Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2013

Spalte:

279–294

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Hans G. Ulrich

Titel/Untertitel:

Karl Barths Darstellung theologischer Ethik
Forum für die gegenwärtige Verständigung über Ethik im englischsprachigen Kontext

In Barths Darlegung der Ethik kreuzen sich akute Wege gegenwärtiger Ethik und ihrer Diskurse, während Barths Darlegung zugleich einen eigenen Weg geht, der in vielfältiger Weise quer dazu verläuft. Dies ist in einem aufschlussreichen Spektrum von englischsprachigen Interpretationen zu Barths Darstellung der Ethik zu sehen, die in neuerer Zeit erschienen sind und die Arbeit älterer Beiträge fortsetzen, die bereits Entscheidendes erschlossen haben.1 Es treffen in Barths Darlegung einige der gegenwärtig leitenden Diskurse aufeinander, die der Verständigung über die Ethik und ihre Orientierungsaufgabe dienen – insbesondere der Subjekt-Diskurs, der die Frage verfolgt, in welcher Weise Menschen (auch unter der Voraussetzung eines bestimmten »Wir«) die Subjekte sind oder sein können, um die sich die Wirklichkeit bildet und von denen das Leben gelebt wird, das dem entspricht, was »gut« genannt werden kann, gleichermaßen in vielfältiger Überlagerung der Diskurs über »den Menschen«, die Formen des Humanismus, mit denen die Ethik verbunden oder verwoben ist. Mit dem Subjekt-Diskurs verbunden ist der Macht-Diskurs, den auch Barths Darstellung der Dogmatik und Ethik berührt und durchkreuzt, und damit verbunden der Diskurs über Politik und Öffentlichkeit. Gleichermaßen bestimmend ist der Diskurs über die »Realität«, auf die sich »Ethik« bezieht oder in der sie ihre Begründung sucht, und damit verbunden der Diskurs über moralischen und ethischen »Realismus«. Nicht zuletzt sind diese Diskurse selbst bestimmt und durchzogen, auch überlagert von dem Diskurs über die »Moderne«, »Neuzeit«2 und ihre Kritik oder auch ihre Ablösung durch die »Postmoderne«3 oder andere großräumige Orientierungszusammenhänge sowie dem Versuch, aus dieser Problemlage auszubrechen. Barths Darstellung der Dogmatik und der Ethik bietet dafür ein Forum, auf dem diese Diskurse in ihrer Nähe, ihrer Verbindung und Verwobenheit mit dogmatischen Topoi und den mit ihnen direkt verbundenen theologischen Diskursen zusammentreffen, so mit dem Diskurs über »Freiheit«, »Gesetz und Evangelium« oder »Kirche und Ethik«, »Kirche und Öffentlichkeit«, »Politische Theologie und politische Ethik«. Es ist entscheidend zu sehen, was darin wirklich verhandelt wird und inwiefern dies die Aufgabe theologischer Ethik erschließt.
Barths Darstellung von Dogmatik und Ethik muss als Forum nicht propagiert werden, vielmehr präsentiert sie sich aufgrund ihrer theologisch begründeten Disposition der Wirklichkeit Gottes als umgreifender Entdeckungs- und Begründungszusammenhang, der immer auch neue Problemstellungen berührt und diese neu verstehen lässt. So ist auch weniger von einer Barth-Rezeption zu sprechen als von einer fortlaufenden Entdeckungsgeschichte, in der sich die Tradition evangelischer Lehrbildung artikuliert.

1. Ethik in der Reformatorischen Tradition
Evangelische Lehrbildung in der Ethik begegnet hier nicht als Geschichte von Konzeptionen, die so oder so gegenwärtig weiterzuführen wären, sondern als eine Tradition, in der es weiterhin und immer noch um die Entscheidungen und Unterscheidungen geht, die sie auf der bestimmten Spur halten, die mit dem Zeugnis vom Evangelium markiert ist. Es ist – was Gerald P. McKenny pointiert hat4 – die mit der Reformation hervorgetretene Spur, die sich kritisch mit vielen anderen kreuzt und daher nicht als eine Variante neben anderen oder unter anderen zu sehen ist. Das calvinistische Erbe, auf das sich Barth bezieht, wird dabei selbst vielfach kritisch behandelt, ebenso wie lutherische und andere Entfaltungen der evangelischen Ethik. Evangelische Ethik soll so in ihrer paradigmatischen Gestalt – wenn auch von verschiedenen Seiten und durchaus wiederum nicht einheitlich – in den Blick kommen. In ihrer paradigmatischen Gestalt, die nicht nur von Grundformeln etwa der Rechtfertigungslehre oder zu »Gesetz und Evangelium« getragen ist, präsentiert sich diese Darstellung der Ethik ökumenisch, das heißt mit einer Kirche verbunden, die ihre Universalität weder in einer von ihr behaupteten »Sichtbarkeit« noch im Offenlassen ihrer Sichtbarkeit realisiert, sondern in der Realität des Wortes Gottes vorfindet, die in ihren Praktiken, vor allem in ihrem Zeugnischarakter, ihrer missionarischen Existenz präsent bleibt. Diese kirchliche Ethik fixiert kein Verhältnis von Kirche und Welt, sondern ist Zeugnis von dem Handeln Gottes, von dem aus Kirche und Welt ihre Bestimmung erfahren.
Dass die kritische Spur evangelischer Tradition, in der Ethik verläuft, und zugleich auch die Klärung der dogmatisch kritischen Topoi dabei zur Sprache kommen müssen, ist nicht (allein) einem zunehmend dichter gewordenen ethischen Diskurs zuzuschreiben, sondern darin begründet, dass die Leitfrage in Barths Darstellung der Ethik – die Frage nach dem Zusammenleben und Zusammenwirken von Gott und Mensch – als die Schlüsselfrage aller theologischen Erkenntnis zu gelten hat. Das heißt, dass die Frage nach dem Verhältnis von Dogmatik und Ethik, die immer wieder verhandelt worden ist,5 so gar nicht aufzuwerfen ist, jedenfalls nicht deshalb, weil etwa die Ethik einer anderen Schlüsselfrage nachgeht als die Dogmatik. Die differenzierte englischsprachige Diskussion über Barths Ethik ist durchweg damit befasst, diesen Fokus zu markieren. Dieser Fokus ist es auch, der die Darstellung der Ethik Barths zum Forum für gegenwärtige Diskurse werden lässt – nicht zuletzt für den Diskurs um Macht und Verantwortung.6 Hier zeigt sich, dass Barths Darstellung ermöglicht, in eine kritische Auseinandersetzung einzutreten und zugleich diesen Diskurs nicht als den Angelpunkt der Ethik überhaupt gelten zu lassen, sondern im Gegenteil zu sehen, dass die so oder so projektierte »Moderne« das darin enthaltene Problem der – moralischen – Selbst-Behauptung in besonderer Weise sichtbar werden lässt. Dieses stellt aber, wie McKenny unterstreicht, ein Grundproblem in der ethischen Disposition oder Selbst-Disponierung dar und betrifft nicht nur die Formen der Selbstbehauptung in der Moderne.7 Freilich stellte McKenny die Frage, ob Barths Kritik damit doch abhängig von der modernen Logik bleibt. McKenny geht in der Antwort darauf aber über diese Frage hinaus, die selbst keine weitergreifende Erkenntnis enthält, und beschreibt Barths Kritik in ebendieser Verbindung mit der in der Moderne aufbrechenden »Sehnsucht« nach Selbst-Behauptung als subversiv, im Sinne der Affirmation des Wortes Gottes innerhalb seiner Negation.8 Die angezeigte Problemstellung sieht McKenny in Analogie zur reformatorischen Wende in deren Kritik an der Selbst-Rechtfertigung vor dem fordernden Gott: Jetzt, heute, geht es um Rechtfertigung ohne Gott und umso deutlicher um die Selbst-Rechtfertigung. Die reformatorische Kritik wird auf diese Weise fortgeführt und in ihrer Logik zugespitzt.
Die kritische Linie, die sich hier abzeichnet, führt auch durch das Verständnis von Kants Moralphilosophie und Nietzsches Moral-Kritik hindurch. Letztere sieht die Moral von der Frage beherrscht, was als »gut« für den nach Rechtfertigung strebenden Menschen zu rechtfertigen ist. Diese Rechtfertigungslogik hält die ethische Theorie sowohl in ihrer modernen wie ihrer postmodernen Gestalt gefangen. Nietzsche selbst hat angezeigt, dass es demgegenüber ein anderes Denken geben muss, eine radikale Umkehr im Denken. Dies hätte auf diesem Forum verhandelt werden können, so dass Nietzsches Moralkritik nicht (nur) auf die Seite zu stehen kommt, wo die Selbst-Behauptung des moralischen Menschen in äußerster Zuspitzung erscheint, sondern dort, wo eine andere, nicht auf moralische Rechtfertigung zielende Disposition ethischer Praxis akut wird. Darin wird nicht einfach das »ethische Subjekt« neu zu entdecken sein, sondern die Unterscheidung und das Miteinander von Gott und Mensch, das eine eigene Weise der Artikulation braucht – eine besondere Dialektik und auch das Paradox. Damit ist die Stellung gegenüber den Denkformen von Moderne/Postmoderne markiert, die auch in ihrer Dialektik »Gott und Mensch« zusammendenkt. Ingolf U. Dalferth hält dazu fest: »Wenn man hier auf Dialektik rekurrieren will, muss man sie so konzipieren, dass sie aufseiten des Menschen nicht zu einer korrespondierenden Kontinuität und Einheit des sich frei selbst bestimmenden Menschen führt, sondern gerade dessen radikale Diskontinuitäten zwischen altem und neuem Leben zu denken erlaubt. Nicht Dialektik, sondern Paradox ist die Sprachform einer Theologie, die diese Diskontinuitäten ernst nimmt und die tiefgreifenden Differenzen in der Überbetonung von Kontinuität, Synthese und Einheit untergehen lässt.«9 Es ist in der Ethik von dem Menschen zu reden, der von Gott das empfangen darf, was einzig von Gottes Handeln ausgeht: Vergebung, Neuschöpfung, Heiligung. Erlösung. Das macht sein Geschöpf-Sein aus und stellt den Menschen in eine eschatologische Differenz. Es ist mit einiger Spannung zu sehen, wie sich die englischsprachige Diskussion der Darstellung der Ethik bei Barth auf dieser kritischen Spur bewegt.

