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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

482–484

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Krieger, Gerhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Herausforderung durch Religion? Begegnungen der Philosophie mit Religionen in Mittelalter und Renaissance.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 2012. 397 S. = Contradictio, 11. Kart. EUR 49,80. ISBN 978-3-8260-4425-0.

Rezensent:

Otmar Meuffels

Der von G. Krieger herausgegebene Sammelband dokumentiert in 24 Vorträgen anlässlich der Jahrestagung der »Gesellschaft für Phi­losophie des Mittelalters und der Renaissance« aus dem Jahr 2009 im Spannungsbogen vom Mittelalter bis zur Renaissance die we­chselsei­tige Herausforderung von Philosophie, Religion und Theologie (34–37). Thematisch werden a) die Begegnung von Religion und Philosophie im islamischen und jüdischen Denken, b) das christliche Denken, c) Religionsgespräche und schließlich d) der Dialog zwischen Religion und politischer Philosophie in differenzierten und kenntnisreichen Artikeln ausgeführt. Die Aktualität dieser his­torischen Analysen erhellt sich im Horizont von Axel Honneths Frage (vgl. Die Zeit Nr. 25, vom 14.06.2012), ob nicht Phi­losophie und auch Theologie in der Gegenwart die Schule der De­mokratie sein sollten. So könnte gerade der Glaube sein Wahrheitspotential mit den unterschiedlichen Geltungsansprüchen einer säkular-rationalen Öffentlichkeit ins Gespräch bringen. Da­für er­weist sich die Be­gegnung mit der Philosophie in Mittelalter und Renaissance, die der Sammelband von Krieger bereitstellt, als sehr hilfreich.
Jörn Müller (Würzburg) entfaltet z. B. die Streitkultur im Mit­telalter (die Collationes des Peter Abaelard) und differenziert zwischen einer explizit-inhaltlichen und einer implizit-formalen Me­takommunikation (310), so dass die Ermittlung der Wahrheit ein gelingendes Leben in Gemeinschaft fördert und Geltungsansprüche vernünftig formuliert werden können (314 ff.). Dabei werden bei Abaelard »der natürlichen Vernunft erkenntniskritisch ihre Grenzen abgesteckt: Sie kann ihrerseits nicht die letzte Beurteilungsinstanz für die Wahrheit des Glaubens sein« (Zitat: Müller, 320). Solche mittelalterlichen Überlegungen sind leicht mit der Philosophie von J. Habermas kritisch zu verbinden.
Im sich ausdifferenzierenden Verhältnis von Theologie und Philosophie zeigen sich bei Johannes Duns Scotus (interpretiert durch Hannes Möhle, Bonn) divergente, formale und inhaltliche Perspektiven (253), die vermittelte wie unvermittelte Sätze in den Diskurs einbringen (255). Allerdings sind die unvermittelten Basis-Sätze (z.B. die Wahrheitsforderung im Kategorialen) nicht nur durch zugleich abgeleitete, vermittelnde Aussagen zu benennen, sondern müssen im Subjekt schlechthin gewusst/geglaubt werden (254–257). Unter diesen subjektiven Voraussetzungen wird mit na­türlichen Erkenntnismitteln keine übernatürliche Offenbarung Gottes erkennbar, da wir Gott weder als bekannt voraussetzen noch hinreichend benennen können (257f.261). Vielmehr ermöglicht umgekehrt Gott als Schöpfer zuallererst eine kategoriale Differenzierung. H. Möhle schreibt: »Ein distinkter Begriff eines übernatürlichen Gegenstandes kann nicht mit natürlichen Mitteln erfasst werden. Das Verfahren der natürlichen Vernunft ist nur auf natürliche Vorgänge anwendbar« (261). So kann Scotus unter Verwendung einfacher Basis-Begriffe wie »Gott« in zusammengesetzten Sätzen den Glauben als Akt vom geglaubten Inhalt differenzieren, um über einen univoken Seinsbegriff den Ansprüchen der Metaphysik in den