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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

464–465

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Macha, Jürgen, Balbach, Anna-Maria, u. Sarah Horstkamp [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Konfession und Sprache in der Frühen Neuzeit. Interdisziplinäre Perspektiven.

Verlag:

Münster/u. a.: Waxmann 2012. 245 S. m. Abb. = Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit, 18. Kart. EUR 37,90. ISBN 978-3-8309-2636-8.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Der Band dokumentiert die Ergebnisse einer im Februar 2011 vom Exzellenzcluster »Religion und Politik in den Kulturen der Vor­-moderne und Moderne« in Münster veranstalteten Tagung. Aus sprachwissenschaftlicher, historischer und historisch-epigra­-ph­ischer Perspektive wird dabei die in der Frühen Neuzeit be­sonders virulente Interdependenz von Bekenntnisstand und Sprachgebrauch facettenreich analysiert. Ob man angesichts des Umstands, dass zehn der insgesamt elf Beiträger die deutsche Staatsbürgerschaft haben, bereits von einer »internationale[n] Zu­sammenkunft« (7) reden sollte, ließe sich fragen. Die von den Herausgebern ebenfalls gepriesene Interdisziplinarität des Unternehmens be­schränkte sich auf die Kooperation von Historikern und Germanisten. Dabei hätte die Mitarbeit eines fachlich einschlägigen Kirchengeschichtlers zweifellos zur Klärung der binnenprotestantischen Konfessionsbezeichnungen beigetragen, die mehrfache Verwechslung von »reformiert« und »reformatorisch« (z. B. 173. 183) vermeiden helfen und gewiss auch weit darüber hinausreichenden Nutzen gestiftet.
Instruktiv sind die hier versammelten Studien, die jetzt nur in enger Auswahl vorgestellt werden können, insbesondere durch ihre Verzahnung großflächiger Orientierung und mikrohistorischer Analyse. Anna-Maria Balbach (Münster) untersuchte die Vergabepraxis »Frühneuzeitliche[r] Vornamen im Streit der Konfessionen«. Anhand einiger programmatischer Einlassungen, etwa dem nachträglich Martin Luther zugeschriebenen »Namen-Büchlein« (1537; viele weitere Auflagen) oder dem »Rituale romanum« (1614), dokumentiert sie zunächst die allgemeine Tendenz, die katho­-lische Bevorzugung von Heiligennamen auf evangelischer Seite durch eine Präferenz für biblische und germanisch-deutsche Na­men zu konterkarieren. In einer Fallstudie zur bikonfessionellen Reichsstadt Augsburg unternimmt sie sodann eine »Probe aufs Exempel« (21). Die Analyse von insgesamt 3.194 Taufnamen, die dort zwischen 1445 und 1745 nachweisbar sind, führte zu einem gerade in seiner Differenziertheit bemerkenswerten Resultat: Während der am häufigsten gewählte Vorname in beiden Konfessionen derselbe ist – nämlich einerseits Hans bzw. Johannes, andererseits Anna oder Maria –, sind die daneben bevorzugten Namen in katholischen Familien tatsächlich überwiegend dem Heiligenkalender, in lutherischen Familien dagegen, übrigens verstärkt auf männlicher Seite, der Bibel entnommen.
»Konfessionelle Aspekte in den Inschriften evangelischer Landesherren im 16. Jahrhundert« untersuchte der aus Münster stammende Historiker Sebastian Scholz (Zürich). Die eingehende epigraphische Analyse, die er an repräsentativen fürstlichen Grabmälern vornahm, erbrachte das übereinstimmende Resultat, dass dort »individuelle Äußerungen […] deutlich seltener sind als die plastischen und griffigen Aussagen zur reinen Lehre und zum Papst als dem Antichristen« (183), die dann gleichwohl eine klare, auf Wirkung bedachte konfessionelle Positionierung des jeweiligen Fürs­ten erkennen lassen. In der philologisch vergleichenden Analyse einer katholischen sowie einer evangelisch-reformierten geistlichen Textsammlung aus der deutschsprachigen Schweiz konnte Walter Haas (Fribourg/Schweiz) zwar kaum graphematische, morphologische oder lexikalische, jedoch erhebliche textlinguistische und stilistische Konfessionsdifferenzen aufweisen. Ähnliche Resultate zeitigte der von Mechthild Habermann (Erlangen) unternommene sprachanalytische Abgleich einer aus Nürnberg stammenden lutherischen und einer in Würzburg verfassten katholischen Leichenpredigt aus dem 17. Jh.
Instruktiv und namentlich auch in kirchengeschichtlicher Hinsicht bedeutsam ist die von Jürgen Macha (Münster) auf der Grundlage präziser sprachwissenschaftlicher Detailanalysen angestellte Beobachtung, dass im Ausklang des sog. Konfessionellen Zeitalters das binnenchristliche Abgrenzungsstreben keinesfalls hinfällig wurde: »Es scheint gerade nach der formellen Befriedung und im juristisch geregelten Nebeneinander der Konfessionen nicht selten ein wachsendes Bedürfnis bestanden zu haben, die eigene Sonderart als Protestant oder Katholik kenntlich zu machen […], gerade auch in der Zeit nach dem Westfälischen Frieden« (111 f.).
Insgesamt also ein vielfach anregender, durch ein nützliches Personen- und Sachregister erschlossener, zu noch breiterer interdisziplinärer Anschlussforschung einladender Tagungsband.