2. Barths Ethik und die Moderne-Postmoderne-Diskurse
McKenny markiert – unter der Überschrift »Barths Moral-Theologie und moderne Ethik« – einige dieser kritischen Linien, die sich in Barths Entfaltung der Ethik abzeichnen. Barths Darlegung der Ethik wird damit nicht in bestehende Diskurse eingeordnet und von daher beschrieben, sondern es wird umkehrt gezeigt, wie diese Diskurse in Barths Darlegung der Ethik enthalten sind und darin ihre Kritik und ihre Weiterführung erfahren. Dabei wird dann auch deutlich, wie eng verwoben diese Erörterung theologischer Ethik mit den in den verschiedenen Diskursen verhandelten Fragestellungen bleibt, auch dann, wenn sie quer dazu verläuft. Diese eigene andere Logik hat McKenny im ersten Kapitel seiner Interpretation dargelegt. Theologische Ethik hat demnach die Aufgabe, das von Jesus Christus paradigmatisch gelebte Leben als dasjenige zu beschreiben und zu präsentieren, in dem sich Menschen finden – ein Leben in Jesus Christus, in dem menschliches Leben die von Gott gewirkte Vervollkommnung und Erfüllung (accomplishment) erfährt. Es macht das Eigene und Besondere einer theologischen Ethik aus, dass sie auch die Erfüllung dessen, was ethisch gefordert ist, in Gottes Wirken stellt.
Diese Grundlinie verläuft quer zu den gleichermaßen paradigmatischen Kennzeichen von »Moderne« (was John Webster gezeigt hat10) und »Postmoderne«11, sofern sie die ethische Theoriebildung betreffen. Jedoch wird die Kennzeichnung von »modern/postmodern« nicht als schon fixiert aufgenommen, sondern erfährt bei Barth eine eigene Beschreibung aufgrund theologischer Unterscheidungen, vor allem der Unterscheidung zwischen einer auf das »Selbst«, seine Ressourcen und seine Kapazitäten bezogenen Ethik und einer demgegenüber kritischen Ethik.12 Diese Unterscheidung betrifft in Barths Sicht nicht nur die Moderne. Vielmehr geht es um grundlegend differente Auffassungen von Ethik, um verschiedene Paradigmen, und nicht um den Wechsel von Dispositiven oder Theorien, die einen je verschiedenen oder auch ähnlichen Zugriff auf das »moralische Subjekt« erlauben und insofern innerhalb des einen – modernen-postmodernen – Paradigmas bleiben. Sofern die ethische Theorie innerhalb der Frage nach der Konstitution des »moralischen Subjekts« verbleibt, ist sie an dieses Paradigma gebunden.
Mit Recht insistiert McKenny darauf, dass Barths »Ethik« nicht als eine Kritik der »Moderne« konzipiert ist, sondern als Kritik von moralischen und ethischen Dispositionen, die einer theologischen Logik widersprechen, in der von dem Menschen zu reden ist, wie er in Jesus Christus erscheint, und davon, wie Gottes Wirken menschliches Leben und Wirken trägt und umgreift. Es geht – der Wahrnehmung von McKenny zufolge – um den spezifischen Brennpunkt der Kritik an einer modern-postmodern geprägten Ethik, der Barth die Selbst-Behauptung des Menschen und entsprechende Formen eines »bürgerlichen Humanismus« zuschreibt. Es geht um die Kritik des Menschen, der sich als Subjekt behauptet, das genuin moralisch ist.13 Auf der anderen Seite unterstreicht McKenny, dass »moderne Ethik – in ihrer Kantischen Form – auch die Andersheit und die kategorische Natur des Moralgesetzes artikuliert, die der Moral-Theologie ermöglicht, in formaler Form, die Art und Weise zu beschreiben, in der Gottes Gnade, indem sie die Gestalt des Gesetzes annimmt, Menschen ruft und fordert.«14 Barths Darstellung der Ethik als eine Ethik des Gebotes findet hier ihre Affinität zu der philosophischen Moraltheorie, die »Moral« kritisch begründet.
Dass theologische Ethik in dieser Weise den Diskursen ethischer Theoriebildung gegenübertreten kann, setzt voraus, dass theologische Ethik selbst – in ihrer eigenen Disposition – theoriebildend gesehen wird, wie dies bei McKenny und einigen weiteren Barth-Interpretationen gegeben ist. Dies hat insbesondere auch David Haddorff15 hervorgehoben, um zu unterstreichen, dass theologische Ethik nicht als eine Variante in der vielfältig ausgeprägten ethischen Theoriebildung zu sehen ist und dass diese ethische Theoriebildung – etwa in der Gestalt einer »Geschichte der Ethik« – als ein universeller Kontext erscheint, in dem alles abzubilden ist. In dieser Abstraktion würde nicht mehr kenntlich bleiben, was theologische Ethik in der ihr eigenen Logik wesentlich auszeichnet, nämlich »Ethik« nicht als einen irgendwie gegebenen Diskurs hinzunehmen, sondern zu fragen, in welchem Sinn es eine »Ethik«, das heißt eine bestimmte ethische Praxis überhaupt geben kann. Diese grundlegende Frage ist durchaus auch in der philosophischen Ethik präsent. »Ethik« ist so nicht einfach einer enzyklopädischen Bestandsaufnahme überlassen, die diese oder jene ethische Konzeption registriert, sondern einer kritischen Arbeit übergeben, die theologisch und philosophisch zu leisten ist. Dabei ist dann zu sehen, ob diese kritische Arbeit sich im Rahmen einer invarianten vorgegebenen Disposition überkommener ethischer Theoriebildung bewegt, innerhalb derer sie nur diese oder jene Verschiebungen kenntlich machen kann – wie z. B. Verschiebungen in der Frage nach dem »Guten« und seiner Begründung, oder Verschiebungen in Bezug auf das »moralische Subjekt« – oder ob sie eine eigene Spur der Kritik aufgrund eigener Unterscheidungen aufweisen kann, die »Ethik« in derjenigen Logik festhält, die sie mit dem Ganzen der theologischen Aufgabe verbunden sein lässt – mit welchen Reibungsflächen zu den verschiedenen Ethik-Diskursen auch immer.
Diese generelle Aufgabenstellung teilen ausdrücklich die Interpretationen von Gerald P. McKenny und David Haddorff. Haddorff diskutiert diese Aufgabenstellung für die Lektüre von Barth. Freilich ist auch diese Diskussion an die Diskurse gebunden, von denen Barth und die von ihm vorgegebene kritische Linie zugleich abgegrenzt werden. Haddorff thematisiert ausführlich, in welcher Weise Barths Darstellung theologischer Ethik dem Moderne-Postmoderne-Diskurs begegnet, indem er zeigt, wie die so in den Blick gefasste theologische Ethik den Aporien und offenen Stellen insbesondere im postmodernen Kontext der Verständigung über Ethik entgegenzusetzen ist. Das betrifft eine Reihe von Grundfragen ethischer Theoriebildung, allen voran die Frage danach, in welcher Weise sich die Ethik auf eine »Wirklichkeit« beziehen kann, die als »gute« Wirklichkeit in Geltung steht – wenn sie denn nicht dabei stehen bleiben muss, dass die Bestimmung des ethisch oder moralisch Guten eine Sache der Verständigung ist und diese in ihrem Ergebnis davon abhängt, wie die Machtverhältnisse beschaffen sind, in denen die Verständigung vollzogen wird. Die Fragestellung selbst gehört, wie Haddorff ausführt, in den Kontext postmoderner Dekonstruktion, die sich nicht mehr auf die Logik unhintergehbarer Gegebenheiten – etwa eines moralischen Subjekts, auch im Sinne eines universalen Diskurssubjekts – einlässt. Die damit eröffnete Frage nach der »guten Wirklichkeit«, die ethisch zu erschließen ist, kann dann nicht mehr ohne den Einsatz von wie auch immer legitimierter Macht beantwortet werden. Die Möglichkeit einer Diskursethik, die auf einen im rationalen Argument gewonnenen Konsens setzt, wird in dieser Sicht dem modernen Paradigma zugerechnet, sofern damit ein universales Subjekt vorausgesetzt wird, das sich im Diskurs findet. So sucht Haddorff zu zeigen, inwiefern die philosophische Ethik, die die postmoderne Dekonstruktion nicht mehr umgehen kann, eine theologische Ethik braucht, die zum einen auf diese Problemdisposition eingestellt ist und zum anderen ihr positiv zu begegnen vermag. Hier ist Barths Darstellung der theologischen Ethik bei Haddorff verortet. Sie partizipiert an den Problemlagen zwischen moderner und postmoderner Ethik auf der einen Seite und tritt diesen in einer eigenen Logik entgegen. Das ist aber nur möglich, wenn die theologische Ethik mit den Problemstellungen nicht auch deren Voraussetzungen teilt. Dies ist dadurch gegeben, dass die theologische Ethik in allen ihren Aussagen sich auf das bestimmte Handeln Gottes (Schöpfung, Versöhnung, Erlösung) bezieht und in diesem Sinne dialektisch verfährt. Sie spricht von dem Menschen und der Wirklichkeit, wie sie immer zugleich von Gottes Handeln bestimmt sind – vom Handeln Gottes des Schöpfers, des Versöhners und des Erlösers. Nur in dieser vom Handeln Gottes inhaltlich bestimmten Dialektik bleibt in der Ethik präsent, was von Gott zu sagen ist – und umgekehrt, bleibt nur in dieser Dialektik die Ethik nicht auf ihre eigenen wie auch immer dialektisch vollzogenen Operationen zurückgeworfen. Vor allem aber wird damit überhaupt erst eine in dem Sinne theologische Ethik möglich, in der von Gott inhaltlich die Rede ist und »Gott« ohne den Bezug auf Schöpfung, Versöhnung und Erlösung diese oder jene Funktion in der Theorie der Ethik oder der Moral ausfüllt.
Auch wenn Barths Ethik nicht als Kritik der Moderne und ihrer impliziten Moral-Theorie konzipiert ist, wie dies in McKennys Interpretation deutlich wird, so kann sie also gleichwohl als eine solche gelesen werden, und sie kann zugleich im Kontext postmoderner Ethik-Dispositionen gelesen werden, ebenso wie im Blick auf deren kritische Weiterführung. Dies führt insbesondere Haddorff vor und zeigt auf diesem Hintergrund nicht nur die Aktualität Barths, sondern die spezifische Logik einer Ethik, in deren Disposition »Gott« nicht irgendwie als Instanz oder Referenz vorkommt, sondern einzig dadurch, dass Gottes Handeln in Schöpfung, Versöhnung und Erlösung präsent bleibt.
Damit ist Barths Ethik gleichermaßen abgegrenzt gegen theologische Dispositionen von Ethik, die sich an je verschiedenen Punkten des Ethik-Diskurses festgemacht haben, nicht zuletzt an der Frage nach einer »Wirklichkeit«, auf die sich die theologische Ethik verbindlich beziehen kann oder muss, wie dies in der Diskussion um den moralischen und ethischen »Realismus« verhandelt worden ist. Diese Fragestellung erweist sich überdies als dem postmodernen Problemgefälle verhaftet und bringt keine eigene Frage nach der »Wirklichkeit« und einer ihr entsprechenden Ethik ein.
Die durchgehende kritische Linie ethischer Theorie, die hier zu zeichnen ist, ist so in einzelnen signifikanten Punkten markiert, und damit ist in spezifischer Weise die Frage aufgeworfen, wie »Ethik in ihrer Geschichte« in den Blick zu fassen ist und was deren signifikanten Wendungen oder Verschiebungen anzeigen. Doch weitergehend ist zu fragen, wie dieser Geschichte, wenn sie als Problemgeschichte der Moral erscheint, kritisch zu begegnen ist, statt sie als Problemgeschichte auch in der eigenen Reflexion fortzuführen.

