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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

358–363

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schnelle, Udo

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Neue Testament.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1994. 639 S. 8o = UTB für Wissenschaft, 1830. Kart. DM 49,­. ISBN 3-525-03286-2.

Rezensent:

Ingo Broer

Was meint der Terminus "Einleitung" bei den Büchern mit dem Titel "Einleitung ins Alte bzw. ins Neue Testament"? Die Tatsache, daß die in diesen Büchern enthaltenen Stoffe im Vorlesungs-Kanon der Universitäten in die ersten Semester gehören, legt es ebenso nahe wie der Umstand, daß die sog. Einleitungslehrstühle in der Regel, die von den Ausnahmen nur bestätigt wird, nicht von den Groß-Ordinarien, sondern eher von jungen Kollegen besetzt werden, den Terminus "Einleitung" im Sinne von Einführung zu deuten. Dafür sprechen auch der englische Titel "Introduction" und der lateinische "introductio" aus früheren Zeiten, allerdings konnte unter letzterem z.T auch nur die Textgeschichte behandelt werden. Die Rede von den sog. "Einleitungsfragen" freilich widerspricht dem und deutet auf eine größere Selbständigkeit des von diesen Erfragten und in den Einleitungs-Büchern Beantworteten hin. Darauf, daß dem Begriff eine gewisse Eindeutigkeit mangelt, verweist auch die Tatsache, daß die älteste um 440 entstandene Einleitung, die eisagoge eis tas teias graphas (Einleitung/Einführung in die göttlichen Schriften) des Adrianos nach unserem Verständnis eher eine Hermeneutik als eine Einleitung ist, ganz zu schweigen von dem Umstand, daß "Einleitungen" vor allem im englischsprachigen Raum durchaus unterschiedliche Gegenstände behandeln und daß dort die klassische Einleitung teilweise schon als endgültig tot angesehen wird.

Was auch immer also der Begriff "Einleitung" ursprünglich gemeint haben mag, in der Wissenschaftssprache in Deutschland ist der Terminus relativ eindeutig und meint die Klärung der Entstehungsverhältnisse der einzelnen biblischen Schriften, die man auch als die W-Fragen bezeichnen kann, nämlich wer, wann, wo, unter welchen Umständen, für wen die einzelnen Schriften verfaßt hat. Dazu kommt in der Regel noch ein Überblick über die Textgeschichte und die Entwicklung des Kanons sowie zur theologischen Intention der jeweiligen Schrift. Etwas abgekürzt kann man mit H. J. Holtzmann sagen: Aufgabe der Einleitungswissenschaft ist die Entstehung und Sammlung der biblischen Schriften. Allerdings ist diese Aufgabenbeschreibung in unserem Jh. durch die Akzeptanz der Erkenntnis ins Wanken gekommen, daß die Bibelwissenschaft als historische Disziplin sich ihren Gegenstand nur schlecht von dogmatischen oder kirchlichen Definitionen vorgeben lassen kann. Deswegen hat es in unserem Jh. immer wieder Versuche gegeben, nicht die 27 Schriften des ntl. Kanons allein, sondern z.B. die Schriften des Urchristentums oder einfach die "christlichen" Schriften des ersten (und zweiten) Jh.s zum Gegenstand der Einleitungswissenschaft zu machen.

Das anzuzeigende Werk hält sich an den klassischen Kanon der Einleitungsfragen, verzichtet freilich auf eine Darstellung der Textgeschichte des Neuen Testaments und bietet hinsichtlich der Entstehung des Kanons nach eigener Ansicht auch nur die "unabdingbaren Grundkenntnisse" ­ der Exkurs "Die Sammlung der Paulusbriefe und das Werden des Kanons" umfaßt dennoch 18 Seiten ­, so daß dieses Einleitungsbuch mit der sog. speziellen Einleitung identisch ist und sich auf die Klärung der Entstehungsverhältnisse der 27 ntl. Schriften und ihre theologischen Grundzüge beschränkt. Diese Eingrenzung auf die ntl. Schriften rechtfertigt der Verfasser mit wirkungsgeschichtlichen und pragmatischen Gründen: "Nur ihnen wird innerhalb der Kirche ein normativer Charakter zuerkannt, und nur sie spielen im Gesamtspektrum der Theologie eine wichtige Rolle." Darüberhinaus bündele und fixiere der Kanonbegriff ohnehin "lediglich nachträglich einen Anspruch, der den ntl. Schriften bereits innewohnt. Man kann deshalb auf ihn verzichten, ohne das Sachanliegen der ntl. Schriften preiszugeben...", beanspruchen die ntl. Schriften doch schon selbst, "das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus gültig und verbindlich auszusagen." Deswegen begründet auch das Zeugnis der Schriften selbst und nicht etwa der sekundäre Kanonbegriff den theologischen Charakter der Einleitungswissenschaft. Außer den ntl. Schriften werden natürlich auch die für deren Entstehungsverhältnisse vorauszusetzenden Themen behandelt wie die Chronologie des paulinischen Wirkens, die Schule des Paulus und der antike Brief, methodische Überlegungen zu Teilungshypothesen, zur Gattung Evangelium, zum synoptischen Problem, auch ein umfangreicher Abschnitt über die Logienquelle, Pseudepigraphie als historisches und theologisches Phänomen und die Sammlung der Paulusbriefe und das Werden des Kanons.

