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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

363–366

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stuckenbruck, Loren T.

Titel/Untertitel:

Angel Veneration and Christology. A Study in Early Judaism and in the Christology of the Apocalypse of John.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. XVIII, 348 S. gr. 8o = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 70. Kart. DM 88,­. ISBN 3-16-146303-X.

Rezensent:

Marco Frenschkowski

In der Offenbarung des Johannes bewegt sich der frühchristliche Prophet vielfach im Spannungsfeld zwischen Monotheismus, Angelologie und Christologie. Die hier angezeigte Studie (eine Dissertation des Princeton Theological Seminary, die aber zu großen Teilen in Deutschland entstand) untersucht dieses Beziehungsgeflecht traditionsgeschichtlich, um damit einen Baustein zu einer klareren Erfassung der Christologie der Apokalypse zu liefern. Verglichen mit einer Reihe stark spekulativer und plakativer älterer (Martin Werner) und neuerer (Margaret Barker) Arbeiten zum Verhältnis zwischen Angelologie und Christologie ist dies eine erfreulich sorgfältige, präzise und vor allem um Nuancen bemühte Monographie. In vier Hauptteilen bietet der Autor I. eine forschungsgeschichtlich orientierte Problemanzeige, II. eine umfassende Sichtung aller Indizien, die für eine Engelverehrung im antiken Judentum sprechen könnten, III. eine Untersuchung "angelomorpher" Züge in der Christologie der Apk. und schließlich IV. ein ausführliches Resümee.

In seiner Sammlung von Spuren einer jüdischen Engelverehrung differenziert S. nach Traditionszusammenhängen sowie begrifflich zwischen einer schwächeren "angel veneration" und einem förmlichen "angel cult" (50 u. ö.). "Monotheismus" wird als Grenz- und Rahmenbegriff profiliert (15-21), der eine Fülle divergierender Theologien zusammenzufassen erlaubt.

Polemische Passagen aus dem Corpus der rabbinischen Literatur setzten bei ihren Adressaten ein starkes Interesse an angelologischen Fragen im Vor- bzw. Umfeld der Merkabamystik voraus ( u.a. mChull. 2,8, tChull. 2,18; bChull. 40a; jBerakh. 9,13ab; Ex.R. 32,4; bSanh. 38b), die in ein kritisches Licht gerückt werden. Zeitlich schon sehr viel früher wird in einer Reihe von altjüdischen Texten eine "refusal tradition" sichtbar, in der (meist anläßlich einer Angelophanie) ein Engel dem Seher o.ä. seine Verehrung ausdrücklich untersagt ( Tob. 12,16-22; Zephanjah-Apk. 6,11-15; Asc. Is. 7,18-23; 8,10-15; slav. Hen. 1,4-8; hebr. Hen. 1,7; 16,1-5; Kairoer Genizah, Hekhalot-Fragment A/2, 13-16; Apk. 19,10; 22,8 f.; apokr. Matthäusev. 3,3 und einige nur entfernt vergleichbare Texte; s. 76 f.). Diese Tradition findet als narrativer Baustein namentlich in apokalyptischen Kontexten Verwendung und ist zwar ein den Monotheismus in angelophanen Kontexten schützendes Theologumenon, aber doch, wie S. sehr klar aufzeigt, kein Indiz für eine dem Seher vor Augen stehende tatsächliche Engelverehrung.

Weiter werden ntl. Passagen diskutiert, die als Indizien für eine jüd. Engelverehrung im Umfeld des frühen Christentums in Anspruch genommen worden sind: Gal. 4,3.8-11; Kol. 2,18; Hebr. 1,5-2,18; dazu einige jüngere, aber wegen ihrer größeren Explizitheit fundamentale Texte (Kerygma Petrou bei Clem. Al., strom. VI, 5, 41, 2 f.; Aristides, apol. 14; Kelsos bei Origen., c. Cels. I, 26; V, 6). Interesse verdienen dabei u.a. die Ausführungen gegen Schweizers pythagoreisierende Reduktion der Stoicheia ("Elemente") in Gal. 4,3.9 auf bloße Inbegriffe der die Seele bindenden Materie ohne weitere dämonologische Konnotationen. Auch Kol. 2,18 wird differenziert diskutiert, doch ist die vorgeschlagene Lösung ­ die Konstruktion "Dienst der Engel" sei sowohl als Genitivus subjectivus als auch als objectivus zu verstehen (117) ­ vielleicht doch eine zu bequeme Harmonisierung. Zu Hebr. 1 f. wird überzeugend argumentiert, daß es hier um ein gewissermaßen ontologisches Problem geht, aus dem auf einen vorfindlichen Engelkult nicht geschlossen werden könne. Überhaupt leiden alle Texte daran (namentlich die des 2. Jh.s), daß sie nicht klar zu erkennen geben, wer als Träger einer Engelverehrung genau anvisiert sein könnte, und was präzise die verworfene Praxis ausmache.

