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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

462–464

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Blaufuß, Dietrich [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wilhelm Löhe. Erbe und Vision. ILoeS Loehe Theological Conference II Neuendettelsau 22. bis 26. Juli 2008.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2009. 381 S. = Die Lutherische Kirche – Geschichte und Gestalten, 26. Kart. EUR 59,95. ISBN 978-3-579-05781-1.

Rezensent:

Alf Christophersen

Der Band versammelt Vorträge, die in Neuendettelsau gehalten worden waren. Im Jahr des 200. Geburtstags Wilhelm Löhes, 2008, wurde dort die zweite »Loehe Theological Conference« der »International Loehe Society« und der ihr partnerschaftlich verbundenen »Gesellschaft für Innere und Äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche e. V.« veranstaltet. In seiner Einleitung (13–31) skizziert der Herausgeber und Löhe-Spezialist Dietrich Blaufuß den näheren Zuschnitt der Konferenz und gibt Einblicke in den gegenwärtigen Stand der Löhe-Forschung, insbesondere mit Blick auf die »Gesammelten Werke«, die als verloren geltende Bibliothek Löhes und die Archivlage. Gerade eine historisch-kritische Briefausgabe sei ein Desiderat (vgl. 20 f.), genauso wie eine umfassende Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur.
In 16 Einzelbeiträgen wird »Erbe und Vision« Löhes nachgegangen. Manfred Seitz (Erlangen) setzt sich mit »Gottesdienst und liturgische[r] Sprache bei W. Löhe« (33–49) auseinander. Dabei legt er einen besonderen Akzent auf die »poetische Sprache«, die jedoch nicht auf Lyrik zu beziehen sei, vielmehr gelte es mit dem Germanisten Johannes Anderegg herauszustellen, dass »in der Verkündigung und in der Theologie eine ›nachschaffende‹ Sprache« er­scheint, »die das Auseinanderklaffen von Wirklichkeit und Wort, von biblischem Wort und gegenwärtiger Wirklichkeit vermeidet« (41). Dieses Konzept könne dazu beitragen, Löhes Spracheinsatz zu entschlüsseln.
Thomas H. Schattauer (Wartburg Theological Seminary, Dubuque, Iowa) erörtert die Themenstellung »Reclaiming the Christian Assembly as Communio. The Significance of the Lord’s Supper in the Work of W. Löhe« (50–66). Der Direktor des Theologischen Seminars der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Kongo, Christian Weber, stellt Überlegungen zu »Löhe im Kongo. Missionarische Perspektiven gegen den Pessimismus« (67–79) vor und sucht nach möglicher Aktualität der Missionstheologie Löhes unter zentralafrikanischem Vorzeichen. Er habe »die Mission als schlichte Nachfolge auf dem Passionsweg Jesu« verstanden, und »das gab ihm die Energie gegen den herrschenden Pessimismus« (79). John T. Pless (Concordia Theological Seminary in Fort Wayne) präsentiert »The Lively Use of Loehe. Kenneth Korby’s Contribution to a Re­-newed Reception of His Pastoral Theology in The Lutheran Church-Missouri Synod« (110–126). Wolfhart Schlichting (Friedberg) analysiert »Kirche – Be­kenntnis – Pluralität bei Wilhelm Löhe« (127–149). Am Ende kommt er auf das eindrückliche Bild einer ausdauernden, »wunderbaren Blume« zu sprechen, die »durch alle Zeiten« heraufsprosse und der Kirche gleiche – so Löhe in seinen »Drei Bücher[n] von der Kirche«. Es sei die Amarant-Blume, von der Luther in seinen Tischreden gesprochen habe: »Ich weiß nicht, ob der Kirche etwas möge gleicher sein denn Amaranthus, diese Blume, die wir heißen Tausendschön« (149, Zitat aus: WA TR 6, Nr. 6780). Dietrich Blaufuß wendet sich einer immer wieder kontrovers verhandelten Fragestellung zu: »›Extra Lutheranismum nulla salus‹? W. Löhe jenseits von Konfessionalismus« (150–175). Es dürfe »für Löhe ein schroffer lutherischer Alleinvertretungsanspruch mit Gründen be­stritten werden« (174 f.). Als sinnvolle Ergänzung zum Vortrag von Blaufuß lässt sich der Beitrag Rudolf Kellers (Regensburg) lesen: »Kirche im Sinn des lutherischen Bekenntnisses. Löhes Vorstellung von freier Kirche« (176–198). Aber auch Jobst Reller (Hermannsburg) liefert in seinen Reflexionen zu »Be­kehrung und