Innerhalb der einzelnen Paragraphen geht der Vf. in der Regel in folgender Reihenfolge vor: Literatur, Verfasser, Ort und Zeit der Abfassung, Empfänger, Gliederung, Aufbau und Form, Literarische Integrität, Traditionen und Quellen, Religionsgeschichtliche Stellung, Theologische Grundgedanken, Tendenzen der neueren Forschung. Probleme, die sich bei einer Schrift insbesondere stellen, aber nicht zu diesem Schema gehören, sind selbstverständlich nicht ausgeschlossen. So behandelt der Vf. z.B. durchaus die Probleme, vor die die Existenz des westlichen Textes bei der Apg die Forschung stellt.

Da eine Einleitung eine Fülle von Einzelproblemen enthält, kann hier kein vollständiger Überblick über die von Schnelle vorgetragenen Lösungen gegeben werden, weswegen diese exemplarisch an einigen wichtigen Punkten dargestellt werden sollen.

Zum synoptischen Problem stellt der Vf. die wichtigsten im Laufe der Forschungsgeschichte vorgetragenen Meinungen dar, ebenfalls die neuerdings v.a. in USA und Frankreich entwickelten Ansätze, entscheidet sich aber mit den traditionellen Argumenten für das überkommene Modell, allerdings mit der einen Variation, daß er als Vorlage für die Seitenreferenten aufgrund des Fehlens von Mk 4,26-29; 2,27; 9,48; 15,44 bei Mt und Lk sowie wegen des Fehlens von Mk 6,45-8,26 bei Lk und vor allem im Hinblick auf die über den ganzen Stoff der Seitenreferenten verbreiteten sog. minor agreements nicht das uns vorliegende Markus-Evangelium, sondern eine überarbeitete Fassung davon als Vorlage für Matthäus und Lk postuliert. Dieses als Deutero-Markus bezeichnete Werk meint nicht ein neues Evangelium, sondern eine redaktionelle Schicht ­ im übrigen hatte der Vf. diese Ansicht schon in seiner mit G. Strecker zusammen erarbeiteten Methodenlehre vertreten, mit der sich die Ausführungen zum synoptischen Problem weitestgehend decken.

Entsprechend der Tatsache, daß die Logienquelle in den letzten Jahren ein wichtiger Forschungsgegenstand geworden ist, widmet Sch. auch dieser ein umfangreiches Kapitel, die er zwischen 40 und 50 entstanden sein läßt und für ursprünglich griechisch verfaßt ansieht. Sie lag Mt und Lk in verschiedenen Versionen vor, ist im Verlaufe eines längeren Prozesses gewachsen und wurde keineswegs nur von Wanderpredigern getragen. Berührungen zwischen Q und dem Markusevangelium auf vorredaktioneller Ebene sind nicht auszuschließen.

Der Verfasser des Markusevangeliums war ein des Hebräisch-Aramäischen mächtiger Griechisch schreibender Heidenchrist, der in Syrien aufwuchs, sein Werk aber den häufigen Latinismen zum Trotz wegen der Petrus-Markus-Tradition in Kleinasien kurz nach 70 für eine überwiegend heidenchristliche Gemeinde verfaßt hat. Mit der Möglichkeit eines verlorenen Markus-Schlusses muß gerechnet werden. Die religionsgeschichtliche Stellung des 2. Evangeliums läßt sich nicht bestimmen, seine Theologie ist von der Geheimnistheorie und der Kreuzestheologie geprägt.