Die genannten Spuren einer Engelverehrung deuten für ihre Träger an keiner Stelle auf einen ursprünglichen und grundlegenden Konflikt mit dem Monotheismus. Umstritten ist viel eher die Christologie. Dies trifft sich sehr schön mit einer Analyse jener Passagen, die als unpolemische Zeugnisse einer Engelverehrung behauptet wurden. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen heute die Qumrantexte, besonders die Schire ’Olat Haschschabbat, aus denen längere Passagen 1985 durch Carol Newsom aus 4Q400-407, Masada ShirShabb und 11Q17= 11QShirShabb rekonstruiert werden konnten (deutsche Gesamtübersetzung der Fragmente jetzt bequem bei Johann Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer I, München/Basel 1995, 39-43. 365-369; II, München/Basel 1995, 377-417), sowie 11Q14=11QBerakhot (ein Text, der sich teilweise mit 4Q285 deckt, was Stuckenbruck entgangen zu sein scheint; s. jetzt Maier, op. cit. I, 364; II, 242-244). Die staunende Verehrung der Engelwelt ist hier eher ein Ausdruck der monotheistischen Gottesverehrung als eine Konkurrenz zu dieser. Ähnlich unpolemisch und für die Verfasser offenbar unproblematisch müssen die Reflexe auf Verehrung der Engel in Tob. 11,14 f.; Jos. Asen. 14,1-12; 15,11-12x (Verszählung nach Christoph Burchard); Pseudo-Philo, LAB 13,6 (wo wegen 34,2 gleichfalls keine Konkurrenz zum Monotheismus eingelesen werden darf) gesehen werden. Hierher gehören weitere Passagen, in denen Engel als Vermittler menschlicher Gebete auftreten bzw. geradezu um solche Vermittlung gebeten werden (äth. Hen. 9,1-11; 15,2; 40,6.9; 47,1 f.; 99,3; 104,1; Test. Levi 3,5-7; 5,5 f.: Test. Dan 6,2; Tob. 12,12-15; gr. Bar. 11-16; Pseudo-Philo, LAB 15,5; v. Adae et Evae 9,3; Test. Solomon 5,5). Stuckenbruck unterstreicht die beträchtliche Unterschiedlichkeit der Konzepte in diesen Texten. Von einem förmlichen Gebet zu Engeln kann allenfalls äth. Hen. 9,3 und Test. Levi 5,5 die Rede sein (180), wo es aber doch eher um eine sozusagen bilaterale Botenfunktion der Engel in einem stark mythologischen Kontext geht, ohne daß die kosmische Monarchie Gottes angetastet wäre.

Sehr schwierig ist das Material aus den (hauptsächlich kleinasiatischen) inschriftlichen Angelos-Belegen (181 aufgelistet), von denen in der Forschung viele für das Judentum reklamiert werden. Zwei der genannten Inschriften sind soeben von Georg Petzl in einem auch sonst für das NT wichtigen Band neu ediert worden (Nr. 3 und 38 in: Die Beichtinschriften Westkleinasiens, Epigraphica Anatolica 22, Bonn 1994). Aus der Diskussion lohnt über die bei St. verzeichnete Literatur hinaus allemal noch die Heranziehung der New Documents Illustrating Early Christianity 5, 1989, 72 f. (G. H. R. Horsley) und 6, 1992, 206-209 (R. A. Kearsley), wo auch aus unveröffentlichten Inschriften zitiert wird. (Die relativ geringe Rezeption, die diese Reihe in der neutestamentlichen Wissenschaft erfährt, zeigt wohl leider unseren bestürzenden Kontaktverlust zur neueren Papyrologie und Epigraphik). Wer sich (und sei es nur durch einen Blick auf Bauer, Wb. 6 s. v. angeloz) darüber vergewissert, wie überwältigend häufig der kleinasiatische und syrische Hellenismus Götterboten "Angeloi" nennen kann, wird eher noch vorsichtiger mit der Zuordnung vieler dieser Texte zu einem jüdischen Umfeld sein. Zu den Ausführungen über (hier nun wirklich sehr deutliche) Spuren einer Engelverehrung in den synkretistischen Zauberpapyri, wie sie vor allem in den Sammlungen von Preisendanz und Kopp vorliegen (sowie jetzt in dem von Reinhold Merkelbach und Maria Totti herausgegebenen Sammelwerk Abrasax. Ausgewählte Papyri religiösen und magischen Inhaltes, Opladen 1992 ff. [z. Zt. 3 Bände]), wäre zu ergänzen, was die literarischen Quellen zur Sache hergeben. Wir können ja aus den Papyri (meist des 3.-5. Jh.s) nicht entnehmen, wer sie geschrieben (und gelesen) hat; daher ist es nicht ohne Bedeutung, die expliziten Erwähnungen von Juden als auch für Heiden interessanten Zauberern aus der Literatur danebenzustellen. Natürlich ist auch dies zum literarischen Topos geworden, aber es kann in der Zusammenschau beider Textgruppen kaum bezweifelt werden, daß Menschen jüdischer Herkunft ihre Dienste als magische Experten anboten und dabei auch ausgiebig Gebrauch von magisch beschworenen Engelnamen machen, und zwar zu allen Zeiten der Spätantike (Plinius, n. h. XXX, 11; Iuvenal VI, 542-547; Lukian, Philopseudes 16; vgl. auch Apuleius, apol. 90; Strabon XVI, 2; Horaz, serm. I, 5 etc. Ältester Beleg für einen jüdischen Zauberer, der vor Nichtjuden auftritt, ist wohl 4QOrNab). Zauber mit Engelnamen setzt aber noch keinen Engelkult voraus, sondern nur eine ausgeprägte angelologische und dämonologische Spekulation sowie die Bemächtigungsphantasien der Magie.