3. Ethik der Krise – dialektische Ethik – reformatorisches Erbe
Die angezeigten Differenzen in der ethischen Theorie gehen so tief, dass immer schon die Frage nach der Umkehr im Denken und darin eine ethische Praxis der »Krise« leitend ist und immer neu akut wird. David Clough hat dies besonders deutlich in den Blick gerückt.16 Er zeigt, inwiefern es um eine paradigmatische Krise der Ethik geht, die durchgehend Barths Entfaltung der Dogmatik und Ethik in ihrer Logik bestimmt, also nicht nur in dem begrenzten historischen Kontext bleibt, auf den sie sich bezieht. Die Ethik bewegt und befindet sich immer schon in »der Krise«, die mit der Differenz von Gott und Mensch gegeben ist – eine Krise, die auch an Krisenphänomenen der Geistesgeschichte in Erscheinung tritt, aber diese selbst in ihrer Brechung zeigt. Dieser Krise entsprechen einzig eine »dialektische« Theologie und eine »dialektische« Ethik, wenn darin von Gott und Mensch – in einer spezifischen Dialektik – zugleich die Rede ist, von Gottes Wirken und dem Einbezogenwerden des Menschen in dieses Wirken. Zu reden ist vom »verborgenen Leben« des Menschen.17 Davon handelt die Ethik, nicht etwa von Begründungs- oder Rechtfertigungsstrategien, die sich auf »Gott« beziehen. Ethik ist durchweg als Entfaltung der Rede von Gott zu fassen, die nicht innerhalb einer gegebenen Disposition der Theorie der Moral erfolgen kann, sondern die solche Dispositionen – moralkritisch – destruiert. In dieser Form theologischer Moralkritik wird das reformatorische Erbe in seiner kritischen Ausrichtung weitergeführt, das nicht darauf zu reduzieren ist, dass dem Menschen Gottes zuvorkommende Gnade für ein moralisch begründetes Leben und Handeln zuteilwird, sondern dass der Mensch ganz von Gottes Wirken getragen ist, auch in der Erfüllung und Vollendung dessen, wozu er gefordert ist. Es geht damit nicht mehr generell um die Frage, inwiefern die Rechtfertigung des Sünders mit einer Veränderung zum Besseren (Heiligung) verbunden ist oder ihn als ethisches Subjekt positioniert, sondern darum, wie der Mensch von Gottes Wirken in jeder Hinsicht bestimmt wird. Dies durchzuhalten bedeutet für die Entfaltung der Ethik, in der »Krise« zu bleiben, die nicht derart aufzulösen ist, dass menschliches Wirken unabhängig von Gottes Handeln und Wirken, unabhängig von Gottes Erfüllung des Gebotes in Christus erscheint. In dieser Interpretation wird deutlich, wie die Kritik der moralischen Selbstbehauptung und die Krise, die den Ort des Menschen kennzeichnet, vermittelt sind. Die kritische Kraft ethischer Orientierung besteht darin, dass sie in dieser Krise verbleibt – und damit auch in dem, was Gott gibt und gewährt. Dazu gehört im Besonderen Gottes Vergebung, die, wenn sie erbeten wird, davor bewahrt, das eigene Handeln auf eine unabsehbare Schuldbewältigung zu fixieren.
Das Zusammenwirken Gottes und des Menschen wird für diese dialektische Ethik insofern akut, als schließlich doch, wie McKenny dies thematisiert, das menschliche Handeln nicht relativiert werden kann, wenn es denn gilt, Gottes Aufforderung und Gebot nicht zu relativieren oder als unerfüllbar zu behaupten. Das menschliche Handeln (human action) ist umso mehr positiv zu entfalten, als Gottes Wirken darauf zielt, dass dieses geschieht und geschehen kann, weil nicht nur eine abstrakte moralische Rechtfertigung, sondern das ganze Spektrum des Inhalts des Gebotes gelten soll.