Das Johannesevangelium läßt Sch. v.a. mit Hinweis auf die Wirkungsgeschichte und auf einige textinterne Signale, das Verhältnis der johanneischen Gemeinde zu den Juden und Samaritanern betreffend, von einem unbekannten Verfasser in Kleinasien geschrieben sein. Wegen der jüngst erfolgten Neudatierung des ältesten textlichen Zeugnisses des Johannesevangeliums, p52, auf 170 +/- 25 Jahre und im Hinblick auf die textliche Überlieferung sowie die Rezeptionsgeschichte datiert Schnelle die Abfassung des vierten Evangeliums auf 100-110. Die Auseinandersetzung mit der jüdischen Seite lag zum Zeitpunkt der Evangelienabfassung lange zurück. Die überlieferte Perikopenfolge ist die richtige, nachträgliche Hinzufügungen liegen außer in Jo 21 nur in den textkritisch sekundären Hinzufügungen bzw. Glossen 5,3b.4; 7,53-8,11 und 4,2 vor. Von einer durchgehenden Passionsgeschichte als Quelle kann nicht die Rede sein, vielmehr verarbeitet der Verfasser in den Kapiteln 18-20 ebenso eigenständig alte und historisch zuverlässige Passionstraditionen wie in anderen Partien des Evangeliums. Sch. sieht sich sogar in der Lage, die redaktionelle Tätigkeit des Autors in der Passionsgeschichte versgenau anzugeben. Auch die Existenz einer Wunderquelle lehnt Schnelle ab, die Zählungen der Wundergeschichten führt er auf den Evangelisten zurück. Da es von vornherein sehr unwahrscheinlich ist, daß "Johannes" die Gattung Evangelium zum zweiten Mal selbständig erfunden hat, muß er das Markus-Evangelium gekannt haben, wofür im übrigen auch einige Kompositions-Analogien zwischen dem markinischen und dem johanneischen Passionsbericht sprechen. Da das Lukas-Evangelium in der johanneischen Schule bekannt gewesen sein wird, dürfte es der Evangelist ebenfalls gekannt haben, ebenso dürfte er von der paulinischen Theologie über mündliche Tradition informiert gewesen sein. Eine Abhängigkeit von der Gnosis besteht nicht, das Alte Testament und die Weisheitsliteratur des hellenistischen Judentums reichen als Wurzel des vierten Evangeliums aus.

Den Paulusteil, den Sch. im übrigen an die Spitze seines Werkes stellt, beginnt er mit der Chronologie. Hier mustert er die vom mainstream abweichenden Entwürfe der letzten Jahre durch und setzt sich mit ihnen auseinander. Methodisch geht auch er von dem absoluten Vorrang des paulinischen Selbstzeugnisses aus, hält aber die neueren Entwürfe nicht für zuverlässig, sondern eher für kritikwürdig und bleibt deswegen bei der herkömmlichen Chronologie. An der Historizität der ersten Missionsreise hält er unter Hinweis auf die in Apg 13 und 14 verarbeiteten Traditionen fest, die Historizität der Reise nach Antiochia von Korinth aus mit baldigem erneuten Aufbruch nach Ephesus (Apg 18) kann erwogen werden, ein Besuch in Jerusalem bei dieser Gelegenheit ist aber auszuschließen.

Den zweiten Korintherbrief betrachtet Schn. nicht als nachpaulinisch verfaßte Briefsammlung aus mehreren paulinischen Briefen nach Korinth, sondern als einen einheitlichen Text, dessen einziger Bruch zwischen Kapitel 9 und 10 durch neue Nachrichten aus Korinth genügend erklärt wird. Die Gegner waren jüdisch-hellenistische Wandermissionare, die sich durch Geistbesitz auswiesen und Paulus Mangel daran vorwarfen. Ob sie in Verbindung mit Jerusalem standen, ist nicht deutlich.

