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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

459–461

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Haas, Thomas

Titel/Untertitel:

Geistliche als Kreuzfahrer. Der Klerus im Konflikt zwischen Orient und Okzident 1095–1221.

Verlag:

Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2012. 341 S. m. Abb. = Heidelberg Transcultural Studies, 3. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-8253-6038-2.

Rezensent:

Henrik Hildebrandt

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Phillips, Jonathan: Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge. Aus d. Engl. v. N. Juraschitz. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2011. 638 S. m. Abb. Geb. EUR 29,99. ISBN 978-3-421-04283-5.


Zwei neuere Publikationen zum weiten und unvermindert auf großes Interesse stoßenden Themenfeld Kreuzzüge liegen mit den zwei sehr unterschiedlichen Büchern von Jonathan Phillips und Thomas Haas vor. Das erste ist die umfassende Synthese eines ausgewiesenen Fachmanns, das zweite eine Dissertation und akribische Detailuntersuchung. Und beide sind ungemein lesenswert.
Haas geht der Frage nach, wie christliche Kleriker Kreuzfahrer sein konnten. Doch betrachtet er bei der Untersuchung dieses »wie« die Probleme der Motivation, der intellektuellen Rechtfertigung oder gar der juristischen Argumentation kaum. »Die bereits von den Zeitgenossen heiß diskutierte Frage, wie weit Geistliche hier gehen durften und sollten« (272), wird aus Gründen der Selbstbeschränkung im Rahmen einer Dissertation nicht weiter verfolgt, auch wenn vielleicht gerade sie den Leser brennend interessieren dürfte. Stattdessen konzentriert sich Haas ganz auf das Handeln und Wirken der Geistlichen im Rahmen der Kreuzzüge. Die von ihm untersuchte Quellenbasis bilden die erzählenden Berichte und Briefe sowohl von Kreuzzugsteilnehmern als auch von späteren Autoren. Der Durchgang durch diese Quellen stellt das Corpus des Buches von Haas dar. Minutiös zeichnet er dabei die Rollen, Aufgaben und Handlungen nach, die die verschiedenen Autoren den im Kreuzzug mitziehenden Geistlichen zuschreiben. Im zweiten Teil seines Buches stellt Haas die Ergebnisse systematisch zusammen. Die Aufgabenfelder des Klerus innerhalb des Kreuzfahrerheeres beschreibt er zum einen als nach innen, also auf die Kreuzzugsteilnehmer gerichtet. Dazu gehören die Aufgaben, die nur von den geistlichen »Spezialisten« ausgeübt werden können, wie der gesamte Bereich der Seelsorge und des Gottesdienstes, darüber hinaus aber auch die Übernahme von Führungs- oder Schlichtungsaufgaben. Die wichtigste Funktion der Kleriker, mit denen sie zeitweilig den Fortgang eines Kreuzzugs sichern konnten, bestand in der Motivation und der Ermunterung der Kreuzfahrer, besonders häufig durch die unter ihrer Leitung durchgeführten Bußakte. Zum anderen handelten Geistliche auch nach außen. Dazu gehören Tätigkeiten als Gesandte, bei der Kontaktaufnahme mit der griechischen Kirche, und auch die eigenhändige Ausübung von Gewalt im Kampf.
Die Erklärung dafür, wieso Kleriker auch an den Kämpfen direkt beteiligt waren – wenn auch sehr selten –, findet Haas in ihrer Partizipation an den Idealen und Werten des adligen Standes, aus dem sie stammen. Als weltliche Fürsten führten gerade Bischöfe gelegentlich auch ihre Truppen im Kampf an. So bestätigt seine genaue Quellenanalyse die bereits bekannten Erkenntnisse. Geistliche zogen in erster Linie mit den Kreuzfahrerheeren, um den Teilnehmern die Sakramente zu spenden und Gottesdienst zu halten. Eine prosopographisch von Haas untersuchte Ausnahme bildet der päpstliche Legat, der als Entscheidungsträger auch in strategischen Fragen an der Leitung vor allem des ersten Kreuzzuges teilnahm. Die Arbeit leistet damit einen wichtigen und fundierten Beitrag zur Frage nach der Funktion Geistlicher in den Kreuzzügen. Sie endet freilich auch hier. Die Frage, inwieweit der mitziehende Klerus dann in den Kreuzfahrerstaaten eine lateinische Kirchenorganisation aufbaute, wird nicht angesprochen. Auch das interessante Phänomen, dass in den Ritterorden die Grenzen zwischen Laien und Geistlichkeit zu­mindest aufgeweicht wurden, gerät nicht in den Blick.
