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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

446–448

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Litwa, M. David

Titel/Untertitel:

We Are Being Transformed. Deification in Paul’s Soteriology.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2012. XV, 327 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 187. Geb. EUR 89,95. ISBN 978-3-11-028331-0.

Rezensent:

Volker Rabens

Kann die paulinische Soteriologie als eine Art Vergöttlichung verstanden werden? Dieser Frage widmet sich die von David Litwa als unabhängige Studie an der University of Virginia verfasste Monographie We Are Being Transformed. Sie reiht sich ein in ein neu erwachtes Interesse an dieser Fragestellung, die kürzlich u. a. auch von Michael Gorman in Inhabiting the Cruciform God (2009) und Ben Blackwell in Christosis (2011) aufgegriffen wurde. Anders als Gorman spricht L. jedoch nicht von Theosis (Blackwell: »Christosis«), sondern von Deifikation (Vergöttlichung, Vergottung), denn er gibt zu bedenken, dass »Theosis« gerne von christlichen Theologen zur Abgrenzung von »heidnischer« Apotheose verwendet werde. L. definiert Deifikation als Teilhabe an (»sharing in«) der göttlichen Identität, d. h. an den charakteristischen Qualitäten, die einen Gott zu einem Gott machen – speziell Unsterblichkeit, Kraft und Tugend. Hierbei gehe es nicht um vage Ähnlichkeit (»likeness«), sondern um eine gemeinsame Identität.
L.s Studie zeichnet sich durch seine religionsgeschichtliche Herangehensweise aus. Nicht nur, aber vor allem im ersten Drittel des Buches beschäftigt sich L. mit dem Kontext der »Vergöttlichung« bei Paulus. Er untersucht die Charakteristika von Divinität in der griechisch-römischen Welt (vor allem Kraft und Macht), das Konzept der Assimilation an bestimmte Gottheiten und die »jüdischen Wurzeln der Vergöttlichung« (Kapitel 1–3). L. argumentiert, dass Deifikation bei Hesiod, Pindar und den homerischen Dichtern als physische Transformation konzipiert wird, die durch physische Elemente wie die Salbung mit Öl oder spezielle Diäten bewirkt wird. In dieses Modell der Vergottung reiht L. auch den jüdischen Roman JosAs ein (ohne hierzu die kontroverse Diskussion in der Sekundärliteratur zu beachten).
L. räumt ein, dass es in der frühjüdischen Literatur eine kritische Einstellung zur Selbstvergottung von Menschen gab. Dennoch konnte z. B. Philo die Vergottung von Herakles und den Dioskuren als einen legitimen Prozess darstellen (Legat. 81–86). Auch das Verständnis der israelitischen Könige als Söhne Gottes zeigt, dass die Grenzen zwischen Gott und Mensch nach antikem Verständnis fließend waren. Dies wird auch am »theomorphen« Charakter des Menschen deutlich (Gen 1,26 f.), der die Teilhabe an der göttlichen Körperlichkeit umschließt (so auch die jüdischen Autoren des Neuen Testaments: Joh 10,34–36; Apg 17,28; etc.) (96 ff.).
Im zweiten Teil der Arbeit richtet L. den Blick auf Paulus. Er erklärt, dass Paulus nach dem Vorbild vieler alttestamentlicher Texte (z. B. Lev 10,1–3; Ez 8,2 f.) den göttlichen Körper als eine physische Substanz versteht. In der Vergöttlichung werden Christen dem himmlischen Pneuma-Stoff Christi gleichgestaltet (1Kor 15,35 ff.). »Die pneumatische Seele wird sternenhaft und siedelt sich bei den himmlischen Körpern an« (140). Im Zuge des Aufstiegs in den Himmel ersetzt das pneumatische Element vollkommen das sterbliche Fleisch. Dies gilt im Speziellen für das Leben nach dem Tod, in dem die Gläubigen dem pneumatischen Christus körperlich angeglichen werden und so göttliche Qualitäten erlangen. Allerdings erläutert L., dass Christen bereits seit der Taufe »eine ›Dosis‹ des Pneumas Christi empfangen haben (1Kor 12,13)« (169), und dieses »makes them into itself« (166).
Neben der körperlichen Angleichung umfasst die Vergöttlichung einen zweiten Aspekt: die kosmische Herrschaft der Heiligen. Die Getreuen bekommen Anteil an der universellen Herrschaft Christi, denn mit Christus gibt Gott den Christen »alles« (Röm 8,32) – also auch kosmische Kraft. Sie werden alles besitzen (1Kor 3,21) und erreichen so göttlichen Status (186). Als dritten Aspekt der Deifikation wendet sich L. schließlich der moralischen Assimilation an Gott zu. L. bringt mehrere Texte antiker Autoren ins Gespräch, die ein tugendhaftes Leben als Grundlage der Vergottung ansehen – teilweise erst nach dem Tod (z. B. Josephus, Ant. 4.326), teilweise aber auch schon von Beginn an (so z. B. Philos Interpretation von Gen 1,26 als anthropologischer Grundlage der moralischen Assimilation an Gott). Für Paulus ist vor allem der in 1Kor 2,6 erwähnte »Sinn Christi« ein Schlüssel zu diesem Aspekt der Vergottung: Das »Pneuma Christi ist in das Selbst der Gläubigen ge­kommen und funktioniert so wie der natürlich göttliche Verstand im platonischen und stoischen Denksystem. D. h. es fungiert als das höhere Selbst, das das niedrigere Selbst kontrolliert und transzendiert« (vgl. 2Kor 4,17; Röm 7,23; Gal 5,16 ff.) (206 f.). Auf diesem Wege werden die Gläubigen in Christus hinein transformiert, d. h. sie erhalten Anteil an der göttlichen Natur (2Kor 3,18) (216 ff.).
