Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2013

Spalte:

476–478

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Stoellger, Philipp, u. Thomas Klie [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Präsenz im Entzug. Ambivalenzen des Bildes.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. IX, 573 S. m. Abb. = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 58. Kart. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-150821-9.

Rezensent:

Reinhard Hoeps

Nach wie vor spielen die Bilder und das Ausdruckspotential bildlicher Sprache in den Theologien der christlichen Konfessionen eine sehr untergeordnete Rolle. Dieser Befund missachtet keineswegs die zahlreichen intensiven Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung von Kirchenräumen und nicht einmal das mancherorts mit Nachdruck vorangetriebene Bemühen, den Ge­sprächsfaden zu Kunst und Künstlern der Gegenwart nicht abreißen zu lassen. Dennoch geht die theologische Reflexion, zumindest insofern sie akademisch organisiert ist, durchweg von der Verzichtbarkeit der Bilder aus, die ja doch nur nachträglich zu symbolisieren scheinen, was zuvor im Medium der Worte gedacht und gesagt wurde. Selbst die Einsicht in die enorme Verbreitung und Bedeutung der Bilder in der Geschichte des Christentums hat deren theologische Marginalisierung nicht wirklich irritieren können. Man hat sich daran gewöhnt, die Zuständigkeit für den bildsprachlichen Ausdruck des christlichen Bekenntnisses an die Kunstgeschichte abgetreten zu haben.
Die Herausgeber legen dagegen den Band vor im Bewusstsein der Notwendigkeit einer theologischen Bildkompetenz. Diese Einsicht ist nicht allein aus binnentheologischen Gründen erwachsen. Der iconic turn bzw. pictorial turn hat Pate gestanden, dann insbesondere aber auch und grundsätzlich die Strukturen einer Kultur des Visuellen, auf die er den Blick gelenkt hat. Zumal in der globalisierten Bilderwelt der neuen Medien kommt es zu Bildkonflikten, die Bruno Latour und Peter Weibel mit dem Schlagwort des iconoclash belegt haben. Diese Konflikte geben den dringlichsten Anlass, auch das theologische Bildbewusstsein zu schärfen, weisen sie doch zurück auf den religiösen Streit um die Bilder im Zeichen des Mo­notheismus. Die Theologie bedarf der Bildkompetenz nicht nur, um mit zeitgenössischen Tendenzen des Denkens Schritt halten zu können, sondern vor allem, weil sie durch die Ursprünge ihrer eigenen Gottesvorstellung in die Bilderfrage involviert ist. Für eine protestantische Bildtheorie, die in diesem Band im Mittelpunkt steht, spitzt sich die theologische Herausforderung durch die Konkurrenz des Bildes mit den Prinzipien des Wortes und der Schrift noch einmal zu.
Es scheint an der Zeit, dass die christlichen Theologien nicht nur aktuelle bildtheoretische Debatten rezipieren, sondern sich selbst als verantwortungsvolle bildtheoretische Akteure begreifen, dass sie in diesem Zusammenhang ihren kritischen Beitrag im Konzert der heute breit gestreuten bildtheoretisch engagierten Disziplinen und deren Debatten leisten und damit vor allem die bildsprachliche Seite der eigenen Glaubensüberlieferung als theologischen Untersuchungsgegenstand entfalten. Das genuine theologische Interesse entzündet sich an der den Bildern eigenen Evidenz, wie sie schon im Mittelpunkt des iconic turn stand. Eine Bildermacht, an der das theologische Bewusstsein auch den Hang zu einer Bildmagie und damit zu einer Bildgefahr wahrnimmt. Auf diese Ambivalenz der Bildermacht gründen die Autoren des Bandes ihren theologischen Bildbegriff. Stoellger konzentriert in seiner Einleitung den thematischen Zusammenhang des Bandes auf einen besonderen Aspekt solcher Bildermacht, an dem sich sowohl in theologischer als auch in bildwissenschaftlicher Hinsicht die Brisanz des Bildlichen in aller Deutlichkeit zeigt: Das Bildliche ist geprägt durch die Dialektik von Präsenz und Entzug.