In seinem Summary (200-204) hebt St. noch einmal hervor, daß sich die Angelologie zwar einerseits Ausdrucksformen zu schaffen vermag, die als förmliche Engelverehrung zu interpretieren sind, diese aber kaum je als Abschwächung des jüdischen Monotheismus gesehen werden können, sofern man nicht ideologisch in angelologischen Ideen selbst schon eine solche Abschwächung sehen will. Es sei "misleading to link the existence of angel veneration in Early Judaism with a weakened sense of monotheism" (202), zumal der Kontext der expliziten Texte z. S. (Qumran, Pseudo-Philon usw.) gerade der einer ausgesprochenen (oft hymnischen) Verherrlichung der monarchischen Majestät Gottes ist, zu dessen Hofstaat die Engel gehören.

Der monographische Hauptteil des Werkes untersucht die Apk. Mit Recht möchte St. für das 1. Jh. den vorbelasteten und problematischen Begriff Engelchristologie vermeiden. Andererseits versucht er zu zeigen, wie der Seher sehr wohl "angelomorphe" Züge in seiner Christologie zum Tragen bringt. Die große Christophanie in Apk. 1,12-20 malt den Erhöhten einmal mit angelophanen Attributen (etwa nach Dan. 10,5 f.), dann aber auch mit theophanen nach Dan. 7,9-14 aus, während Apk. 14,6-20 in Anlehnung an Dan. 7,13 f. gestaltet ist. Die somit gegebene Spannung wird nicht zuletzt durch die Rezeption der "refusal tradition" Apk. 19,10; 22,8 f. dahingehend gelöst, daß den Engeln keine Verehrung zukommt, wohl aber dem zur Rechten Gottes erhöhten Christus, dessen Stellung insofern angelologische Kategorien transzendiert. Nicht recht klar wird dem Rez., warum die "refusal tradition" weiterhin die Autorität des Propheten als eines "Mitdieners des Engel" unterstreichen soll (255 f.). Zu den Gemeindeengeln Kap. 2 f. wird ganz treffend eine Reihe von Belegen in äth. Hen. verglichen, wo gleichfalls ein apokalyptischer Seher Botschaften an Engel auszurichten hat (234-238).

Methodisch ergibt sich zu diesen Ausführungen allerdings der Einwand, daß manches von St. als "angelophan" charakterisierte Motiv in Wahrheit ganz allgemein zur Topik der verschiedensten Epiphanien gehört. Die Erscheinung eines in den Himmel entrückten Jesus konnte schwerlich anders als im Bezugsrahmen dieser Topik beschrieben (und doch wohl auch erfahren) werden. Die "angelophanen" Züge sind m. E. weiterhin nur epiphanial. Damit verstärkt sich das Gesamtergebnis, daß nämlich die Apk. keine "Engelchristologie" kennt (um noch einmal diesen vorbelasteten und von St. vermiedenen Begriff zu verwenden). Die angelomorphen Züge der Christologie des Propheten Johannes dienen der Vermeidung eines (und sei es nur scheinbaren) Ditheismus und führen damit in den Hauptstrom altkirchlicher Christologie.

Noch ein Detail mag Erwähnung finden: Die eigentümliche Aod-Passage Ps.-Philon, LAB 34,1-3 muß doch wohl als Kritik an den Versprechungen der graecoägyptischen Mysterien gelesen werden, die z. B. aus Apuleius, met. XI, 23, 8 bekannt sind (wodurch das S. 172 Gesagte in ein anderes Licht zu stellen wäre).

Umfassende Stellen- und Sachregister runden das Werk ab. Das komplexe Spannungsfeld Monotheismus ­ Angelologie ­ Christologie gewinnt nicht zuletzt durch Stuckenbrucks klare Analyse zentraler Teiltraditionen immer deutlichere Konturen, wenn auch die religionsgeschichtlichen Sachverhalte noch lange nicht abschließend geklärt sind.