Im letzten Teil der Arbeit geht L. in zwei Kapiteln auf übergeordnete Themen sowie mögliche Einwände gegen seine Thesen ein. Vor dem Hintergrund antiker monotheistischer Vorstellungen bescheinigt L. Paulus das Konzept der »graded divinity« (Summodeismus). Für Paulus gibt es demnach eine übergeordnete Gottheit (»a primal God«) »von der alle Dinge sind« und eine mittelbare Gottheit (»a Prime Mediate demiurgic deity – Christ«) »durch die alle Dinge sind« (1Kor 8,6). »Die immortalisierten und pneumatifizierten (d. h. vergöttlichten) Christen sind dazu vorherbestimmt, in diese göttliche Welt einzugehen und über die dämonischen Kraftwesen zu herrschen« (242). Durch ihre Assimilation an einen mittelbaren Gott (Christus) werden die Christen höhere Wesen als die Engel. Sie werden dementsprechend nicht nur wie Gott, denn das entspräche einem metaphorischen Konzept von Vergöttlichung, das L. ablehnt. Vielmehr ist für Paulus Vergöttlichung »a close assimilation to the destiny and nature of a divine being (Christ)« (288) und Teilhabe an der wirklichen Natur des christlichen Gottes.
L. räumt ein, dass Paulus selber der Terminologie der Vergöttlichung sicher widersprechen würde. Er ist jedoch nicht an einer emischen, sondern an einer etischen Beschreibung der paulinischen Theologie interessiert. Letztere zeigt, wie die paulinische Soteriologie in der Sprache seiner Zeit (und auch heute) verstanden werden konnte/kann, denn »Vergottung« ist eine ureigene Kategorie im paulinischen Kontext (300).
Mit seiner Monographie (die durch ein – leider unvollständiges– Literaturverzeichnis und ein nur zweiseitiges Stichwortverzeichnis abgeschlossen wird) hat L. eine wichtige Studie zur Deifikation in der Antike vorgelegt. L. entfaltet das Thema mit rhetorischem Geschick und führt die Leser durch ein breites Spektrum antiker Texte. Dabei überzeugt er in seiner systematischen Ge­samtschau – weniger jedoch in seinen exegetischen Einzelbetrachtungen, die eher knapp ausfallen. Oftmals werden Texte von verschiedenen Autoren zusammengeführt, um ein Gesamtbild einer Vergottungstheorie zu entwerfen. Leider verzichtet L. dabei regelmäßig auf die Einordnung in die jeweiligen literarischen Kontexte. Beispielsweise ignoriert er die paulinische Argumentationsstruktur in 1Kor 15,35 ff. – und blendet entsprechend auch Argumente anderer Paulusinterpreten aus, die die rhetorische Struktur analysieren und ihre Interpretation auf diese bauen (129 ff.).
Das von L. entworfene Konzept der Vergottung bei Paulus ist in sich schlüssig. Bei dem Versuch, Paulus aus L.s Blickwinkel zu lesen, eröffnen sich neue Perspektiven für die Paulusinterpretation. Es ist allerdings zu fragen, ob es nicht sinnvoll wäre, die etwas offenere Begrifflichkeit der Partizipation und Transformation (mit dem Resultat der zunehmenden Ebenbildlichkeit: τὴν αὐτὴν εἰκόνα μεταμορφούμεθα, 2Kor 3,18; Röm 8,29; Kol 3,10) für diesen Aspekt der paulinischen Soteriologie zu verwenden. Für L. ist diese Terminologie unzureichend, weil sie die ontologische Gottwerdung nicht deutlich genug zum Ausdruck bringt. Vielmehr spricht er von einem »sharing in the divine identity«, das aber keine Verschmelzung (fusion) mit der Gottheit bedeute. Leider liefert er zu wenige exegetische Anhaltspunkte für diese Unterscheidung.
In L.s Arbeit werden teilweise anthropologische Texte als Beweis für die Vergottung der Gläubigen herangezogen, obwohl diese Texte zunächst nur eine grundsätzliche Disposition des Menschen beschreiben. An dieser Stelle tritt eine gewisse Unschärfe der Studie zu Tage, da L.s anderweitig sehr gelungener didaktischer Aufbau der Arbeit keine klare Unterscheidung der potentiellen Phasen von Deifikation anbietet. Vor allem die erste (göttliche Ebenbildlichkeit) und die letzte Phase (eschatologische Verwandlung) hätten deutlicher von den Aspekten der gegenwärtigen Vergottung abgehoben werden können. Dennoch: Auch wenn L.s Entwurf nicht jeden zu überzeugen vermag, so ist das von ihm gezeichnete Bild der paulinischen Soteriologie eine wichtige Anregung für alle zu­künftigen Paulusstudien, die sich intensiv mit diesem Aspekt seiner Theologie auseinandersetzen wollen.