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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

366–368

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wallis, Ian G.

Titel/Untertitel:

The Faith of Jesus Christ in Early Christian Tradition.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 1995. XIX, 281 S. 8o. geb. £ 35.­. ISBN 0-521-47352-7.

Rezensent:

Eduard Schweizer

Zum Glück muß ich das Buch nicht ins Deutsche übersetzen; denn die Sprachfelder, die das deutsche Wort deckt, sind sehr verschieden vom englischen und griechischen. "Faith" bedeutet "Vertrauen", "Glaube" (als menschliche Haltung), auch "Glaube an (Gott)", "Treue" (auch göttliche), sogar "Beweis". "Faith" deckt die Felder "Vertrauen, Glaube, Treue", aber deutlich unterschieden von "belief" als "Glauben an..." und "Glaubensbekenntnis". Im Deutschen redet man von der "Treue" (nicht vom "Glauben") Gottes (vgl. 204: Athanasius unterscheidet: pistos beim Menschen = glaubend, bei Gott = treu). Man müßte daher das Verbum pisteuein (glauben) gesondert untersuchen. Es wird im NT nie von Gott oder Jesus ausgesagt (zu Mk 9,23 s. u.), außer man erschlösse das aus Wendungen wie "Mir sind Gottes Worte vertraut" (Rö 3,3) oder gar aus 1Kor 13,7 ("die Liebe glaubt alles"), weil Gott auch Liebe ist. Hebr 12,2 nennt Jesus "Anfänger und Vollender der pistis" (s. u.), meidet aber typischerweise das Verbum, und in 11,6 ist Jesus schwerlich eingeschlossen. Beim Verbum ist sogar "glauben an... (Gott)" oder "glauben, daß..." typisch für das NT (70 f.: nachpaulinisch auch beim Substantiv). So ist für pistis Iesu die Übersetzung "Glaube an, Vertrauen auf Jesus" näherliegend als "Glaube (oder: Treue) Jesu", obwohl gewiß vom Glaubensgehorsam oder der Treue Jesu gesprochen wird. Für dieses Verständnis werden oft bedenkenswerte Argumente gebracht, wenn auch nicht alle Vorschläge überzeugen.

Die Einführung (1-23) bespricht die Debatte zwischen Ebeling (Glaube Jesu in den Evangelien) und Bultmann, die Absicht des Buches und die hebräischen wie griechischen Belege im Judentum und Hellenismus. Kap. 2 (24-64) behandelt die Synoptiker. Mk 9,23 ("Alles ist dem Glaubenden möglich") wird auf den Wundertäter (Jesus/Jünger) bezogen. Für Jesus wäre das eine absolute Ausnahme, so daß man doch auf den Vater beziehen muß, der in V. 24 sagt: "Ich glaube...". Auch das in V. 29 genannte "Beten" wird zwar öfters von Jesus erzählt, gehört aber nicht zu den Merkmalen der Wunder Jesu (Jo 11,41 f.!). In Mt 21,20-22, wo den Jüngern im Anschluß an Jesu Feigenbaumwunder Glauben und Beten als Kraft zu Wundern empfohlen werden, ist sehr fraglich, ob man das auf Jesus ausdehnen darf (44). Daß mit dem Aufruf zu "Berge versetzendem Glauben" Teilnahme an Gottes kreativem und eschatologischem Handeln suggeriert wird (48-53 mit jüdischen Beispielen), bleibt ebenfalls unsicher. Daß der Ton eher auf der (sich auch im Handeln zeigenden) Glaubenshaltung liegt als auf einem "Glauben an Jesus" (53-59), ist richtig. Es kann auch mit Recht vermutet werden, daß Jesus vor-synoptisch stärker als Mann des Glaubens wie Abraham und David (oder Elija und Elisa) gezeichnet wurde (60-63, 218), und daß das Teilhaben des Glaubenden an Jesus (63 f.) in der Nachfolge von Anfang an neben Jesu Einzigartigkeit auch die Ähnlichkeit seines Wirkens und Erleidens mit dem der Jünger einschloß.

Kap. 3 (65-127) versteht pistis Iesu bei Paulus weithin als "Glaube Jesu" nicht "Glaube an Jesus". Theologisch ist damit die radikale Ausrichtung auf Gottes Handeln ausgezeichnet hervorgehoben. Aber geht es exegetisch? "Glaube an Jesus" gilt bei Paulus sicher nicht als menschliches "Werk" (gegen 67 f., 88 f., 110 f. usw.). Rö 4,2-5 kontrastiert "Werken" und "Glauben" wie "(Rechtfertigung Abrahams) aus Werken" und "...aus Glauben" (Verbum, V. 9 Substantiv). Phil 3,3-9 beschreibt den Glauben (V. 9 Ende) als Absage an alles Vertrauen auf eigene Vorzüge und Leistungen. Es fällt mir schwer, in Gal 2,16 pistis Christu als "Treue" Christi, pisteuein daneben als (menschliches) "Glauben" zu verstehen (gegen 71, 103, 106-108). In 3,6 steht: "Wie Abraham glaubte..., so erkennt, daß die aus Glauben Kinder Abrahams sind", und V. 9: "So werden die aus Glauben (im Gegensatz zu "denen aus Gesetzeswerken") mit dem gläubigen Abraham gesegnet, was doch nur die Glaubenden bezeichnen kann. Dann ist es schwierig, in 3,11 das Zitat "Der Gerechte wird aus Glauben leben" auf Jesus zu beziehen (wie 110-114, vgl. 81 zu Rö 1,17). V. 12 setzt diesem "Glauben" das "Tun" entgegen, und V. 14 erklärt, daß wir infolge des Kreuzestodes Jesu (V. 13) den Segen Abrahams "durch den Glauben empfangen". Auch in 3,25 bezweifle ich, daß man verstehen kann: "(Sühne) durch Christi Glauben(sgehorsam) auf Kosten seines Bluts" (87) und anschließend 3,26: "den von Jesu Glauben Lebenden (oder: daran Teilhabenden)" (72). S. 114 f. erklärt, daß der Glaube Christi auch den darin begündeten Glauben derer einschließe, die am Glauben Christi teilhaben ("participate", 115, 72; jüdisch 84: den Glauben mit Abraham oder Mose teilen, "share").