4. Ethik als Zeugnis – eschatologisches Zeugnis
Die Differenz theologischer Ethik zu verschiedenen Ethik-Diskursen ist, wie Haddorffs Interpretation zeigt, nicht in einer apologetischen Zielsetzung begründet, die sich von den Theorien und Konzeptionen bestimmen lässt, gegen die sie sich abgrenzt. Vielmehr ist die Differenz mit der unableitbaren Aufgabe theologischer Ethik verbunden, die in Gottes Wort beschlossene Wirklichkeit zu erschließen und einzig darin Einsicht und Erkenntnis zu gewinnen. Diese Differenz ist theologisch darin zu fassen, dass mit Gottes Handeln eine neue Wirklichkeit erscheint. So ist die Differenz eschatologisch zu verstehen.18 Dem entspricht, dass die Ethik als die Darlegung und Bekundung des in Gottes Handeln beschlossenen Gebotes Zeugnis ist. Haddorff hat dies als das wesentliche Kennzeichen der Ethik in Barths Darstellung beschrieben. Das Zeugnis ist an eine »Welt im Risiko« gerichtet, aber nicht davon bestimmt.
Durchgehend erscheint Barths Ethik als Ethik des Zeugnisses. Der Zeugnischarakter bestimmt ihre Logik in dem zweifachen Sinn: Die Ethik handelt davon, was von Gottes Wirklichkeit zu bezeugen ist, was auch impliziert, dass Gottes Wirklichkeit im Zeugnis präsent wird. Zugleich handelt die Ethik von den Praktiken des Zeugnisses. »Zeugnis« zeigt an, dass theologische Ethik von etwas handelt, das als Ereignis19, als Aktion akut wird, nämlich Gottes Handeln und die mit ihm gegebene Wirklichkeit. Dies ist keine anders aufzufindende Wirklichkeit, sondern diejenige, die geschieht, sich ereignet – und bezeugt wird. Dieser Logik gehen die Interpretationen von Haddorff, Paul I. Nimmo20 und Joseph L. Mangina vorrangig nach. Die theologische Ethik wird als Praxis – mit ihren einzelnen Praktiken – in Entsprechung zu dem, wovon sie handelt, in den Blick gerückt. Von Gottes Handeln kann Ethik nur Zeugnis geben. Ethik ist damit auch in ihren Praktiken bestimmt. Theologische Ethik kann keinen anderen Praktiken folgen – etwa der Reflexion dessen, was Menschen als moralische Subjekte zu verantworten haben. Die Frage nach den Praktiken oder »der« Praktik der Ethik wird notwendigerweise immer zugleich gestellt, wie dies auch in Nimmos Interpretation ausdrücklich geschieht. Die Praktiken der Ethik entsprechen der Praxis des Bezeugens.
Es hätte nahegelegen, auch diese Spur in Barths Ethik in ihrer Verbindung mit philosophischen Diskursen zu zeigen, die sich in ihrer Nähe bewegen.21 Dort ist die Unterscheidung geltend gemacht worden zwischen einem Diskurs, der die Geltung von Aussagen an ihrer Beziehung auf erfahrbare Realität ausweist, und einem Diskurs, der die Geltung von Aussagen mit der Frage prüft, wie es von dem Ereignis aus weitergeht, durch das eine neue Lebenssituation initiiert wurde. Wie erweist sich die Wahrheit eines Ereignisses – in welcher weiteren Geschichte, die ihm folgt? Dies ist die biblische Logik der Bewahrheitung, auch der Gerechtigkeit als Bewahrheitung. Hier wird die Frage nach dem Zeugnis und seiner Geschichte, und damit die Frage nach der Geschichte akut, mit der theologische Ethik vermittelt ist. Freilich ist theologisch von einem Ereignis zu sprechen, das auch in dem, was ihm folgt und entspricht, als ein neues, anderes einbricht und nur in diesem Sinn Ereignis ist, weil mit ihm – wie im Namen Jesu Christi ausgesprochen – eine neue andere Geschichte beginnt und eine andere Wirklichkeit mit sich bringt. Dieser eschatologischen Differenz entspricht ein eigener Weg der Bewahrheitung. Sie liegt in der Treue zu diesem Ereignis, das in den Namen Jesu Christi gefasst ist.

5. Bezeugen – Übersetzen – Öffentlichkeit
Mit der Kennzeichnung theologischer Ethik als Zeugnis ist der Blick direkt darauf gerichtet, für wen, in welcher Reichweite und in welcher inhaltlichen Bestimmtheit dieses Zeugnis gilt. Auch ist der Diskurs darüber eingeschlossen, wie Zeugnis und das, was als »Öffentlichkeit« thematisiert wird, zusammengehören und zusammentreffen. Eine weitergehende Verständigung über »Öffentlichkeit« wird in diesem Kontext freilich nicht verfolgt. Vor allem bleibt – wie generell in der gegenwärtigen Diskussion – offen, inwiefern »Öffentlichkeit« als politische zu verstehen ist und wie in diesen Zusammenhang das »Politische« bestimmt wird. Hier, auf dem Forum mit Barth, wird vom Charakter des Zeugnisses aus »Öffentlichkeit« namhaft gemacht und damit jedenfalls angezeigt, dass es um eine bestimmte, nicht irgendwie leere Öffentlichkeit geht, auch dass diese Bestimmtheit eine politische ist, weil in ihr das Zeugnis von dem Christus mitgeteilt wird, durch den Gott die Welt regiert. Dieser Zusammenhang ist begründetermaßen mit dem »Zeugnis« gegeben, im Unterschied zu Thematisierungen von »Öffentlichkeit« oder »öffentlicher Theologie«, die anders verortet sind. Jedenfalls anders verortet sind diejenigen Thematisierungen, die »Öffentlichkeit« von der »Kirche« aus in den Blick fassen. Auch hier werden verschiedene Dispositionen verhandelt, etwa im Blick auf die Differenz von politischer Ethik und politischer Theologie, wie dies auch im Vergleich von Karl Barth und Stanley Hauerwas geschehen ist.22 Wenn wie bei Stanley Hauerwas das Zeugnis als kirchliches gefasst wird, dann findet dies seine politisch-öffentliche Bedeutung darin, dass es einer Welt gilt, deren Konturen in diesem Zeugnis selbst kritisch markiert sind, und nicht einer Öffentlichkeit, die irgendwie von sich aus als politisch qualifiziert erscheint. Vielmehr gilt das Christenzeugnis der politischen Ausrichtung der Welt – auf Gottes Frieden und Gerechtigkeit hin – quer zur Affirmation einer gegebenen Öffentlichkeit, deren ausdrücklich politische Konturen unbestimmt bleiben. Insofern geht es hier um die politische Qualifizierung der Öffentlichkeit von einer politischen Ethik aus, die dem Zeugnis von Gottes Frieden und Gerechtigkeit gilt. Dieses Zeugnis ist so als politisches inhaltlich fassbar – in einem bestimmten Konzept von politischem Frieden – und von politischer Gerechtigkeit und nur aufgrund des zu bezeugenden Friedens und der zu bezeugenden Gerechtigkeit politisch real. Frieden politisch gefasst beruht prinzipiell darauf, dass Macht und Gewalt unterschieden bleiben und dass sich ebendiese Unterscheidung als einzig realistisch für ein Zusammenleben erweist, das nicht zugrunde gehen soll. Gerechtigkeit politisch gefasst besteht in einer Praxis der Gerechtigkeit durch die, denen die Macht übertragen ist. Gerechtigkeit besteht in dieser Praxis und trägt als solche die politische Realität. Das Einstehen für diese reale Utopie ist das entscheidende Kennzeichen dieser Ethik des kirchlichen Zeugnisses, wie es bei Stanley Hauerwas ausgearbeitet ist.23 Dies ist von solchen Konzeptionen unterschieden, die das christliche Zeugnis von der abstrakten Differenz zwischen »Kirche« und »Welt« bestimmt sehen, statt die Kirche – kommunitaristisch – als die Gemeinde zu fassen, die die politische Realität bezeugt, die in dieser Welt präsent wird. So bezeugt sie ein Leben ohne Gewalt und die Praxis der Gerechtigkeit. Damit werden Alternativsetzungen zwischen einer auf die Kirche als Lebenskontext bezogenen Ethik und einer »öffentlichen« Ethik oder Theologie obsolet. McKenny hält zu Barth fest: »Für Barth gibt es keinen Ersatz für eine sogenannte kirchliche Ethik durch eine sogenannte öffentliche Ethik. Die Kirche muss vor allem treu in ihrem Dienst und in ihrem Zeugnis von Gottes Gebot sein. Dieser Dienst erfordert die Bereitschaft, Gottes Gebot zu vernehmen wo auch immer und von wem auch immer es gesprochen wird.«24 Hier geht es nicht um die Übersetzung der Botschaft in eine andere Sprache, sondern um das eine Zeugnis, das kirchlich gelebt und bezeugt wird und das zugleich in der öffentlichen Bezeugung hörbar ist.
Das »Zeugnis« von Gottes Handeln, das die Ethik zu entfalten hat, ruft eine eigene politische Öffentlichkeit auf, die auch in Differenz steht zu anders und von verschiedenen Interessen und Zielsetzungen generierten oder behaupteten Öffentlichkeiten. Freilich wird dies auf dem englischsprachigen Barth-Forum wie auch sonst nicht in aller notwendigen Differenziertheit verhandelt. Es kommt vor allem darauf an, einen Begriff des Politischen hier einzubringen, der das mit Konturen versieht, was »Öffentlichkeit« heißt. Im Sinne einer Ethik des Zeugnisses ist das Politische davon bestimmt, dass es auf Gottes Handeln verweist – und damit immer auf die Frage, wem Gottes Zuwendung gilt und wie diese von Menschen blockiert wird, so dass sie die nicht erreicht, denen sie zukommt. Das Politische ist darin bestimmt, dass mit ihm Gottes Handeln, von dem es getragen und bestimmt ist, – das hat McKenny deutlich gemacht – präsent wird.
Hier hätte sich auch erneut eine Diskussion über »Säkularität« anschließen können.25 Barths Darstellung der Ethik kann auch dafür als Forum gesehen werden. Von Barths Darstellung der Ethik aus zeichnet sich nicht – wie bei Charles Taylor – das Panorama eines »säkularen Zeitalters« ab, das durch Transzendenzverlust gekennzeichnet ist (also in einem spezifischen Sinn »säkular« ist) im Gegenüber zu einer – persönlichen – Lebenswelt der »religiösen Fülle«, die keine bestimmte Botschaft enthält, die als Zeugnis präsent würde.