Es kann keiner Frage unterliegen, daß hier ein an Jahren noch junger Exeget bereits ein reifes Werk vorgelegt hat. Fordert doch ein Einleitungsbuch eine umfassende Kenntnis der Literatur zu allen 27 Schriften des Neuen Testaments, für die zweifellos eine spezielle Begabung vonnöten ist. Die Belesenheit des Autors kann man nur bewundern. Er hat nicht nur zu Anfang jeden Kapitels ausführlich Literatur genannt, sondern bezieht sich in seinen Ausführungen immer wieder auf Literatur und setzt sich mit dieser z.T. wirklich auseinander ­ daß solche Auseinandersetzung nicht immer erfolgt, wird man kaum negativ verbuchen können, solange das Buch noch einigermaßen lesbar sein soll. Im folgenden wird es weniger darum gehen, Kritik an Einzelurteilen vorzutragen ­ die Ansichten von Rez. sind ja keineswegs immer denen der Autoren überlegen! ­, was bei der Divergenz der Urteile in der ntl. Exegese naturgemäß vielfältig möglich wäre und über die Qualität des Werkes noch keineswegs etwas aussagen würde, sondern zu fragen, wie man heute eine Einleitung ins Neue Testament schreiben und wie man das umfassende und beeindruckende Buch des Vf.s vielleicht noch verbessern kann, bzw. den Versuch zu machen, eine Diskussion über Wert und Bedeutung der Einleitungswissenschaft auf dem Felde der neutestamentlichen Exegese in Gang zu bringen.

1. Dieser Punkt betrifft die Gewichtung. Gelegentlich erwähnt Schnelle auch Abseitiges und stellt es in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung ­ z.B. die These Vielhauers von der Prägung des Markus-Evangeliums durch das ägyptische Thronbesteigungsritual ist doch seit langem obsolet ­, oder führt wirkliche und detailliertere Auseinandersetzungen (z.B. 251 und Anm. 204). Dabei schießt er mitunter m. E. über das für eine Einleitung sinnvolle Maß hinaus, z.B. auch, wenn er sich doch ziemlich ausführlich dem Juden-Komplex im vierten Evangelium zuwendet. Wie überhaupt das Kapitel über das Johannesevangelium mit seinen über 50 Seiten trotz der Vielzahl der hier (und bei den Synoptikern nicht) zu behandelnden Probleme etwas aus den Fugen geraten ist.

2. Der Vf. beginnt bei den Evangelien immer mit einer ziemlich ausführlichen Erörterung der altkirchlichen Tradition über den jeweiligen Verfasser, die er in jedem Falle ablehnt. Dieses Verfahren ist herkömmlich und insofern vielleicht auch noch gerechtfertigt, allerdings ist zu fragen, ob nach über 200 Jahren exegetischer Arbeit und der inzwischen doch nicht nur weit verbreiteten, sondern auch ebenso akzeptierten Erkenntnis, daß die unabhängig von den Evangelien überlieferten altkirchlichen Nachrichten über die Verfasser der Evangelien historisch nicht zuverlässig sind, eher ein immanentes Verfahren anzuwenden ist, indem man zum Ausgangspunkt auch der Verfasserfrage das Evangelium selbst wählt und aus diesem erhebt, was es noch über den Evangelisten erkennen läßt. Müssen die Studenten der Theologie die altkirchlichen Nachrichten über die Verfasser der Evangelien, die ihre Lehrer in der Regel ablehnen, wirklich kennen? Genügt es nicht, daß diese Nachrichten der alten Kirche in den speziellen Werken ausführlich erörtert sind? Jedenfalls dürfte die Wahl dieser Nachrichten zum Ausgangspunkt der Erörterungen dem heutigen Bewußtsein der Exegese nicht mehr voll gerecht werden und angesichts der notwendigen Durchforstung der Lehrpläne für das Studium scheint mir die Frage doch angemessen, ob ein Student sich hier auskennen muß.

3. Gelegentlich werden die Entscheidungsgründe des Vf.s nicht genügend klar, z.B. wenn er unter Verweis auf die Rezeptionsgeschichte und die textliche Überlieferung des Johannesevangeliums eine Ansetzung der Abfassungszeit auf 100-110 für gerechtfertigt hält. Sieht man von dem neuerdings umstrittenen p52 ab, so bleibt als weiterer ältester und allgemein anerkannter Zeuge doch nur Tatians Diatessaron, das uns praktisch nicht erhalten ist, und seine Oratio ad Graecos. Dieser letztere Beleg wird häufig auf 176 datiert ­ wie kommt man von p52= 170 +/­ 25 Jahre und dem Tatianzeugnis von 176 auf eine Abfassungszeit von 100-110?

