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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

455–457

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Czerwon, Ariane

Titel/Untertitel:

Predigt gegen Ketzer. Studien zu den lateinischen Sermones Bertholds von Regensburg.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. X, 265 S. = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 57. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-150141-8.

Rezensent:

Kristin Skottki

Die Untersuchung zu den lateinischen Predigten des Franziskaners Berthold von Regensburg († 1272) ist die überarbeitete Fassung der an der Bergischen Universität Wuppertal im Wintersemester 2007/ 2008 eingereichten Dissertation der Autorin. Ariane Czerwon fragt darin, welche Rolle die Ketzerthematik in den lateinischen Predigten Bertholds einnahm und ob man ihn entsprechend als Ketzerprediger verstehen könne. Eindeutig schließt sie damit eine Forschungslücke, denn das Thema wurde in der jüngeren Forschung kaum ausführlich untersucht und wenn, dann in aller Regel auf Grundlage der deutschsprachigen Predigten. Diese deutschen Texte wurden allerdings von anderen Ordensbrüdern nie­dergeschrieben, während die lateinischen Texte die von Berthold selbst autorisierten Fassungen seiner Predigten darstellen.
Besonderen Wert legt C. auf die Kontextualisierung der von ihr untersuchten Texte, was sich entsprechend im Aufbau der Untersuchung widerspiegelt. So beginnt sie nach einem Forschungsüberblick mit einem biographischen Kapitel über Berthold, in dem sie sogleich kritisch legendarische Bilder von Berthold dem »guten Landprediger«, dessen intellektuelle und rhetorische Fähigkeiten selbst den französischen König schwer beeindruckt hätten, nach ihrer Funktion befragt. Deutlich zeigt sie, wie schon zeitgenössische Ordensbrüder Berthold als Vorbild stilisierten, da er in besonderer Weise Gelehrsamkeit und den praktischen Nutzen der Predigt für die einfachen Gläubigen zu verbinden gewusst habe.
Im dritten Kapitel fragt C. nach der tatsächlichen Verbreitung von Häresien in Bertholds süddeutschem Wirkungsfeld. Hier kommt sie zu dem Schluss, dass vor allem die Waldenser in Süddeutschland in einem pastoralen Vakuum tätig wurden, so dass die kirchliche Gegenoffensive sich hier insbesondere an die unteren und mittleren Gesellschaftsschichten richten musste, um ihnen die Glaubenswahrheiten möglichst einfach verständlich zu ma­chen und sie so vom Irrweg der Häresie abzubringen. Vermutlich, so C., ließ Berthold die hier gewonnenen Beobachtungen auch in seine Predigten mit einfließen.
Im vierten Kapitel geht es dann um das Medium der Predigt. Neben grundsätzlichen Überlegungen zur schriftlichen Überlieferung und zur Performanz des Predigers stellt C. ausführlich die Entwicklung der Predigtkunst bei den Franziskanern dar. An­schließend geht sie nochmals auf die Waldenser und Katharer ein. Während die Katharer Anhänger vornehmlich durch das Vorbild ihres Lebenswandels gewannen, hätten die Waldenser das Volk durch ihre pastorale Tätigkeit und insbesondere durch ihre Predigten zu sich gezogen. Da sie jedoch als Laien nicht dazu befugt waren und somit die Autorität der Kirche in Frage stellten, wurden sie bald selbst als Häretiker verfolgt, obwohl sie anfangs sogar der Kirche im Kampf gegen die Katharer behilflich waren. Schließlich stellt C. einige Beispiele von bekannten Ketzerpredigern vor, wobei sie anmerkt, dass kaum echte Ketzerpredigten überliefert sind und dieses Thema meist nur aus Anekdoten zu diesen Personen rekonstruiert werden kann. Anders sehe das nun aber in den lateinischen Predigten Bertholds von Regensburg aus.