Das Anliegen, Glauben nicht nur als Übernahme eines Dogmas zu verstehen, sondern als Anteil an dem, der durch seine Gerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit allen vermittelt (100), weil der Mensch ja nicht nur mit dem Hirn glaubt, sondern mit Händen und Füßen, Nerven und Gemüt, war mir schon 1966 wichtig (EvTh 26, 239-257). Aber kann man zu ein und derselben Stelle Gal 3,11 mit pistis Christu sagen, daß a) der Messias durch seinen Glauben lebt, b) aufgrund dessen auch der Mensch, und zwar c) wegen seines Glaubens an den Messias (111 f., Anm. 195; vgl. 95 f., 113), weil der Glaube Jesu der "Kanal" (118, vgl. "vehicle" 97, 216) ist, durch den der Segen zu den Glaubenden fließt? Also so, daß "Christ exemplarises (freilich 97: Paul does not emphasise the exemplary natur of Jesus’ faith) a faith of which he is, in part, the content" (126)? Hindert mich nur der Zwang der deutschen Sprache, in derselben Wendung Jesu vorbildlichen und ansteckenden Glauben und zugleich meinen Glauben an ihn zusammenzudenken?

Zweifellos ist der Glaube Geschenk Gottes, was im Epheser- und den Pastoralbriefen (Kap. 4, 128-144) betont ist (133). Aber Eph 3,12 verstehe ich wie die verwandte Stelle Rö 5,2 als "Glauben an Christus", nicht als "Treue Christi" (gegen 131 f.), da vom "Vertrauen durch ihn" (nicht: "auf sie") gesprochen ist. Die Pastoralbriefe reden viermal von "Glauben (und Liebe) in (oder: an/zu) Christus Jesus". Trotz der auffälligen Stellung des Artikels (135) erscheint mir das zweite wahrscheinlicher. Jedenfalls ist Jesus nicht "the one who first believed" (142); das Verbum wird nie auf ihn bezogen. Daß menschliches Glauben "grundlegend mit der Person Christi verknüpft ist", "in ihm seinen Ursprung hat" und daß ihm Christus "theologisch und ethisch seinen Inhalt verleiht" (136-139), ist aber richtig und wesentlich.

Anders steht es im Hebräerbrief und in der Offenbarung (Kap. 5, 145-174), wo Christus nicht nur als "treu" erscheint (3,2.6 parallel zu Mose, 148-150, zu Offb: 163-166), sondern auch als "Anfänger und Vollender (ein antiker Beleg dafür jetzt in JBL 1995, 117-119!) des Glaubens" (12,2, 150-159), wo nach 11,1 "Glaube" (im Sinn des deutschen Wortes) gemeint ist. Auch Offb 14,12 spricht wohl vom "Glauben Jesu" (ohne Zufügung von "Christus" oder "Herr"!), verbunden mit den "Geboten Gottes" und auswechselbar mit "Zeugnis (den Märtyrertod einschließend, 163?) Jesu" (169).

Kap. 6 (175-212) zeigt, wie nachbiblisch "Glaube an..." immer deutlicher dogmatisch definiert und betont wird. Kap. 7 (213-221) faßt zusammen. In Auseinandersetzung mit Bultmann (215) wird an die Jünger erinnert, die von der Tiefe der Glaubensbeziehung Jesu zu Gott beeindruckt waren (215 f.). Kann man aber, selbst wenn man pistis als die "Treue Jesu" versteht, diese sogar bei Paulus so scharf von der Bundestreue Gottes unterscheiden (78: als deren Manifestwerden), daß man sie "als menschliche Funktion" auf das ansteckende "Glauben" Jesu hin interpretiert? Wenn das historisch gemeint ist, könnte das gewiß eine vorsynoptische Stufe wahrscheinlich machen (s. o. zu 60-63) und auch dem entsprechen, was damals geschah. Ich meine auch, daß das in manchen Texten bis hin zum Christuslied in Phil 2 und zur Formulierung vom "Anfänger des Glaubens" in Hebr 12,2 nachwirkt. Aber ich zweifle daran, ob man außerhalb von Hebr und Offb in diesem Sinn vom "Glauben Jesu" (als ntl. Textaussage) reden kann. Für den Nachweis, daß auch die allen Menschen gemeinsamen Erfahrungen in ihrem Verhältnis zu Gott christologisch (ich meine: in sehr differenzierter Form, unter Vermeidung der Formulierung "Glaube Jesu" im obigen Sinn) fruchtbar wurden (221), bin ich dem Vf. wirklich dankbar. Er hat mich zu angestrengtem Denken gezwungen. Noch mehr gilt das für die dadurch verschärfte hermeneutische Frage: Wie weit prägen in unserem Reden vom (menschlichen) "Glauben" auch die im englischen wie griechischen Wort eingeschlossenen Bedeutungen von (göttlicher) "Treue" unser Verständnis (oder umgekehrt), und wie läßt sich feststellen, welches die primäre, durch die mitschwingenden Gedanken nur sekundär (oder überhaupt nicht?) begleitete Aussage ist?