Bemerkung! Es könnte sein, daß sich Volksfrömmigkeit und Theologie durchaus anders getroffen haben, als es der Vf. darstellt. Wenn er lebendig (aber ohne Stellenangabe) schildert, wie nach der entscheidenden Konzilsitzung das Volk demonstrierend durch die Straßen von Ephesus gezogen sei und analog zu Act 19, 28.34 gerufen habe: "Praised be the Theotokos" (256), so ist das eine freie Erfindung. Cyrill, Ep. 24 (ACO I 1,2 p. 117 f.), berichtet, daß die Volksmenge den Sieg der Orthodoxie gefeiert und die Synodalen mit Fakeln zu ihren Unterkünften begleitet hat, indem Frauen mit Weihrauchschalen vor ihnen herschritten, aber von Marienakklamationen läßt er nichts verlauten, wie überhaupt in dem ganzen Brief Maria keine Erwähnung findet. Andererseits steht der Vf. im Einklang speziell mit der protestantischen Forschung, wenn er die Bedeutung des Theotokos des Ephesinischen Konzils wie auch in dessen Vorgeschichte ausschließlich christologisch faßt. Aber im Blick auf die allerdings tonangebende Person Cyrills wäre das Problem noch einmal zu erörtern. Denn die während des Konzilverlauf in der Marienkirche zu Ephesus gehaltene Marienpredigt, die die Überlieferung Cyrill zuschreibt (ACO I 1,2 p. 102 f.), ist entgegen den starken Bedenken von E. Schwartz authentisch, vgl. M. Santer, The Authorship und Occasion of Cyrill of Alexandria’s Sermon on the Virgin (Hom. Div. iv), StudPatr 12 = TU 115, 1973, 144-150. Der Vf. ist über diese enthusiastische Marienpredigt stillschweigend hinweggegangen.

Der Epilog "Mariology: Past and Future. A Summary", eine für jedes Kapitel gesondert angelegte Bibliographie, ein allgemeiner Index und eine Beigabe von 9 Illustrationen beschließen den Band. Will man nach allem ein Fazit ziehen, so wird man sagen müssen, daß das Buch den Nachweis, zu dem es angetreten ist, nicht erbracht hat.