Im fünften Kapitel stellt C. daher ausführlich die Ketzerthematik in Bertholds lateinischen Predigten vor, wobei sie darauf verweist, dass Berthold offenbar nie als Inquisitor tätig war und daher vermutlich nie direkt in reale Konfrontationen mit Ketzern involviert war. Vielmehr kann sie sehr überzeugend zeigen, wie Berthold durch die kreative Aneignung der klassischen Literatur zur Ketzerproblematik Gerichtsszenen, ja geradezu Spielszenen, gegen Ketzer in seinen Predigten inszenierte. Auf polemisch-gelehrte und dennoch einfach verständliche Weise führt er den falschen bzw. Un-Glauben der Ketzer vor, und gibt besonders die scheinbar gelehrten Häresien der Lächerlichkeit preis. Auch die Juden qualifiziert er als Ketzer, die durch den Talmud die biblische Überlieferung verzerrt hätten. Anders als in seinen deutschen Predigten, so C., kennzeichnet er sie jedoch nicht als Gefahr, sondern stellt ihren Glauben als dumm und töricht dar. So folge er weniger der üblichen endzeitlichen Dämonisierung der Ketzer, sondern zeige vielmehr die Richtigkeit und Überlegenheit des katholischen Glaubens auf, um somit die verkehrte Wahrheit und scheinbare Heiligkeit der Ketzer zu entlarven.
Das letzte Kapitel ist der Edition dreier Sermones aus dem Freiburger Codex 117 I/II gewidmet, die auch die vornehmliche Quellenbasis für die vorhergehende Analyse bildeten. Dazu stellt C. ausführlich die Überlieferungslage vor und weist nochmals auf die Besonderheit hin, dass es sich bei Bertholds Texten nicht um die üblichen »Sermokondensate« (Predigtvorlagen) handele, sondern um ausgestaltete Texte, die dadurch einen Eindruck von Unmittelbarkeit erwecken. Leider konnte C. nur diese drei Sermones edieren, da allein der Freiburger Codex beinahe 300, teilweise mehrere Fo­lioseiten füllende, Predigten enthält. Dass sie hiermit aber schon eine überaus wertvolle Arbeit geleistet hat, wird etwa aus ihrer Aufdeckung der Mängel des bisher einzigen Teilabdrucks dieser Predigten bei Anton E. Schönbach deutlich.
Als Fazit kann man festhalten, dass C. mehr als überzeugend die Wichtigkeit der lateinischen Predigten Bertholds und die reiche und vielfältige Behandlung der Ketzerthematik in diesen Texten aufzeigen kann. Die sich immer wieder durchziehende Frage, ob Bertholds Darstellung der Ketzer auf eigenen Erfahrungen des Predigers beruhe, scheint mir dagegen gar nicht so wichtig. Denn eine grundlegende Erkenntnis dieser Untersuchung ist ja gerade, dass Berthold ein Meister der Inszenierung ist und dem Leser seiner Predigten den Eindruck einer unmittelbaren Konfrontation mit den Ketzern vermitteln kann. Sie werden damit zu einem Zeugnis der überragenden Predigtkunst dieses Mannes, was vielleicht auch erklärt, warum ausgerechnet seine Predigten vollständig und sogar mit den entsprechenden Regieanweisungen überliefert wurden – an ihnen sollten sich die Ordensbrüder, die tatsächlich als Ketzerprediger tätig wurden, ein Beispiel nehmen.
Diese Studie kann den Lesern nur wärmstens empfohlen werden. Sie ist umfassend und detailliert, zugleich lebendig und gut verständlich geschrieben. Manche Beispiele wiederholen sich zwar, doch ist das verzeihlich, denn viele der Anekdoten sind einfach zu amüsant und erhellend, um nur einmal genannt zu werden. Wer mit dem Gegenstand nicht vertraut ist, gewinnt einen wunderbaren Einblick in den historischen Kontext und das Wirken Bertholds, aber auch in die Funktion der Predigt, besonders bei den Franziskanern. Vielleicht regt diese Studie zudem manchen Experten dazu an, die von C. als Forschungsdesiderat benannte Edition der lateinischen Rusticanus-Sammlungen in Angriff zu nehmen.