6. Konkrete Ethik
Die immer akute Frage, in welcher Weise eine Ethik konkrete Handlungsweisungen geben kann, wird – wie McKenny zeigt – in Barths Darstellung der Ethik in einer ausdrücklich theologischen Logik formuliert. Sie betrifft das Zusammenwirken von Gottes Urteil und menschlicher ethischer Reflexion. »Ethische Reflexion beschreibt, wie wir vorausliegendes Handeln in der Antizipation von Gottes Urteil über das Handeln und uns erfüllen können.«26 Es bleibt nicht bei der isolierten, allgemeinen Frage »was sollen wir tun?« oder »was sollen wir in diesem konkreten Fall tun?« – eine Frage, die in das Gebet gehört, wenn sie nicht Gottes Urteil übergehen will –, sondern ethische Reflexion ist Zeugnis vom Wirken Gottes und seinen Geboten und setzt so auf eine Realität, die dieser Welt gilt. Diese ist nicht erst durch ethische Reflexion zu erschließen. Gott gebietet nicht ein allgemeines Gesetz, das auszulegen oder anzuwenden wäre, sondern immer schon eine bestimmte Richtung und eine bestimmte Ordnung. »Wäre die Alternative wahr … gäbe es überhaupt keine wirkliche Begegnung mit Gottes Entscheidung. Menschen würden de facto selbst über gut und böse, richtig und falsch in Bezug auf ihr Handeln entscheiden.«27 »Ethisches Erkunden gewährt uns Weisung, durch die wir uns eng an das annähern können, was Gott befiehlt, aber die Aufgabe der Weisung ist nicht, Gottes Gebot selbst zu bestimmen, sondern uns im Sinne der ethischen Reflexion für die Begegnung mit Gott im Gebet bereit zu machen.«28 McKenny formuliert thetisch: »Ethische Erkundung ist wegweisende Vorbereitung für die Begegnung mit Gottes Gebot.«29 Entgegen der »klassischen Ethik« löst die ethische Reflexion diese Begegnung mit Gott nicht auf, sondern bestärkt vielmehr ihre Notwendigkeit.30 Auf diese Weise ist auch damit bestätigt, in welchem Sinn es ebendie ethische Reflexion ist, die in der Krise bleibt und diese Krise nicht etwa in ein gutes Gewissen oder in eine wie auch immer vollzogene Rechtfertigung auflöst. Darauf kann dann auch keine ethische Begründung zielen, sondern sie hat darauf explizit vorzubereiten, Gottes Weisung zu vernehmen.
McKenny diskutiert auf dieses Verständnis hin gängige Problemanzeigen, die auch sonst in der Diskussion über theologische Ethik akut sind, und zeigt, inwiefern diese theologische Ethik nicht auf fragwürdige Dispositionen und ihre Alternativen festzulegen ist, wie etwa darauf, dass hier schließlich doch die Ethik für ein jeweils individuelles Subjekt konzipiert ist. McKenny markiert hier kurzschlüssige Interpretationen. Das Gebot Gottes ist an den Einzelnen gerichtet, dieser ist rechenschaftspflichtig, dies aber besagt nicht, dass er in dieser Rechenschaftspflicht allein ist und sie nicht mit anderen teilt.31 Die Ethik des Zeugnisses, des prophetischen Wortes entfaltet sich als eine kirchliche Praxis der Verkündigung, des Hörens und des Erprobens dieses Wortes.32 Diese Verankerung in kirchlicher Praxis, diese kommunitäre Seite steht nicht, wie oft behauptet wird, im Gegensatz zu einer öffentlichen Theologie oder Ethik, sondern ist ihre Voraussetzung. Sie bestimmt das Zeugnis als politisches. Als diese kirchliche Praxis ist das ethische Zeugnis öffentlich, und so ist es politisch.
Barths Darstellung der Ethik erweist sich in weiteren akuten Problemstellungen als Forum für eine kritische Klärung. Das betrifft ausdrücklich auch die Frage nach dem wirklich gelebten Gebot und der »Heiligung«. McKenny bemerkt dazu, dass Barth in seiner Darstellung der Ethik dieses »Subjekt« genau dort wieder einsetzt, wo er es in seiner »modernen« Gestalt aufs Schärfste kritisiert.33 Wie evangelische Ethik von »Heiligung« zu reden hat, wird damit zum zentralen Kapitel einer Ethik in spannungsvoller Differenz zu einer Ethik, die irgendwie die Techniken des Selbst (auch in der Thematisierung von Glück und Lebenskunst) bedient oder wie auch immer aus dem Blick verliert, was es heißt, geheiligt zu werden – das heißt in Gottes Handeln erneuert und verwandelt zu werden und dann von daher zu verstehen, was »Glück« bedeuten kann, so wie Psalm 1 den »glücklich« preist, der Gottes Weisung erkundet und auf seinem Weg von Gott geleitet wird.

