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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

430–432

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sneed, Mark R.

Titel/Untertitel:

The Politics of Pessimism in Ecclesiastes. A Social-Science Perspective.

Verlag:

Atlanta: Society of Biblical Literature 2012. XVI, 341 S. = Society of Biblical Literature Ancient Israel and Its Literature, 12. Kart. US$ 41,95. ISBN 978-1-58983-610-5.

Rezensent:

Franz Josef Backhaus

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Birnbaum, Elisabeth, u. Ludger Schwienhorst-Schönberger: Das Buch Kohelet. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2012. 318 S. = Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament, 14/2. Kart. EUR 27,90. ISBN 978-3-460-07142-1.
Enns, Peter: Ecclesiastes. Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2011. XIV, 238 S. = The Two Horizons Old Testament Commen­tary. Kart. US$ 25,00. ISBN 978-0-8028-6649-3.


Der von Elisabeth Birnbaum und Ludger Schwienhorst-Schönberger verfasste Kommentar basiert auf den Forschungsergebnissen von Schwienhorst-Schönberger zu Kohelet, die er seit seiner Habilitationsschrift vertritt. Im Mittelpunkt des gut lesbaren und detailreichen Kommentars steht das Buch Kohelet als »Lehre vom guten Leben« (9).
Im ersten Teil, der Einleitung, wird diese Einschätzung in Zu­sammenhang mit der Klärung der obligatorischen Einleitungsfragen unter der Rubrik »Thema« erläutert (23–44). Der Kommentar vertritt die These, dass sich die zahlreichen Motive und Inhalte des Buches auf eine Doppelfrage hin bündeln lassen: Wer oder was ist die Bedingung der Möglichkeit von Glück und worin besteht inhaltlich das Glück? Beide Fragen werden in der ersten kompositorischen Einheit Koh 1,3–3,15 beantwortet, nachdem das Glücksexperiment von »König Kohelet« in Koh 1,12–2,26 misslungen ist. Glück ist im Gegensatz zur Auffassung von »König Kohelet« nicht machbar und man kann Glück auch nicht aufsparen im Sinne eines bleibenden Gewinns, sondern Glück stellt eine dem Menschen unverfügbare Gabe seines Schöpfergottes dar. Hinsichtlich dieses theozentrischen Glückskonzepts unterscheidet sich Kohelet von den zeitgenössischen hellenistischen Philosophien, die in unterschiedlicher Ausprägung die Meinung vertreten, dass sich der Mensch durch eigene Kraft Glück verschaffen kann, vorausgesetzt er absolviert ein mentales Trainingsprogramm, das auf der Entwertung des dem Menschen Unverfügbaren abzielt.
Inhaltlich besteht nach Kohelet das Glück nicht im Besitz von materiellen Gütern, sondern in der Glückserfahrung, die sich im augenblicklichen Glücksgenuss äußert. Diesen Genuss kann man näher als Zusammenspiel von äußeren, sichtbaren Dingen (»essen und trinken«) mit einer inneren Einstellung (»seine Seele Gutes sehen lassen«) charakterisieren (95). Dabei geht die innere Einstellung davon aus, dass die Werke des Menschen wie der Mensch selbst »vergänglich« sind und Gott als dem Menschen zugetaner Schöpfergott dem menschlichen Erkennen unverfügbar bleibt, woraus sich die »Gottesfurcht« als religiöse Grundhaltung ableitet. Glück erweist sich entsprechend Koh 8,15 somit als eine Grundgestimmtheit des Menschen, die ihn bei all seinem Handeln begleitet.
Im zweiten Teil des Kommentars, der Kommentierung, zeichnen Birnbaum und Schwienhorst-Schönberger dieses Glückskonzept von Kohelet mit all seinen Abwandlungen und Pointierungen überzeugend nach und zeigen dadurch, dass das Koheletbuch dem Leser keine »Philosophie des Absurden« bieten will (9).
Im dritten Teil, dem Anhang, werden zentrale Motive des Koheletbuches in ihrer Auslegungs- und Wirkungsgeschichte behandelt. Der Anhang schließt mit einem Literatur- und Abkürzungsverzeichnis. Ein Bibelstellenregister fehlt allerdings.
Wer sich über die Grundfragen der Koheletexegese informieren möchte und dabei einen originellen Zugang sucht, dem sei dieser Kommentar empfohlen.