pluralen Kontexten der Vernunft Geltung zu ver schaffen (255.264). Allerdings fragt Möhle, »ob dieser Gegensatz nicht doch etwas Gemeinsames voraussetzt« (266.), was Derrida und Foucault sicherlich verneinen würden. Genau diese Perspektivenvielfalt macht aber eine säkulare Gesellschaft im Pluralismus aus! In dieser Spannung bietet die mittelalterliche Transzenden­talienlehre – als Fundament eines transzendentalen Denkens im neuplatonischen Sinn der Teilhabe am Einen/Guten und zugleich als aristotelische Kausalordnung (R. Darge, Salzburg, 234 f.238–240)–, die Ermöglichung einer Ersten Philosophie und Universalwissenschaft, die zugleich im Konflikt mit den dualistisch geprägten Katharern den Gegenstandsbereich einer Offenbarungstheologie sichert (247). Heute haben wir uns den Fragen der Postmoderne zu stellen, damit wir als Christinnen und Christen in einem plural verfassten Leben den Glauben rational bezeugen und eine christliche Identifikation unter dem Anspruch des Wahren und Guten kommunizieren bzw. im Handeln ausdrücken können. So ist eine Transzendentalienlehre modern in die Form zu begründender Wahrheitsansprüche zu transformieren, die gerade die Theologie zum Vorreiter einer de­mokratischen Gesellschaft macht.
Sehr erhellend interpretiert D. Fonfara (Köln) »das Ringen von Theologie und Metaphysik um die erste Wissenschaft bei Albertus Magnus und Thomas von Aquin vor dem Hintergrund ihrer Aris­toteles-Rezeption« (207–230). Insofern Aristoteles die theoretische Wissenschaft von den ersten Ursachen und Prinzipien eine »erste Philosophie« nennt, liegt darin eine Aufgabenbeschreibung für die Theologie: »Wenn es etwas Ewiges und Unbewegtes gibt, dann dürften weder Physik noch Mathematik von ihm handeln, sondern eine beiden vorausgehende ›theologische Wissenschaft‹« (209). Al­bertus spitzt dies im Spannungsfeld von Metaphysik und Theologie zu, indem er betont, dass die Rede von Gottes absoluter Wirklichkeit (Schöpfer) nicht der Metaphysik des Seienden unterliegt (214 f.), sondern eine »›theologische Metaphysik‹ oder ›Theologik‹« (!) einzufordern ist (216; vgl. den Hinweis auf die islamische Theologie in Bezug auf die Metaphysik bei T. Koutzarova, 46–50). Dabei ist im Blick auf das Ganze der Wirklichkeit unter dem spezifischen Glaubensaspekt (219) allein Gott der Einigende (vor allem bei Thomas, 222 f.).
Angesichts der verschiedenen Ansätze in Metaphysik und Theologie wird so eine relationale Schärfung der Disziplinen um der einen Wirklichkeit willen eingefordert. Weiterhin muss die fundamentale Orientierung an der offenbarten Wahrheit im Verhältnis zu kategorialen Wahrheitsaussagen – vor allem kraft einer differenzierenden »Sprachpotenz« (E. Morlok, 92 f.) – zwischen Glaube und philosophischem Verstand ausformuliert werden. T. Marschler (Augsburg) no­tiert dazu, dass eine unverkürzte Autonomie beim Nachdenken über das Erste (als das Trinitätsgeheimnis) ihre Grenzen erkennt (153), während W. J. Hoye (Münster) akzentuiert: »Die von Gott geoffenbarten Wahrheiten […] erweitern die Erkenntnis der Vernunft, aber sie sind nicht imstande diese zu überholen. Sie gehen nicht über die natürliche Erkenntnis hinaus und relativieren sie somit keineswegs. Die letzte Erkenntnis, die die Vernunft allein erreichen kann, nämlich dass Gott zutiefst unerkennbar ist, wird auch durch die Offenbarung nicht aufgehoben, sondern vielmehr verschärft« (190).
Die niveauvollen Artikel des Sammelbandes bieten insgesamt eine sehr gute Möglichkeit, das Wissen um verschiedene mittelalterliche Strömungen zu vertiefen und zugleich vor diesem Hintergrund unsere (Post-)Moderne kritisch zu interpretieren.