4. Die Beschränkung auf die klassischen Einleitungsfragen scheint berechtigt zu sein, da das Buch als Lehrbuch gedacht ist und diese Fragen im Ausbildungsbetrieb der Theologen vor allem der ersten Semester nun einmal eine wichtige Rolle spielen. Daß v.a. amerikanische Einleitungs-Bücher sich z.T. von ganz anderen Perspektiven leiten lassen, hängt auch mit dem amerikanischen Ausbildungssystem zusammen, in dem Fragen der Bibelwissenschaft auch im allgemeinen, nicht-theologischen Studium eine Rolle spielen. Gleichwohl bleiben diese Fragen auch wissenschaftsimmanent von Interesse und es muß m.E. wenigstens reflektiert werden, inwieweit sich auch die deutsche Forschung auf diese Fragen einlassen sollte. ­ Ob die Fragen sich heute noch in dem in diesem Buch gebrauchten Stil, der sehr an den des Altmeisters der ntl. Einleitungswissenschaft, W.G. Kümmel, erinnert, abhandeln lassen, erscheint immerhin diskussionswürdig, insofern Schnelle im kritischen Durchgang einige Meinungen erörtert und dann seine Ansicht zu dem jeweiligen Problem vorstellt, die häufig einen starken Göttinger Einfluß erkennen läßt. Insofern diese dann als die Lösung des Problems erscheint, hinterläßt sie vermutlich v.a. beim studentischen Leser gelegentlich eine Sicherheit des Urteils, die dessen Problematik kaum oder gar nicht mehr erkennen läßt. Die Frage ist freilich, ob man ein Buch schreiben kann, das Probleme darstellt, die Entscheidungskomponenten vorlegt, die Lösung aber bei vielen Gegenständen letztlich offen läßt.

5. Bei Schnelle ist m.E. ein gewisser Hang dazu erkennbar, das historisch Gewordene, das spätestens seit Lessing als zufällig anzusehen ist, auch als notwendig zu betrachten und darzustellen. Jedenfalls drängt sich dieser Eindruck dem Leser bei den Reflexionen am Anfang des Buches hinsichtlich des Gegenstandes einer Einleitung ins Neue Testament auf. Kann man denn wirklich sagen, daß der Anspruch des Kanons und der der ntl. Schriften im Prinzip derselbe ist? Ist die Gültigkeit, die die Evangelisten und Paulus für ihre jeweiligen Schriften beanspruchen, mit dem Anspruch, den der Kanon erhebt, identisch?

6. Wenigstens fragen möchte ich, ob die in den Einleitungswerken traditionelle kurze Übersicht über die theologischen Absichten der einzelnen ntl. Schriften weiterhin eine sinnvolle Aufgabe der Einleitungsbücher ist, stehen doch sowohl kurze als auch ausführliche Gesamtdarstellungen der Theologie des Neuen Testaments in nicht geringer Zahl zur Verfügung.

Meine Überlegungen zu dem zweifellos verdienstvollen Werk Schnelles möchte ich mit einer prinzipiellen Anfrage schließen: Hat man der Literaturwissenschaft zu Beginn unseres Jh.s vorgeworfen, sie leiste eigentlich gar keine Werkinterpretation, sondern stelle eher Biograhien her, und ist infolgedessen im Gegenschlag in der Literaturwissenschaft zeitweilig ein rein werkimmanenter Interpretationsansatz gewählt worden, der alles nicht im Werk Gesagte, z.B. das Biographische, vernachlässigte, so ist die Exegese dieser Mode m.E. zu Recht nicht gefolgt: Die Entstehungssituation eines Werkes zu kennen ist nun einmal eine Hilfe für die Erkenntnis des vom Werk Intendierten! Je besser und genauer die jeweilige Entstehungssituation zu beschreiben ist, um so größer ist die Hilfe für die Interpretation. Was hat es aber zu bedeuten, wenn in der Einleitungswissenschaft des Neuen Testaments diese interessanten und wichtigen Fragen gar nicht eindeutig zu beantworten sind? Weder die Klärung der Verfasserfrage noch die der Abfassungszeit gelingt der Einleitungwissenschaft z.B. bei den Evangelien so deutlich, daß sie die Interpretation so befruchten, wie es von den Fragen her zu erwarten wäre.