Seit den beschwörenden Bildformeln der Höhlenmalereien zeichnen sich die Bilder durch ein Potential der Vergegenwärtigung aus, das die bloße Repräsentation außerbildlicher Gegenstände übersteigt. Die religiösen Bildtraditionen des Totengedenkens und des Andachtsbildes sieht Stoellger von diesem Vermögen der Präsenz ebenso gezeichnet wie die Imaginationswelten des Computerbildschirms, insbesondere die Produkte bildgebender Verfahren in der Medizin und in anderen Naturwissenschaften. Im Bild wird präsent, was ohne das Bild absent wäre; zur bildlichen Gegenwart bildet die Abwesenheit den dialektischen Gegenpol. Gegenüber dieser Opposition, die von außerhalb des Bildes beurteilt wird, bevorzugt Stoellger die begriffliche Konstellation von Präsenz und Entzug, weil sich die Dialektik des Bildlichen darin als ein im Bild und in seiner Betrachtung anzutreffendes Geschehen beschreiben lässt. »Wie Vergessen oder Gabe ist die Präsenz des Bildes eine Entzugserscheinung, eine Präsenz im Vorübergehen und das Vorübergehen der Präsenz. Damit eröffnet sich ein Zwischenreich der Phänomenalität.« (6) Ausgehend von dieser Grunddisposition entfaltet der Band das Programm einer Bildtheorie in protestantischer Perspektive, die das Sola-scriptura-Prinzip im Blick hat (in der Differenz von lexis und deixis) sowie Präsenzansprüche des Sakramentalen, darüber hinaus aber grundsätzlich interdisziplinär angelegt ist und auf eine allgemeine Theorie der Kultur des Visuellen zielt.
Entsprechend sind die 21 Beiträge des Bandes auf drei Kapitel aufgeteilt. Das erste (mit Beiträgen von Bernhard Waldenfels, Klaus Sachs-Hombach, Dieter Mersch, Jörg Huber, Michael Moxter, Antje Kapust, Brigitte Boothe, Michaela Ott und Philipp Stoellger) ist theoretischen und methodologischen Eckpunkten im bildwissenschaftlichen Spektrum gewidmet. Im zweiten Kapitel sind Beiträge (von Eckart Reinmuth, Hannes Langbein, Stephan Schaede, Günter Bader, Heinrich Assel, Thomas Klie, Martina Kumlehn, Klaus Hock und Arne Grøn) versammelt, die biblische, religions- bzw. theologiegeschichtliche, systematische und theologisch-praktische As­pekte der Bildtheologie in den Blick nehmen – mit einem religionsgeschichtlichen Ausblick auf den Islam. Die Autoren des dritten Kapitels (Cornelius Borck, Gerd Folkers, Samuel Zinsli, Heidrun Schumann und Thomas Nocke) problematisieren Visualisierungsstrategien in naturwissenschaftlichen Zusammenhängen.
Auf diese Weise entsteht ein breit gefächertes Spektrum einschlägiger Fragestellungen, dessen – produktive – innere Divergenzen aus zwei Tagungen (Herbst 2008 und Frühjahr 2009) resultieren, in deren Zusammenhang die Beiträge entstanden sind. Sie ergänzen sich gleichwohl sehr gut, und dies auch deutlich sichtbar werden zu lassen, ist das Verdienst der theoretisch grundlegenden und dazu mit großer Sorgfalt erarbeiteten Einleitung von Philipp Stoellger, die eine sehr gute Orientierung vermittelt. So gewinnt ein profilierter Bildbegriff Konturen, der den Ansprüchen der Ausbildung einer theologischen Bildkompetenz ebenso gerecht wird wie deren Eingliederung in einen umfassenderen kulturtheore­tischen Horizont. Eine Zusammenfassung der Programmatik und ihrer Perspektiven findet sich am Ende der Einleitung (39–41).
Das mit diesem Band vorgelegte Projekt erscheint mir als ein gelungenes Beispiel dafür, wie ein neu zu gründendes Feld theologischer Forschung und Lehre aus einer interdisziplinären Kooperation entwickelt werden kann, ohne dass die Konturen des neuen Feldes kraft der Vielfalt der beigesteuerten Ideen gleich wieder verschwimmen, aber auch ohne dass die Differenzen, auch Widersprüche, zwischen den beteiligten Disziplinen im Interesse des gemeinsamen Zieles egalisiert werden. Auffallend fehlt im Konzert dieser Disziplinen allerdings die Kunstgeschichte, in deren Zuständigkeit heute gewöhnlich der größte Teil der unter christlichen Vorzeichen stehenden Bildproduktion und -rezeption fällt. Mit ihr bleibt in diesem bildtheologischen Konzept vielleicht auch die Geschichte der christlichen Bildtheorie und damit die religions­historische Selbstvergewisserung einer Theologie des Bildes etwas unterbewertet, zu der einerseits theologische Texte (Synoden und Konzilien aus vorreformatorischer Zeit; die weit über die konfessionellen Grenzen hinaus einflussreichen Auseinandersetzungen unter den Reformatoren), aber mindestens ebenso sehr auch die Bilder selbst gehören, die als eigentliche Quellen theologischer Er­kenntnis in diesem Band nur sporadisch in Betracht kommen. Dies als Defizit anzumahnen, ist vielleicht zu entschuldigen als Ausdruck einer katholisch geprägten Option in den gegenwärtig mit Nachdruck voranzutreibenden bildtheologischen Debatten.