Peter Enns trifft im Gefolge von Michael V. Fox in seinem Kommentar die wichtige hermeneutische Vorentscheidung, dass die Widersprüche im Koheletbuch nicht interpretatorisch einzuebnen, sondern nachzuzeichnen sind, da auf diese Weise das Buch seine Theologie dem Leser mitteilen möchte. Dabei haben die Widersprüche eine Doppelfunktion, da sie einerseits den vermeintlichen Sinn der traditionellen Weisheit destruieren helfen, andererseits aber dazu verhelfen, neuen Sinn aufzubauen. Insofern vertritt das Koheletbuch keinen nihilistischen Standpunkt, sondern möchte in einer konfusen Welt aufs Neue Sinn für den Leser schaffen. So verstärkt mit einer leichten Korrektur der Rahmenerzähler (= Autor) in Koh 1,1–11 und 12,8–14 die durch die Person »Kohelet« (Spitzname) mitgeteilten Inhalte in Koh 1,12–12,7. Von einer orthodoxen Korrektur kann nach Enns also keine Rede sein, wie auch eine eingehende Analyse von Koh 12,13–14 zeigt (7 ff.).
Nach einer exegetischen Kommentierung des Buches (30–116) zeigt Enns anhand von thematischen Einzelanalysen den theologischen Horizont des Koheletbuches auf (117–135). Im Zusammenhang mit der Frage, welchen Beitrag das Koheletbuch zur biblischen Theologie bietet, bringt Enns das Buch entsprechend seiner »christotelischen« Verstehensweise der zwei-einen Bibel, nach der das Alte Testament sein Ziel in Jesus Christus findet, ins Gespräch mit dem in den christlichen Kirchen praktizierten Glauben an den Auferstandenen. Dadurch möchte er die Relevanz des Koheletbuches für die Inhalte des christlichen Glaubens aufzeigen (136–219). Allerdings bedarf die »christotelische« Lese- und Verstehensweise des Koheletbuches angesichts des im Hintergrund stehenden »klimaktischen« Offenbarungsverständnisses (182) einer kritischen Diskussion.
Die von Mark R. Sneed verfasste Studie stellt eine überarbeitete Fassung seiner an der Drew Universität verfassten Dissertation von 1990 (!) dar. Im Mittelpunkt der Studie steht der heterodoxe Pessimismus und der daraus abzuleitende Skeptizismus des Koheletbuches, den Sneed vor allem mit Hilfe des sozialwissenschaftlichen Ansatzes von Max Weber umfassender und tiefgreifender untersuchen möchte, als es bisher geschehen ist. Das sich aus den Einzel­analysen ergebende »big picture« (82) lässt nach Sneed folgende Schlussfolgerungen zu: Der Pessimismus steht als Skeptizismus ganz im Dienste einer Kritik an der traditionellen Weisheit, die auf grund einer übermäßigen »Rationalisierung« Mensch, Welt und Gott erklären möchte, dabei aber die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens außer Acht lässt. Hinzu kommt die Beobachtung, dass die Lehren der traditionellen Weisheit, hier vor allem die Lehre vom Tun-Ergehen-Zusammenhang, unter den veränderten sozialen Bedingungen der ptolemäischen Oberherrschaft nicht mehr funktionieren. Konsequenzen hat diese pessimistische Hermeneutik nicht nur für die Ethik, insofern das Koheletbuch zu einer antiintellektuellen Carpe-diem-Ethik aufruft, sondern auch für das Gottesbild. Nach Sneed ergibt sich nämlich ein unüberbrückbarer Graben zwischen Mensch und Gott, so dass sich die Theodizeefrage eigentlich »auflöst« und Gott zu einem deus absconditus wird. In diesem Zusammenhang spricht Sneed sogar davon, dass der Gott des Koheletbuches eine Rückkehr zu einer frühen Form des Jahwismus darstellt (280), da Gott als eifernder und zorniger Kriegsgott erscheint (276).
Der Pessimismus, der keine Lösung angesichts des Bösen und des Übels in der Welt anbietet, zementiert den gesellschaftlichen Status quo, was angesichts der privilegierten Stellung Kohelets – Sneed verortet Kohelet ans untere Ende der Aristokratie (132) – auch nicht verwundert.
Die Ergebnisse der Studie von Sneed, die teilweise überraschen (Gottesbild!), bedürfen einer Überprüfung mithilfe von Einzeltext­analysen, die in seiner Studie fehlen.