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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

442–443

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gerber, Christine

Titel/Untertitel:

Paulus, Apostolat und Autorität oder Vom Lesen fremder Briefe.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2012. 100 S. = Theologische Studien, NF 6. Kart. EUR 13,80. ISBN 978-3-290-17805-5.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Die Reihe möchte »aktuelle öffentlichkeits- und gesellschaftsrelevante Themen auf dem Stand der gegenwärtigen theologischen Fachdebatte profiliert« darstellen (Klappentext). Ob das vorliegende Bändchen von Christine Gerber diesem Anliegen gerecht wird, mag bezweifelt werden, wohl auch, ob die Vfn. das überhaupt wollte. Ihre Darstellung konzentriert sich jedenfalls weitgehend auf die paulinische Korrespondenz in ihren historischen Ursprungszusammenhängen und handelt diese vor allem unter der Frage nach den Kommunikationsprozessen ab, die sich in ihnen widerspiegeln. Dass »wir«, also heutige Leser, die Paulusbriefe lesen, gehört nach Einsicht gegenwärtiger Rezeptionsästhetik unumgänglich zum Prozess der »Sinngebung des Textes« hinzu (14), ändert aber nichts daran, dass die Lektüre der Paulusbriefe als Lesen von fremder Leute Post zu klassifizieren ist. Deshalb warnt die Vfn. vor »Direktübertragung«, vor jedem »direkten Weg der Applikation des Textes«, betont stattdessen die Distanz zu der Welt, die der Text voraussetzt, und ermuntert zu »einer dialektischen Bewegung zwischen […] Textinterpretation und […] Selbst-Wahrnehmung« (15). Am Ende ihrer Einführung dekretiert sie: »Für diese Briefe gibt es kein Prinzip außer dem des kontextuellen Verstehens der Aussagen, zu dem die inhaltlichen Ausführungen einladen mögen.« (18) Auch bei der abschließenden Frage, was sich positiv zur Bedeutung der Paulusbriefe für die Erhellung der Gegenwart sagen lasse, kommt sie nicht über »die Unhintergehbarkeit der Kommunikationsdimension« und »die Metapher von dem ›lebendigen Gespräch‹« (93) hinaus. Ob ein solches Gespräch auch ein Thema habe, ob in der Kommunikation eine Botschaft vermittelt werde, bleibt unerheblich.
Die Textauslegungen, vorwiegend zur Korintherkorrespondenz, kreisen im Wesentlichen um die Erschließung der Metaphern, die Paulus gebraucht, wobei die Vfn. auf die ausführlicheren Exegesen in ihrer Monographie »Paulus und seine ›Kinder‹« (Berlin 2005) zurückgreift. Zunächst wird das Briefmedium als Mittel der Beziehungspflege thematisiert. Anschließend geht es um die Be­deutung des Apostolats, der betont von seiner Rezeption in den kirchlichen Auslegungstraditionen (im Sinne einer »apostolischen Sukzession«) abgesetzt wird. In zwei weiteren Kapiteln werden die Metaphoriken des 2. und des 1. Korintherbriefes analysiert. Sie dienen primär dazu, die persönlichen Beziehungen des Paulus zu der von ihm gegründeten Gemeinde zu sichern, wobei der Apostel in der Regel aus einer Position übergeordneter Autorität der Gemeinde gegenübertritt. Als Resümee ergibt sich, »dass Metaphern nie die ganze Wirklichkeit erfassen, sondern im Bildspender immer nur einige Aspekte hervorheben, andere aber zugleich verdunkeln […] Die Arbeit am Sinn kann daher immer nur annäherungsweise ge­schehen – und muss im Grunde immer wieder neu für die eigene Gegenwart geleistet werden.« (76 f.)
Hat also Paulus »uns« etwas zu sagen, was »wir« uns nicht auch – vielleicht sogar besser – selbst sagen könnten? Solange seine Briefe lediglich als antike Modelle für Kommunikation und Beziehungspflege betrachtet werden – was immer noch durchaus anregend und in vielen Einzelheiten erhellend sein kann, wie die kleine Schrift der Vfn. auf jeder Seite belegt – bleibt das Wesentliche, was Paulus zur Sprache bringen wollte, ungesagt. Er bezog es nach eigenem Zeugnis (1Kor 15,3) nicht aus den mannigfaltigen und zweifellos überaus lebendigen Beziehungen, in denen er zu seinen Gemeinden stand, sondern »vom Herrn« (1Kor 11,23). Vielleicht ist es aber gerade die Fremdheit der Paulustexte als Zeugnisse antiker Kommunikationsprozesse, die auch heutige Leser dazu animieren könnte, nun selbst in ihnen nach Botschaften zu suchen. Das wäre gewiss auch im Sinne der Vfn.