Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2013

Spalte:

484–486

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Martin-Buber-Werkausgabe. Bd. 9

Titel/Untertitel:

Schriften zum Christentum. Hrsg., eingel. u. kommentiert v. K.-J. Kuschel.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011. 504 S. Geb. EUR 128,00. ISBN 978-3-579-02685-5.

Rezensent:

Martin Leiner

Nach einer kleinen Zäsur von nicht ganz zwei Jahren ist 2011 der erste nicht mehr von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sondern von der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf herausgegebene Band der Martin-Buber-Werkausgabe (MBW) erschienen. Bernd Witte aus Düsseldorf ist als neues Mitglied zusammen mit Paul Mendes-Flohr und Peter Schäfer in den Herausgeberkreis berufen worden, die Israeli Academy of Sciences and Humanities fungiert weiter als Auftraggeberin. Dieser Wechsel ist das Resultat einer negativen Evaluierung der bisherigen Edition durch die DFG. Es gab eine Reihe von editorischen Mängeln wie das Zerstückeln von Texten, un­klare Regelungen dazu, welche Texte übersetzt und welche in Originalsprache geboten wurden oder auch welche Textbasis gewählt wurde. Seit 2010 sind diese Probleme durch neue editorische Richtlinien überwunden. Auch ehrgeizige neue Ziele für den Abschluss und die Ergänzung der Werkausgabe wurden formuliert. Neben der gesonderten Publikation der Ekstatischen Konfessionen besteht auch die Überlegung, die Verdeutschung der Schrift, an der bis 1929 auch Franz Rosenzweig beteiligt war, in die MBW miteinzubeziehen.
Die Einleitung zur MBW 9 von Karl-Josef Kuschel liefert wich-tige Informationen zur Einführung in die Texte. Gleichzeitig be­schreibt sie die Veränderungen im Verhältnis Bubers zum Chris­tentum in einer umfassenden und textnahen Weise. Die Einleitung füllt damit eine Lücke in der Sekundärliteratur zu Buber. Der Band enthält 26 Dokumente aus der Zeit zwischen 1910 und 1964. Diese Auswahl zeigt zusammen mit der Einleitung sehr gut, wie sich Bubers Verhältnis zum Christentum entwickelte.
Der in der Einleitung genannte autobiographische Text »Fremd­andacht« zeigt, dass Buber bereits in seiner Gymnasialzeit die er­zwungene Anwesenheit bei katholischen Andachten in der Schule als bedrückend erlebt hat. Nach einer Entfremdung von der Religion im Alter von 14 bis 20 Jahren entdeckte Buber um 1900 zunächst die Mystik und den Zionismus. Von hier aus ergab sich die Beschäftigung mit dem Chassidismus, die zunehmend das Interesse an außerjüdischer Mystik verdrängte. Den Gegensatz von Judentum und Christentum formulierte der zu seinem Glauben auf höherer Ebene zurückgekehrte Buber scharf. In seinen Prager Reden über das Judentum (1909 und 1910) entdeckt er die ihn bis in seine Spätzeit bestimmende Grunddifferenz zwischen Jesus und dem Urchristentum einerseits und Paulus und der Christenheit auf der anderen Seite. Jesus und das Urchristentum gehören für Buber in die Geschichte der jüdischen Religionen, sie betonen die Erwartung des Reiches Gottes, die Umkehr und die Tat. Paulus und das synkretistische Christentum haben daraus eine Religion des Glaubens, der Dogmen und des passiven Wartens auf die Gnade gemacht (vgl. dazu auch besonders den Brief an Franz Werfel, 25 f.). »Für Jesus und gegen das Christentum« (24) müsse man nach Buber kämpfen. Für diesen Gegensatz zwischen Jesus und Paulus waren insbesondere die exegetischen Arbeiten von Albert Schweitzer wichtig, aber auch Harnacks Wesen des Christentums und später Bultmanns Jesusbuch wirkten auf ihn. Den entscheidenden Gegensatz zwischen Judentum und Christentum macht Buber zum ersten Mal wohl in einem Brief von 1917 deutlich: Jesus kann nicht der Messias sein, weil die Welt noch unerlöst ist (28). Während Buber noch 1906 Jesus und Paulus in ihrer Forderung der absoluten Liebe zusammensehen konnte (30), entwickelt er spätestens seit 1910 einen deutlichen Antipaulinismus. Paulus sei ein »Gewalttäter« (30), der eine »Ideologie« (30) mit einer dualistischen Weltsicht, aufgebaut auf dem fatalen Gegensatz von Geist und Leib, entwickelt hat. Der Mensch stehe nicht mehr verantwortlich als Handelnder vor Gott, sondern sei den Mächten der Welt unterworfen, denen er zu gehorchen hat. Der Mensch kann nur passiv auf die Gnade warten, da jede Selbstreinigung von den Christen als Selbsterlösung verurteilt werde. Für Buber geht dieses paulinische Zeitalter, das auch zur Gottesfinsternis der Gegenwart beigetragen hat, in seiner Zeit zu Ende. Verbunden fühlt sich Buber in seiner Ausrichtung auf das Reich Gottes insbesondere mit dem Schweizer Religiösen Sozialisten Leonhard Ragaz.
Während der kritische Grundzug im Umgang mit dem paulinischen Christentum bis in die Spätschriften hinein ergänzt und weitergeführt, wenn auch oft konzilianter formuliert wird, be­ginnt bereits 1914 das Religionsgespräch zu einem neuen Thema für Buber zu werden. Es war die Begegnung mit dem evangelischen Pfarrer und Juristen Florens Christian Rang im Forte-Kreis in Potsdam Ostern 1914, die Buber von der Möglichkeit eines echten Ge­sprächs »von aufgeschlossener Person zu aufgeschlossener Person« (39) und eines »Bund[es] zwischen Juden und Christen« (37) überzeugte. MBW 9 dokumentiert Religionsgespräche, an denen Buber teilnahm: Mit Emil Brunner gab es 1928 eher eine »Ver«gegnung; bei einer Rede bei einer Tagung der deutschen Judenmissionsgesellschaften 1930 in Stuttgart spricht Buber von Augenblicken, in denen Juden und Christen dem Messias gemeinsam den Weg be­-reiten können (43). Am 14 .01.1933, im Gespräch mit Karl Ludwig Schmidt, betont Buber gegen den evangelischen Exegeten, dass Gottes Bund mit Israel weiterbesteht. »Der Christ braucht nicht durchs Judentum, der Jude nicht durchs Christentum zu gehen, um zu Gott zu kommen.« (168) Im Sommer 1933 kam es zur Auseinandersetzung mit Gerhard Kittels Broschüre Die Judenfrage. Buber weist die Vorstellung eines Gastjudentums mit verminderten Rechten und Einflussmöglichkeiten auf das deutsche Geistesleben in einem Offenen Brief zurück.
1950 erscheint die Schrift, in der Buber schematisierend den Unterschied zwischen Judentum und Christentum auf die Formel Emuna oder Pistis, jüdischer Vertrauensglaube oder christlicher Dogmenglaube, bringt. Judentum und Christentum sind wesensverschieden. Sie haben sich aber »Ungesagtes zu sagen und eine heute kaum erst vorstellbare Hilfe einander zu leisten« (312). »Zwei Glaubensweisen«, der längste unter den meist kurzen Texten in MBW 9, ist die Synthese der Auseinandersetzung Bubers mit dem Christentum. Insgesamt kann man sagen, dass Buber im Laufe der Jahre immer größeres Verständnis für das Christentum gewinnt, ohne jedoch die Wesensverschiedenheit beider Religionen in Frage zu stellen.
Etwas verkompliziert wird Bubers Sicht des Christentums da­durch, dass Buber Judentum wie Christentum als Religionen im­mer wieder kritisch Gott und dem Reich Gottes gegenüberstellt. Religionen sind Exile. Buber übt auch Kritik am nomistischen Judentum seiner Zeit und verteidigt gleichzeitig die Pharisäer zur Zeit des Neuen Testaments. Besonders oft in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg kann Buber sich auch in Christliches einfühlen, so in seiner Bar Mizwa-Rede, dem Text »Glaube, Liebe, Hoffnung« (s. MBW I, 93–102) und in einer Meditation über den auferstandenen Christus des Isenheimer Altars (MBW 9, 22 f.). Er gelangte so immer wieder über den Gegensatz der Religionen hinaus, ohne seine Verwurzelung im Judentum in Frage zu stellen.