7. Barth im theologischen Diskurs
Barths Darstellung der Ethik erweist sich auch als ein Forum für vielfältige weitere theologische Diskurse und ihre Tagesordnungen, wie dies explizit insbesondere Joseph L. Mangina34 zeigt, indem er eine Reihe von denkbaren Gesprächspartnern mit Barth in ein Gespräch bringt, um so Übereinstimmung und Kritik zu markieren. Durch diese Darstellungsweise wird demonstriert, inwiefern Barth als Referenz zu verstehen ist, auf die hin darüber diskutiert werden kann, wie die verhandelten Topoi zu einem denkbaren Ganzen der theologischen Lehre stehen, die nicht als theologische Konzeption oder Position erscheint, sondern als »Zeugnis«, auf das hin theologische Verständigung geschieht. Die dargestellten Gespräche beziehen sich auf zentrale Topoi der Dogmatik – die Lehre von der Offenbarung, die Schöpfungslehre, die Versöhnungslehre, die Ekklesiologie – und bilden so die Grundlinien eines weitgreifenden Diskurses, in dem deutlich wird, inwiefern eben einzig innerhalb der dogmatischen Topoi die Konturen und Differenzen abgebildet werden können, die die kontroversen Tagesthemen kennzeichnen. So das Thema »Religion, Sprache und Kultur«, das im Gespräch mit George Lindbeck verhandelt wird, oder das Thema »Kirche und Ethik«, das mit Henry de Lubac zur Sprache kommt, und das Thema »Schöpfung und Leiden« im Gespräch mit Stanley Hauerwas. Die Wahl der Themen und der Gesprächspartner präsentiert dieses Forum auch als Forum einer ökumenischen Verständigung, die nicht auf Grunddifferenzen oder grundsätzliche Übereinstimmungen fixiert ist, sondern sich in einem differenzierten Spektrum theologischer Topoi bewegt und nicht ausschließt, dass es verschiedene Paradigmen gibt, die weder als Profile zu behaupten sind noch auf einer allgemeineren Ebene – etwa in der Thematisierung von »religiösen« Phänomen – aufzulösen sind.

8. Signifikante Kontroversen – Evangelikale und Reformierte an Schnittpunkten theologischer Ethik
Barths Gesamtwerk ist in seiner ganzen zeitlichen Erstreckung in durchaus verschiedenen Kontexten kirchlicher und konfessioneller Prägung ein Forum der Selbst-Verständigung und Auseinandersetzung gewesen. Aufschlussreiche Dokumente dazu bietet der von Bruce L. McCormack und Clifford B. Anderson herausgegebene Band »Karl Barth and American Evangelicalism«35. Er kann beispielhaft auch für andere Verständigungsprozesse gelten, die sich an Barths Darstellung der Dogmatik und Ethik abbilden oder direkt mit ihr in Auseinandersetzung stehen. Die Beiträge sind zum Teil zentriert um die Auseinandersetzung von Cornelius van Til mit Karl Barth. Diese bildet ihrerseits einen Fokus reformierter und evangelikaler Verständigung, die sich u. a. zwischen dem Princeton Theological Seminary und dem Westminster Seminary bewegt.36 Die detaillierte Darstellung der Geschichte (von George Harinck und Darryl G. Hart) lässt klare Grundlinien der Kontroversen erkennen, die insbesondere in dem Beitrag von Michael S. Horton37 nachgezeichnet sind. Dies bildet Barths Darstellung der Dogmatik in ihren Grundentscheidungen umso deutlicher ab, als die Alternativen benannt werden, um die es in diesen Entscheidungen gegangen ist. Horton sieht als die durchgehende Linie bei Barth sein Insistieren auf Einheit und Einzigkeit: »Ein Gott, ein Bund, in dem das Gesetz unter das Evangelium subsumiert ist, ein Subjekt der erwählenden Gnade, eine ewige Geschichte Gottes, aktualisiert in einem Ereignis: Einheit nimmt eine Kontrollfunktion in Barths Dogmatik ein, was vielleicht ein Grund dafür ist, warum sie als Christlicher Monismus charakterisiert worden ist und Barth selbst hatte kaum Probleme damit sich mit dem Supralapsarismus des 17. Jahrhunderts einig zu wissen.«38 Entscheidend ist auch, dass nach dem einen Ereignis des Bundesschlusses in aller weiteren Geschichte, kein neues Ereignis folgt. Horton zitiert in seiner kritischen Betrachtung von Barth zustimmend in dieser Hinsicht Hans Urs von Balthasar.39 Der Band rückt Kennzeichen der Dogmatik in den Blick, die, wie diskussionsbedürftig auch immer sie sind in Bezug darauf, ob sie bei Barth so wirklich aufzufinden sind, bestätigen, dass hier die Parameter zu finden sind, die je nachdem die Grammatik der Theologie verändern – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ethik.
Von diesen Kennzeichen ist auch der Spielraum evangelikaler Rezeption von Barth Werk bestimmt. Die evangelikale Rezeption verweist auf ein breites Spektrum von dogmatischen Sachverhalten und damit für eine differenzierte Verständigung, die auch die evangelikale Seite auf ihre explizite »Lehre« hin reflektiert. Kimly J. Bender wirft zu Recht die Frage auf, was Evangelikalismus – in Nordamerika – bedeutet, und verweist auf bekannte Merkmale, wie die autoritative und normative Bedeutung der Schrift.40 Die Diskussion – auch die von Keith L. Johnson41 – geht dann aber auf spezifische theologische Topoi ein, die hier zu verhandeln sind. Dazu gehören die Erwählungslehre und die Frage nach dem »Universalismus«, und zentral das Verständnis vom Zusammenwirken Gottes und des Menschen, dem concursus dei. Johnson unterstreicht, John Webster zitierend, dass Barth menschliches Handeln an seinen rechten Platz in der menschlichen Sphäre stellt, begrenzt, aber dennoch real.42 Johnson kann deutlich machen, wie in Barths Entfaltung Gottes Subjektsein im Handeln und menschliches Subjektsein im Handeln untrennbar zusammengehören und doch unterschieden bleiben. Damit widerspricht diese Interpretation auch der Zuordnung Barths zur Grammatik der Moderne, die nur das eine souveräne Subjekt kennt, auf das Ethik und Moral fixiert werden. An diesem theologischen Topos des Zusammenwirkens von Gott und Mensch kann so gezeigt werden, wie sich die theologische Grammatik zu anderen – gegebenen oder unterstellten – Logiken verhält, mit weitreichenden Folgen für die Ethik. Die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf, von Gottes Handeln und menschlichem Handeln zu wahren, ohne den Zusammenhang obsolet werden zu lassen, macht die entscheidende Balance hier aus, wie sie signifikanterweise in diesem evangelikalen Kontext verhandelt wird.
In besonderer Weise tritt die Ekklesiologie als Angelpunkt im Gespräch mit Barth hervor. Es zeigt sich ein höchst spannungsvolles Verhältnis, in dem Barth – wie Bender ausführt – eine Ekklesiologie in den Blick rückt, die evangelikale Kennzeichen trägt, aber eben als solche in einer evangelischen Ekklesiologie zu entfalten ist.43 Keith L. Johnson zeigt dann (in der Diskussion mit Reinhard Hütter44) insbesondere, inwiefern bei Barth eine Ekklesiologie zu finden ist, die sich für eine evangelikale Rezeption anbietet. Sie entspricht vor allem dadurch einer evangelikalen Ausrichtung, dass sie die Sendung der Kirche in die Welt darin bewahrt, dass Gottes Handeln nicht in der Kirche und als Kirche präsent wird, sondern in der missionarischen Aktivität der Kirche. Zugleich aber – das ist auf der anderen Seite festzuhalten – ist dies an das bestimmte Tun gebunden, das die Kirche ausmacht: die Verkündigung des Wortes Gottes. Diese Ekklesiologie, die durchaus eine sichtbare, wirkliche Kirche in den Blick fasst, sofern sie sich auf die sichtbaren Kennzeichen der Kirche bezieht, ist weder auf die Präsenz Gottes in der Kirche fixiert, noch löst sie die sichtbare Kirche in nicht fassbare Vorgänge auf. So steht sie zwischen einer römisch-katholischen Kirchenzentrierung und einem evangelikalen ekklesiologischen Defizit. Von hier aus ergeben sich tragfähige Folgerungen für den Zusammenhang von Kirche und Ethik und für das Verständnis von »Kirche und Öffentlichkeit«. Das wird hier nicht mehr ausgeführt, aber in einem Beitrag von Todd V. Cioffi – im Vergleich von Karl Barth und Stanley Hauerwas – zur Sprache gebracht.45
Die evangelikale Rezeption von Barth ist auch von der Kritik van Tils an Barth tangiert, der mit seinem 1946 erschienenen Werk »The New Modernism. An Appraisal of the Theology of Barth and Brunner«46 den grundlegenden Vorwurf eines Modernismus in Barth erhoben hat und Barth auch in der Nähe eines liberalen Universalismus gesehen hat.47 Es liegt nahe, diese besondere Kontroverse mit der gegenwärtigen Diskussion um Barth in seinem Verhältnis zu »Moderne« und »Postmoderne« zu verbinden. Das Ineinander von Gotteslehre und Christologie, das für die reformierte Theologie zum Angelpunkt der Kontroverse wurde, ist zugleich das Problem dafür, in welcher kritischen Spannung Barths Darstellung der Dogmatik gegenüber der Logik von »Moderne und Postmoderne« zu sehen ist. Ist es eher eine Theologie, die ihre Logik bei aller Dialektik auf das eine agierende »Subjekt« fokussiert und damit in der Logik der Moderne bleibt, oder wird dies doch von einer anderen Disposition und Dramatik umschlossen oder getragen?
Das betrifft nicht zuletzt die Fassung der Trinitätslehre, die die ewige Gottheit Christi hervorhebt, und die damit verbundenen Konsequenzen, die dann auch die Ethik betreffen. So stellt Todd V. Cioffi Stanley Hauerwas’ Darstellung der theologischen Ethik als kirchlicher Ethik Barth gegenüber, indem er verschiedene Fassungen der politischen Theologie bzw. einer politischen Ethik beobachtet.48 Auf der einen Seite (Barth) kommt eine politische Theologie zur Geltung, die die »Welt« und auch den »Staat« unter dem Regiment Gottes und Christi sieht, und auf der anderen Seite (Hauerwas) eine politische Ethik, die in der Perspektive des christlichen Zeugnisses verbleibt und von daher auf den »Staat« blickt.
Die Diskussion um Barth und den amerikanischen evangelikalen Kontext dreht sich um solche theologischen Topoi – wie vor allem Topoi der Gotteslehre und der Ekklesiologie –, die akut zu thematisieren sind, wenn etwa geklärt werden soll, was die Aufgabe einer evangelischen politischen Ethik sein kann oder wie über »Kirche und Öffentlichkeit« so zu verhandeln ist, dass darin die Frage nach dem Verständnis von Kirche in den entscheidenden Alternativen aufgeworfen wird, oder wenn darüber zu sprechen ist, was das »Projekt Moderne« bedeutet und wie dies mit welchem Verständnis von Gottes Handeln und menschlichem Handeln verbunden ist. Stünden in der hier dokumentierten Diskussion zwischen Barth und den Evangelikalen gezielt ethische Topoi im Vordergrund, würde sich zeigen, wie breit das Spektrum und vor allem wie tiefgreifend die Fragestellungen sind, für die Barths Darstellung der Dogmatik ein Forum bildet, auf dem auch solche Diskussionen wie die zwischen Evangelikalen und Reformierten einen Kontext für ihre Orientierung und Verständigung finden. Auf einem solchen Forum nämlich ist es möglich, auch solche Topoi – wie das Zusammenwirken Gottes mit dem Menschen – direkt auf die ethische Tagesordnung zu bringen. So wird sichtbar, dass beispielsweise das Thema »Kirche und Öffentlichkeit« auch im Verständnis des Zusammenwirkens Gottes mit den Menschen verankert ist und dass Unschärfen hier oder dort für die Ethik erhebliche Folgen haben.
Das betrifft auch die in Barths Darstellung der Dogmatik und Ethik enthaltenen philosophischen Implikationen, an denen sich grundlegende Konturen der Ethik abzeichnen – insofern es darum geht, wie die ethische Praxis auf Gott bezogen ist und welche Gotteserkenntnis und Gotteserfahrung sie impliziert. John E. Hare49 diskutiert Barths Verhältnis zu Kant und macht darin deutlich, wie Barth in seiner Kritik an Kant geltend macht, dass von Gott inhaltlich, positiv zu reden ist, also von dem Gott, der im Glauben präsent ist. Damit, so Hare, könnte er mit Kant einig sein, wenn Kant nicht darin missverstanden oder unvollständig gelesen wird. In dieser Hinsicht erweist sich Kant seinerseits als Forum für die Klärung theologischer Implikationen der Ethik. In einiger Übereinstimmung mit McKennys Interpretation ist Gott derjenige, der die moralische Existenz vervollkommnet. Freilich entsteht hier eine Unschärfe in Bezug auf die Bedeutung dieses Mitwirkens Gottes. Es ist zu unterscheiden, inwiefern damit von einer Vervollkommnung des Menschen in seiner Moralität zu reden ist oder von Gottes Mitwirken bei der Erfüllung des Gebotes. Zu unterscheiden ist der Gott der Moralität – wie ihn Nietzsche, auf den Hare verweist, in den Blick rückt – und der Gott, der die Erfüllung seines Gebotes wirkt. Mit dieser Unterscheidung ist dann doch eine grundlegende Distanz zwischen Barth und Kant gegeben. Nietzsches Kritik an der Fixierung auf den moralischen Menschen und seinen Gott hat ebendiese Unterscheidung kenntlich gemacht.