geistlicher Durchbruch bei Löhe« (199–218) konstruktive Aspekte, die das so facettenreiche Verhältnis Löhes zum Luthertum, aber auch zur Erweckungsbewegung aufgreifen. Vertiefende Details finden sich zudem bei Lothar Vogel (Facoltà valdese di teologia, Rom): »Von der Erweckung zur Wiederentdeckung der Konfession. Der theologische Bildungsgang W. Löhes« (219–238). Eine weitere Perspektive nehmen Hans Schwarz (Regensburg), der Wichern-Forscher Jürgen Albert und Theodor Strohm (Heidelberg) in den Blick: »W. Löhe zu sozialen Fragen seiner Zeit« (239–247), »Löhe und Wichern« (248–258) und »W. Löhes Verständnis der Diakonie der Kirche und die Wirklichkeit der Diakonie heute« (259–281). Gerade in den Debatten zu Innerer Mission und dann Diakonie tritt die gegenwärtige Relevanz von Leben und Werk Löhes verdichtet vor Augen. Doch rasch wendet sich der Blick wieder nach Nordamerika, ins 19. Jh.: Craig L. Nessan (Wartburg Theological Seminary) berichtet über »W. Löhe und die Iowa Synode. Missionskorrespondenz 1852–1872« (282–293), Martin J. Lohrmann (Lutheran Theological Seminary in Philadelphia) thematisiert »›A Monument to American Intolerance‹. The Iowa Synod’s ›Open Questions‹ in Their American Context« (294–306) und Dean Zweck (Australian Lutheran College in Adelaide) »The Influence of W. Löhe on the Lutheran Church in Australia« (307–330).
Eine unausgesprochene Mitte findet der Sammelband in den kritischen Analysen des Neuendettelsauer Praktischen Theologen Klaus Raschzok; er befasst sich mit dem »geistliche[n] Amt nach W. Löhe« als »Impuls in eine amtsvergessene Kirche« (80–109). Löhe sei davon überzeugt gewesen, »dass die Mehrzahl der Pfarrer über keine ›Ansicht‹ und damit über keine sich auch in ihren Berufsalltag hinein auswirkende gestalthafte Vorstellung des geistlichen Amtes verfügt«. Löhe kommentiert in seinen »Aphorismen über die neutestamentlichen Ämter und ihr Verhältnis zur Kirche« (1848/49): »Sie amtieren, als hätten sie kein Recht, zaghaft, von jedem Buben eingeschüchtert« (84 f.). Raschzok beharrt in den Debatten über den gegenwärtigen Status des Pfarramtes auf einer ausdifferenzierten Lehrbegriffsbildung. »Das geistliche Amt«, konstatiert er unter Aufnahme Löhes, »nimmt eine Mittelposition auf der Schwelle zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche ein«. Es sei ein »Transformationsamt, in welchem die sichtbare und die unsichtbare Kirche fragmentarisch ineinander übergehen« (87). Die Predigt als Verkündigung des Wortes Gottes wird in ihrer Leistung und in den an sie zu stellenden Qualitätsansprüchen hervorgehoben. Deutlich akzentuiert Raschzok Löhes Ansicht, dass das geistliche Amt ein »lebendige[r], das gespiegelte mit personenbezogener Prägung wiedergebende[r] Spiegel« (93) sei. Im Kern geht es Raschzok darum, das »kreative Potenzial« (107) zu akzentuieren, über das die Theo­logie und das praktische Wirken Löhes verfügten. Im großen Zu­sammenhang des Priestertums aller Gläubigen soll die zentrale Stellung des geistlichen Amtes so interpretiert werden, dass einerseits, mit Löhe, die »Mittelpunktstellung des Pfarrers in der Pastoraltheologie« (105) relativiert werden kann, aber andererseits auch der besondere Charakter des Amtes als »göttliche Stiftung« (96) hervortritt, ohne jedoch hierarchisch überhöht zu werden; denn schließlich gehe es »um Verantwortung für die Ausübung der Freiheit des mit der Taufe verliehenen allgemeinen Priestertums« (108).
Insgesamt sind die meisten der Aufsätze dadurch bestimmt, dass die vorgetragene Löhe-Exegese recht hermetisch ausfällt und nicht in den theologiegeschichtlichen Forschungsstand außerhalb dieses engeren Rahmens eingeordnet wird. Der Band enthält aber vielfältige Impulse für weiterführende Studien, nicht zuletzt zum Verhältnis Löhes zur Inneren Mission, zur Erweckungstheologie und zur lutherischen Konfessionalisierung im 19. Jh. Auch der internationale Rezeptionsrahmen, in den Wilhelm Löhe integriert ist, tritt produktiv hervor, wenngleich der Duktus der Aufsätze, die sich auf dieses Gebiet beziehen, doch vergleichsweise affirmativ ausfällt.