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Ausgabe:

April/2013

Spalte:

424–425

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Kraft, Robert Alan

Titel/Untertitel:

Exploring the Scripturesque. Jewish Texts and their Christian Contexts.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2009. IX, 313 S. = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 137. Lw. EUR 104,00. ISBN 978-90-04-17010-0.

Rezensent:

Tobias Nicklas

Robert Alan Kraft, Professor Emeritus am Institut für Classical Stud­ies der University of Pennsylvania, hat in diesem Band 15 seiner Beiträge zum Verhältnis von Christentum und frühem Judentum zusammengestellt. Dies ist schon deshalb interessant, weil K. seit Jahren besonders gerne im Internet veröffentlicht (und dabei seine Beiträge immer neuen Updates unterworfen hat).
Der Band besteht aus drei Teilen von unterschiedlichem Ge­wicht. Teil 1 »General Context and Methodology« vereint mehrere »Klassiker« aus K.s Feder, die auch zum Teil viele Jahre nach ihrem Erscheinen nichts von ihrem Gewicht verloren haben. Im Zentrum gleich mehrerer Arbeiten steht dabei die Frage nach einem angemessenen Umgang mit so genannten »jüdischen Pseudepigraphen«, im deutschsprachigen Raum gerne auch zwischentestamentliche Literatur genannt. Bereits vor über 30 Jahren hat K. auf Punkte verwiesen, die für viele wichtige Texte auch heute Desiderate geblieben sind: Er zeigt nicht nur die Problematik des Labels »Pseudepigraphen« auf, er skizziert im Grunde ein Forschungsprogramm, das eine ganze Generation von Wissenschaftlern beschäftigen könnte. Noch immer fehlen für viele Texte vergleichende Sprachanalysen, und trotz einer Reihe neuerer Untersuchungen ist die Frage nach der Bedeutung dieser (normalerweise) nur über christliche Überlieferungsströme erhaltenen Texte für christliches Denken in vielen Fällen nicht endgültig geklärt. Überaus spannend ist auch die heute wieder – etwa durch Arbeiten der Leidener Schule, aber auch von James Davila – aufgegriffene Frage nach dem Zueinander von »christlichen« und »jüdischen« Anteilen in vielen der ge­nannten Texte oder – noch radikaler – das auch von K. angerissene Problem, inwieweit nicht-jüdische Christen Schriften verfassten, die uns heute als »jüdisch« erscheinen.
K. selbst skizziert an einer bewundernswerten Zahl von Beispielen Lösungswege und gibt faszinierende erste Übersichten, er bietet zudem ausgezeichnete methodologische Überlegungen (z. B. in Kapitel 3), hat aber zumindest in den Beiträgen des ersten Teils nicht das Ziel, sein Programm selbst im Detail auszuführen. Während die ersten vier hier gesammelten Arbeiten, alle zu methodologischen Fragen und Problemen der Erforschung jüdischer Pseud­epigraphen, sehr gut eine wichtige, sich über mehr als 30 Jahre entwickelnde Linie in K.s Denken und Arbeiten zusammenfassen und gerade in ihrer neuen Zusammenstellung ihre Bedeutung zu ent falten vermögen, erscheint mir die fünfte Studie, eine sicherlich umfangreiche und sehr grundlegende Fragen ansprechende Re­zension zu James Charlesworth’ zweibändigen »Old Testament Pseudepigrapha« sowie H. F. D. Sparks’ »Apocryphal Old Testament«, deutlich weniger gewichtig. Zwar werden beide Monumentalwerke auch heute, beinahe 30 Jahre nach Erscheinen, noch vielfach verwendet, sie sind jedoch, auch aufgrund der durch K. angestoßenen Forschungen, in vielen Teilen doch recht überholt.
Die fünf Beiträge des zweiten Teils holen zumindest Aspekte des von K. skizzierten Programms ein. Immer wieder wird die Forderung gestellt, saubere Texteditionen zur Verfügung zu stellen, um die Arbeit an wichtigen Texten erst zu ermöglichen, so etwa im Zusammenhang mit dem Testament Abrahams, wo K. noch einmal das Problem der verschiedenen Rezensionen, in denen diese Schrift überliefert ist, auf den Punkt bringt, oder auch beim 5. Buch Esra, wo er die Bedeutung des meist eher vernachlässigten spanischen Texttyps betont. Wie breit die Interessen K.s gestreut sind, zeigt der Beitrag zu jüdischen Spuren im spätantiken Dialog des Timotheus mit Aquila (wohl 5./6. Jh.). Die den Beitrag abschließende Übersetzung dieses wenig bekannten Texts aus dem Umfeld der christlichen Adversus Judaeos-Literatur umfasst leider nur die Kapitel 1 bis 3 sowie 57; die anschließenden Notizen zu Interpretationen semitischer Begriffe in diesem Werk sind so für den Leser, dem dieser Text normalerweise nicht vertraut ist, nur mit einiger Mühe nachzuvollziehen.
Der dritte Teil verlässt schließlich das bisher beackerte Terrain ein wenig und bietet kurze, zum Teil eher skizzenhafte Studien zu Aspekten der Werke des Philo von Alexandrien, des Josephus und Plinius des Älteren.
Insgesamt liegt ein schöner, hilfreicher und vor allem in seinem ersten Teil sehr gewichtiger Band vor, an dem nicht vorübergehen sollte, wer sich intensiv mit den so genannten »jüdischen Pseud­epigraphen« beschäftigen möchte.