9. Einfluss oder Wirkung dialektischer Ethik
Die Diskussion der Darstellung theologischer Ethik bei Karl Barth hat, wie McKenny bemerkt, größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen als zu Karl Barths Lebenszeit. Das gilt für den englischsprachigen Kontext besonders auch für die jüngste Zeit. Dies ist – wie hier zu sehen war – darin begründet, dass diese Darstellung als Forum für die Problemstellungen und Diskurse dienen kann, die gegenwärtig die Ethik-Diskussion leiten. Zugleich aber stellt McKenny fest, dass es auch erhebliche Widerstände dagegen gibt, aufgrund einiger seiner spezifischen Kennzeichen, wie vor allem seine Disposition als Ethik des Gebotes Gottes, dem menschlicher Gehorsam zu entsprechen hat. McKenny hält fest: »Der signifikanteste Faktor … ist gewiss unsere Distanz gegenüber der reformatorischen Konzeption von Gnade … Während diese Konzeption zu Barths Zeiten kaum populär war und doch die Kraft hatte zu provozieren und zu inspirieren, eine Kraft, die Barth zu großer Wirkung in seinem moralischen und politischen Denken bringen konnte, eine Kraft, die freilich heute weitgehend verbraucht ist.«50 Aber wie damals, so bemerkt McKenny, ist es diese Ethik, die gegen den Strom schwimmen kann. »Für Barth sind wir nur dann, wenn wir die Gnade tun lassen, was sie tun kann (oder schon getan hat), befähigt zu tun, was wir durch die Kraft und Leitung des Heiligen Geistes fähig sind zu tun. Das bürgerliche Zeitalter (bourgeois era) mit seiner Ethik der Verantwortlichkeit hat diese Lehre vergessen oder nie an erster Stelle gelernt. … Barths Artikulation dieser Lehre gehört in das Ende dieser Ära. Jedoch während diese praktisch zu Ende ist, ist viel von ihrem Ethos noch bei uns, sowohl in der Kirche wie außerhalb; und solange dies der Fall ist wird Barths Moraltheologie relevant bleiben ob sie populär oder unpopulär ist. Und wenn die Lehre wahr ist, dann hat sie etwas von bleibender Bedeutung zu der universalen Kirche beigetragen, auch wenn die Stimme, in der sie ausgesprochen worden ist, fremd klingt.«51
Wie auch immer die Hauptströmung des ethischen Diskurses und seine vielfältigen Verschiebungen verlaufen, hier rückt die Frage, was dabei die theologische Lektion ist und wie diese hörbar wird, in den Vordergrund. Wie, an welchen weiteren kritischen Punkten wird sie vernehmbar werden? – das ist die Frage, die nicht durch dieses oder jenes Plädoyer innerhalb der Variationen ethischer Theorie zu ersetzen ist. Diese sind zumeist von begrenzten Fragestellungen geleitet, die auch in Barths Darstellung vorkommen, die aber deren systematische Spur nicht bestimmen. Die englischsprachige Diskussion, die hier in einigen neueren Beiträgen aufgenommen wurde, bleibt dabei, Barths Darstellung der Ethik in ihrem inneren Zusammenhang nachzugehen, der Spur zu folgen, die sich hier für die evangelische Ethik abzeichnet. So wie sich Barths Darstellung der Ethik hier als ein Forum für die evangelische Ethik präsentiert, kann dies auch für weitere Aufgaben der Verständigung in der evangelischen Ethik gelten. Das betrifft sowohl die hier offen gebliebenen Fragen wie die nicht diskutierten Themen, das betrifft aber auch andere Fragestellungen, die hier noch nicht angezeigt worden sind. Dazu könnte eine neue Diskussion um die Ethik als »Wirklichkeitswissenschaft« ebenso gehören wie eine Diskussion um »Gottesdienst und Ethik« und um die Praxis ethischer Urteilsbildung im Kontext einer hermeneutisch-kritischen Theologie.

