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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

384–385

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Langhammer, Elke

Titel/Untertitel:

»Ist Gott drin?!« Erfahrungen der Gottes­präsenz im pastoralen Alltag von Gemeindeseelsorgerinnen.

Verlag:

Berlin u. a.: LIT 2011. 396 S. = Kommunikative Theologie – interdisziplinär. Communicative Theology – Interdisciplinary Stud­ies, 15. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-643-50286-5.

Rezensent:

Ilona Nord

»Wo ist ›Gott drin‹ in den alltäglichen Vollzügen der pastoralen Praxis in den Gemeinden? Welche Gottesorte und welche Erfahrungen der Gottespräsenz benennen Seelsorgerinnen, wenn sie sich […] auf den Weg machen und ihre alltäglichen Seelsorgeerfahrungen […] ›unter die Lupe nehmen‹? Was würde passieren, wenn man/frau in der alltäglichen pastoralen Praxis mit dem ›Mehrwert‹ göttlicher Präsenz […] rechnen würde?« (41)
Der innovative Beitrag der Dissertation der Innsbrucker Praktischen Theologin Elke Langhammer liegt in einer empirischen Studie zur Seelsorgepraxis von sechs Seelsorgerinnen. Sie lässt Tagebuchaufzeichnungen zu deren pastoralen Tätigkeit erstellen. Matthias Scharer schreibt im Vorwort: »Als Ergebnis zeigen sich u. a. die ›Nachrangigkeit der Dimension des gesellschaftlichen Kontextes und der Welterfahrung‹ und die ›vorrangige Situierung der Erfahrung der Gottespräsenz im unmittelbaren Nahbereich der Seelsorgerinnen‹.«
Diesem Befund begegnet L. in ihrem Ausblick dann auch mit einem engagierten Plädoyer für das Programm »Kirche in der Welt«, wie sie es in der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils vorfindet. Sie tritt für einen kreativen und risikoreichen Prozess der Inkulturation ein (vgl. 321). Zweitens ermutigt sie dazu, die eigene Herkunft theologie- und dogmengeschichtlich neu zu entdecken. L. findet in den Pastoraltagebüchern eine bedenkliche Tendenz zur mangelnden Dialogizität im Hinblick auf die Grunddokumente des Glaubens: »Erfahrungen der Gottespräsenz werden weitgehend absehend von den in Schrift und Tradition geprägten Vorstellungen von göttlicher Gegenwart und göttlichem Wirken beschrieben.« (322) Es gilt demnach, Alltagsglaube und Theologie in einem permanenten Prozess der Vernetzung zu halten. Drittens fordert sie dazu auf, die Unbegreiflichkeit Gottes in der Theo-Praxie der Kirche zu retten. Sie stimmt Ottmar Fuchs zu, wenn er eine drohende Trivialisierung und Banalisierung Gottes in Kirche und Gesellschaft diagnostiziert. »Und Seelsorge ist unter dieser Rück­sicht als ›Arbeit in und am Sanctum‹ zu profilieren.« (323) So ist diese Studie zugleich ein Beitrag zu gelebten Gottesbildern von Seelsorgerinnen.
Der Forschungsweg führt durch sechs Kapitel: Der Einstieg ist den hermeneutischen Zugängen zum Thema gewidmet. L. verortet sich selbst im Kontext einer optionalen Praktischen Theologie (vgl. 40 ff. mit Verweis auf Haslinger/Stoltenberg). Sie bezieht sich auf Arbeiten von Rainer Bucher, Stefanie Klein, Uta Pohl-Patalong, Ina Praetorius, Veronika Prüller-Jagenteufel, Ulrike Wagner-Rau, Hedwig Meyer-Wilmes u.a., wenn sie eine feministische und gendersensible Pastoraltheologie sowie methodologische Bausteine zu dieser ausführt (30 ff.).