Der große Wurf, den Phillips in seinem Buch vorlegt, macht nicht an den Grenzen der Kreuzfahrerstaaten halt. Insofern ist die Übersetzung des Buchtitels vielleicht etwas rätselhaft. Nicht um »den« heiligen Krieg, nicht einmal um die Aneinanderreihung heiligmäßiger Kriegszüge, als die die Kreuzzüge oft genug noch im­mer behandelt werden, geht es Phillips in weiten Teilen seines Buches. »Holy Warriors«, so der Originaltitel, heilige Krieger, handelnde Personen also, stehen im Mittelpunkt der Arbeit. Darin liegt eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Bücher. In dieser Konzentration auf die Personen liegt eine Stärke dieses neuerlichen Durchgangs durch die Kreuzzugsgeschichte. Die Kriegshandlungen werden dabei nicht bis ins Detail verfolgt – mancher Leser mag dies begrüßen. Auch liegt hierin nicht das »Neue« dieser neuen Ge­schichte der Kreuzzüge – so der Untertitel. Der Fokus auf Personen macht das Buch lesenswert. Wie Königin Melisende von Jerusalem in dieser – aus europäischer Sicht – neuen Welt eine für einen weiblichen Protagonisten innerhalb der Geschichte des Mittelalters herausragende Machtstellung erlangt und verteidigt, wie Lud-wig IX. von Frankreich den Kreuzzugsgedanken zugleich verinnerlicht und für den Ausbau seiner königlichen Machtstellung be­nutzt, wie ein Henry Bolingbroke im 14. Jh. nostalgisch-folkloris­tischen Kreuzzugstourismus betreibt – all dies erzählt Phillips meisterlich. Phillips versucht hier keine Erklärungen, sondern bietet sehr eindrückliche Beschreibungen. Die Kreuzzugsidee erweist sich als zu komplex, um sie anders als in den Schicksalen der vielen Kreuzfahrer zu erzählen. Das Ziel der Kreuzzüge wird im Lauf der Jahrhunderte erweitert: von Jerusalem auf Südspanien, Nordost­europa, Byzanz. Die Führung der Kreuzzüge entgleitet den Päpsten – selbst ihr wohl mächtigster Vertreter gewinnt sie nicht zurück – und geht auf die europäischen Könige über. Die Aufgabe der Kreuzzüge verändert sich vom Kampf gegen Heiden zum Kampf ge­gen Häretiker oder gegnerische christliche Fürsten und Staaten. Und der Gedanke des heiligen Krieges findet sich nicht nur bei den Chris­ten, sondern als vereinigendes Element auch auf Seiten der Muslime.
Ein noch immer und immer wieder kontroverses Thema wie die Kreuzzüge lässt vom Historiker, der diesem Phänomen nachgeht, auch eine Form der Wertung erwarten. Überzeichnungen, wie sie bei manch einem seiner zeitgleich publizierenden Kollegen vorkommen – zu denken ist an Rodney Starks »God’s Battalions« –, versucht Phillips durch Kontextualisierung und Historisierung zu vermeiden. Bei der Beurteilung der Kreuzzugsidee sollen zunächst einmal die mittelalterlichen Maßstäbe von Tugend und Glaube beachtet werden, auch wenn Phillips die Existenz anderer, weltlicherer Beweggründe der Kreuzfahrer ebenso benennt. Von diesem Standpunkt aus ruft er selbst bei so extremen Beispielen des Fehlverhaltens wie Kannibalismus zu nüchterner Beurteilung auf. Bei der Schilderung der Eroberung Jerusalems 1099 und ihrer Gräuel wird dieser Versuch, die Perspektiven zu trennen, ganz deutlich. Aus unserer Sicht ist die »Kombination aus religiösem Eifer und extremer Brutalität« schlecht verträglich (60). Aus der Sicht der Quellen konstatiert Phillips: »Die Eroberung Jerusalems war eine erstaunliche Leistung.« (61) Diese Spannung muss ein Leser, der sich dem Phänomen Kreuzzüge verstehend nähern will, wohl aushalten.
Phillips’ Buch endet allerdings nicht irgendwo in der frühen Neuzeit beim Nachzeichnen einer abebbenden Kreuzzugsbegeis­terung. Der politisch-populistischen Wunderwaffe »Kreuzzug« und ihrem Gebrauch bei Christen und Muslimen geht Phillips bis in die jüngste Vergangenheit nach, zu Hafis al-Assad und George W. Bush. Auch die Beschreibung der Rolle, die der Kreuzzugsgedanke als antiwestliches Motiv bei dem Entstehen der arabischen Nationalstaaten spielte, ist nicht neu, jedoch besonders gut gelungen.