Summary
Many of the leading contemporary ethical discourses intersect in
Karl Barth’s theological ethics, although Barth’s ethics goes its own
way – a way which in many respects runs against these contemporary
discourses, but which nevertheless stimulates them in
manyways. This can be seen in thewide range of interpretations of
Barth’s ethics that have recently been published in English and
which connect his ethics with contemporary discourses on ethics,
such as the discourse on the human »subject«, on humanity and
human nature, on »power«, as well as the discourse on politics and
the public sphere. These discourses are influenced by the overlapping
discourse on »modernity« or on other dominant contexts of
orientation, as well as by their attempts to escape such influence.
The nature of Barth’s ethics becomes apparent in its critically reflected
rootedness in the tradition of the Reformation, and in its interweaving
with dogmatic topoi such as »freedom«, »law and gospel
«, »church and the public sphere«, and »political theology«. In
these recentworks published on Barth in English, Barth’s ethics becomes
a forumfor the current understanding of theological ethics.

Fussnoten:

1) S. insbesondere: Biggar, Nigel: The hastening that waits. Karl Barth’s ethics. Oxford/New York 1993 (Oxford studies in theological ethics); Webster, John: Barth’s ethics of reconciliation. Cambridge 1995; Webster, John B.: Barth’s moral theology. Human action in Barth’s thought. Edinburgh 1998.
2) S. dazu besonders: Trowitzsch, Michael: Karl Barth heute. Göttingen 2007, 40–64. Holtmann, Stefan: Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Studien zur kritischen Deutung seiner Theologie. Göttingen 2007.
3) S. dazu die pointierten Bemerkungen auch von Richardson, Kurt Anders: Reading Karl Barth. New directions for North American theology. Grand Rapids 2004, 19–55; s. besonders auch: Ward, Graham (2007): Barth, modernity and postmodernity, in: Webster, John B. (Ed.): The Cambridge companion to Karl Barth. 5th print. Cambridge 2007 (Cambridge companions to religion), 274–295.
4) McKenny, Gerald P.: The Analogy of Grace. Karl Barth’s Moral Theology. Oxford u. a.: Oxford University Press 2010. XV, 310 S. Geb. US$ 120,00. ISBN 978-0-19-958267-9: 21.
5) S. McKenny, 122–165.
6) Zu Verantwortung siehe besonders: McKenny, 119. Zur Diskussion um die Verantwortungsethik im englischsprachigen Kontext s. Studies in Christian Ethics 22 (2009); siehe die Kritik der Verantwortungsgrammatik bei: Wannenwetsch, Bernd ›Responsible Living‹ or ›Responsible Self‹? Bonhoefferian Reflections on a Vexed Moral Notion, in: Studies in Christian Ethics, 18 (2005), 125–140.
7) S. McKenny 120.
8) McKenny, 121.
9) Dalferth, Ingolf U.: Radikale Theologie. Leipzig 2010 (Forum Theologische Literaturzeitung, 23), 183.
10) S. vor allem die pointierten Bemerkungen bei Webster, John B.: Introducing Barth, in: Webster, John B. (Ed.): The Cambridge companion to Karl Barth. 5th print. Cambridge 2007 (Cambridge companions to religion), 1–16: 10–12.
11) Thompson, Geoff: Karl Barth. A future for postmodern theology? Hindmarsh 2001. S. auch o. Anm. 3.
12) McKenny, 78.
13) S. besonders die Conclusion, McKenny, 72 f.
14) McKenny, 93.
15) Haddorff, David W.: Christian Ethics as Witness: Barth’s Ethics for a World at Risk. Cambridge 2011.
16) Clough, David: Ethics in crisis. Interpreting Barth’s ethics. Aldershot u. a 2005 (Barth studies).
17) Sauter, Gerhard: Das verborgene Leben. Eine theologische Anthropologie. Gütersloh 2011.
18) S. besonders: Dalferth, Ingolf U.: Karl Barth’s eschatological realism, in: Sykes, Stephen W. (Ed.): Karl Barth: centenary essays. Cambridge 1989, 14–45.
19) S. dazu besonders auch die Einleitung bei McKenny, 7–10.
20) S. Nimmo, Paul T.: Being in Action. The Theological Shape of Barth’s Ethical Vision. London u. a.: T & T Clark (Continuum) 2007. IX, 202 S. Geb. £ 70,00. ISBN 978-0-567-03149-5.
21) Hier ist vor allem Alain Badiou zu nennen: Badiou, Alain: Das Sein und das Ereignis. 1. Aufl. Berlin 2005 (Transpositionen, 9); Badiou, Alain: Gott ist tot. Kurze Abhandlung über eine Ontologie des Übergangs. Wien 2002.
22) Cioffi, Todd V.: Stanley Hauerwas und Karl Barth; Matters of Christology, Church, and State, in: McCormack, Bruce L., and Clifford B. Anderson [Eds.]: Karl Barth and American Evangelicalism. Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans Publishing 2011. VIII, 387 S. Kart. US$ 38,00. ISBN 978-0-8028-6656-1: 347–365.
23) S. Hauerwas, Stanley: The peaceable kingdom. A primer in christian ethics. London 1983; dt.: Selig sind die Friedfertigen. Ein Entwurf christlicher Ethik. Neukirchen-Vluyn 1995 (Evangelium und Ethik, 4).
24) McKenny, 293.
25) Zur Diskussion s. Dalferth, Ingolf U.: Religionsfixierte Moderne? Der lange Weg vom säkularen Zeitalter zur post-säkularen Welt, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Heft 7 (2011), 9–32.
26) McKenny, 237.
27) McKenny, 243.
28) McKenny, 247.
29) McKenny, 264.
30) McKenny, 264.267.
31) S. McKenny, 274.
32) S. McKenny, 275.
33) S. McKenny, 279. Siehe in dieser Gegenbewegung auch: Hinkelammert, Franz J.: Der Schrei des Subjekts. Vom Welttheater des Johannesevangeliums zu den Hundejahren der Globalisierung. Luzern 2001.
34) Mangina, Joseph L.: Karl Barth. Theologian of Christian witness. Aldershot 2004 (Great theologians series).
35) McCormack/Anderson (Eds.): Karl Barth and American Evangelicalism (s. Anm. 22).
36) S. besonders auch den Bericht von Richardson, Kurt Anders: Reading Karl Barth. New directions for North American theology. Grand Rapids 2004, 69–73.
37) Horton, Michael S.: Covenant, Election, and Incarnation: Evaluating Barth’s Actualis Christology, in: McCormack/Anderson (Eds.): Karl Barth and American Evangelicalism (s. Anm. 22), 112–147.
38) Horton, 135.
39) Horton, 140.
40) Bender, Kimlyn J.: The Church in Karl Barth and Evangelicalism: Conversations across the Aisle, in: McCormack/Anderson (Eds.): Karl Barth and American Evangelicalism (s. Anm. 22), 177–200: 181.
41) Johnson, Keith L.: The Being of Act of the Church: Barth and the Future of Evangelical Ecclesiology, in: McCormack/Anderson (Eds.): Karl Barth and American Evangelicalism (s. Anm. 22), 201–226.
42) Johnson, 223.
43) Bender, 198.
44) S. Hütter, Reinhard: Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis. Interpretationen zu Schlüsselfragen theologischer Ethik in der Gegenwart. Neukirchen-Vluyn 1993.
45) Cioffi, Todd V.: Stanley Hauerwas und Karl Barth; Matters of Christology, Church, and State, in: McCormack/Anderson (Eds.): Karl Barth and American Evangelicalism (s. Anm. 22), 347–365.
46) Van Til, Cornelius: The new modernism. An appraisal of the theology of Barth and Brunner. Philadelphia 1946.
47) S. den Bericht von Harinck, George: ›How Can an Elephant Understand a Whale and Vice Versa?‹. The Dutch Origins of Cornelius Van Til’s Appraisal of Karl Barth, in: McCormack/Anderson (Eds.): Karl Barth and American Evangelicalism (s. Anm. 22), 13–41. S. zur Kritik an van Til: Hart, Deryll G.: Beyond the Battle for the Bible: What Evangelicals Missed in Van Til’s Critique of Barth, in: McCormack/Anderson (Eds.): Karl Barth and American Evangelicalism (s. Anm. 22), 42–70.
48) Cioffi, Todd V. (s. Anm. 22).
49) Hare, John E.: Karl Barth, American Evanglicals, and Kant, in: McCormack/Anderson (Eds.): Karl Barth and American Evangelicalism (s. Anm. 22), 73–90; s. auch: Hare, John E.: The moral gap. Kantian ethics, human limits, and God’s assistance. Oxford 1996 (Oxford studies in theological ethics).
50) McKenny, 294.
51) McKenny, 294.