Das 2. Kapitel ist der Klärung der Rede von der Gottespräsenz gewidmet. L. steckt in acht Punkten ihren Referenzrahmen ab, sie bezieht sich vor allem auf Edward Schillebeeckxs Verhältnisbestimmung von Erfahrung und Glaube: Religiöse Erfahrungen sind keine Sondererfahrungen, religiöse Erfahrungen sind stets bereits gedeutete Erfahrungen, Glaubens- und Lebenserfahrungen heutiger Menschen sind Orte und Vollzugsform göttlicher Selbstkundgabe, Gott bringt sich in ihnen zur Erfahrung. Mit der Metapher der Spur gelinge es, die Unverfügbarkeit Gottes im Blick zu behalten, Gott als unverfügbares Geheimnis zu kommunizieren, Gott zeige sich als Macht in Beziehung oder anders ausgedrückt in einer Transzendenz, die immanent erfahrbar ist. L. vertritt eine Theo­logie, die der Orthopraxie verpflichtet ist: »Eine Gotteserfahrung erschöpft sich nicht im religiösen Gefühl, sondern führt ins Tun der Wahrheit des Evangeliums, im Vernehmen des Anrufs der Schwachen, Armen und Marginalisierten.« (66) Von diesem Ansatz her ist es ihr wichtig, die ›ekklesiale Sozialität‹ auf den Prüfstand zu stellen. Zu der von ihr gebotenen polyperspektivischen Annäherung an den Forschungsgegenstand gehört schließlich auch noch eine Aufarbeitung der Situation von (Gemeinde)Seelsorgerinnen im deutschsprachigen Raum (94–110).
Es folgt 3. eine Erörterung ihres Verständnisses von Seelsorge. Hierzu zieht L. drei verschiedene poimenische Konzepte heran: »Gott ist Beziehung«, die begegnende Seelsorge nach Peter F. Schmid, sodann »Den Menschen vor das Geheimnis seines Lebens hinführen, das wir Gott nennen«; hier bezieht sie sich auf die mystagogische Seelsorge, wie sie vor allem bei Stefan Knobloch formuliert ist; sie gewinnt »Perspektiven im Neuland«, indem sie femi-nis­tische Seelsorgetheorie insbesondere von Christiane Burbach und Ursula Riedel-Pfäfflin rezipiert.
Die zentrale Forschungsleistung der Dissertation liegt, wie gesagt, im empirischen Forschungsteil, zu dem in Kapitel 4 methodologische und methodische Überlegungen geliefert und in Kapitel 5 der Prozess der Datengewinnung und die Erfahrungen in der Auswertungspraxis geschildert werden. L. ordnet sich einer Prak­-tischen Theologie zu, die qualitative Sozialforschung betreibt. Sie arbeitet mit der dokumentarischen Methode nach Ralph Bohnsack und legt sowohl Einzelanalysen der Tagebuchaufzeichnungen als auch eine komparative Analyse vor.
Das Schlusskapitel bietet unter anderem die oben erwähnten drei Ermutigungen, mit denen L. ihre Forschungsergebnisse zurück an den Kontext der Alltagsreflexion der Seelsorgerinnen bindet. Es wäre nun interessant gewesen zu sehen, wie die Seelsorgerinnen mit diesen Analysen umgehen. Doch dieses zirkuläre Vorgehen übersteigt möglicherweise den Rahmen einer Dissertation.
Die Bandbreite theologischer Haltungen, die sich in den Tagebüchern findet, überrascht. Sie zeigt sich bereits an den Selbstaussagen, die die Autorin der Präsentation der Aufzeichnungen voranstellt:
Von »In den Zumutungen Gottes stellvertretend beten und hoffen« zu »Finde ich dich, Gott, in meinen Gefühlen?« über »Wenn ich in der Ewigkeit ankomme, werde ich mich in die Schlange derer einreihen, die Gott ›warum‹ fragen« und »Momente, wo ich meinen Beruf richtig liebe« zu »Gott, wann hält dieses Rad endlich an?« und »›Du liebe Zeit, welch Thema‹ oder: Mit dem ›Zwischen‹ wird es erträglicher«. Im Verlauf der Lektüre drängt sich hier allerdings auch ein kritischer Einwand gegen das Forschungsdesign auf: Man fragt sich, ob die sechs Seelsorgerinnen den Fokus in ihren Tagebüchern auch ohne die von L. gelieferte Forschungsfrage »Ist da Gott drin?« in der Weise gefasst hätten, wie sie es dann getan haben (vgl. 165 ff., das Forschungsdesign). Denn an den Auflistungen der Selbstaussagen zeigt sich auch eine Nähe zu dogmatischen Positionen, die als Vorverständnis oder als Konstruktionsprinzip der be­schreibenden Selbstbeobachtung gedient haben können. Eine phänomenologisch geschulte empirische Forschung würde hier versuchen, die Vorverständnisse der theologischen Konzepte zur Selbstbeschreibung der eigenen Seelsorgepraxis noch stärker einzuklammern oder aber nachträglich zu reflektieren, um dann noch einmal nachforschend den Berg zu umkreisen.
Dennoch stellt L.s Studie im Kontext der empirischen Erforschung des pastoralen Alltags und auch konkret für Seelsorgerinnen und Seelsorger in ihrer Praxis einen sehr lesenswerten Beitrag dar.