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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

357 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Paget, James Carleton

Titel/Untertitel:

The Epistle of Barnabas. Outlook and Background.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1994. XI, 319 S. gr. 8o = Wissenschaftliche Untersuchungen zum NT, 2. Reihe, 64. Kart. DM 88,­. ISBN 3-16-146161-4.

Rezensent:

Dietrich-Alex Koch

Der Vf. dieser bei William Horbury in Cambridge angefertigten Dissertation stellt sich einer dreifachen Aufgabe: Er will den historischen Ort des Barnabasbriefes (= Barn) präzisieren; das eigenständige theologische Profil des Barn deutlicher als bisher herausarbeiten; und den so interpretierten Brief genauer in die theologiegeschichtliche Entwicklung des frühen Christentums einordnen.

P. löst diese Aufgabe in klaren Schritten und in dauernder (z. T. allerdings auch ermüdender) Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur. Er gelangt zu folgenden Ergebnissen:

1. Barn ist vermutlich unter Nerva (96-98 n. Chr.) in Alexandria verfaßt, womit sich P. deutlich von der seit längerem üblichen Datierung im 2. Jh. (zumeist 130 bis 135 n. Chr.) abhebt.

2. P. sieht den Barn in einer realen (und nicht nur theoretischen) Auseinandersetzung mit dem (vor 115 n. Chr.!) noch ungebrochen vitalen Judentum Alexandrias, in dem es sogar Hoffnungen auf die Wiedererrichtung des (jüdischen!) Tempels in Jerusalem gab. Im Gegenüber zu diesem für Christen offenbar verstärkt attraktiven Judentum (warum? wegen des erhofften Tempelbaus?) will der Barn die christliche Identität stärken, indem er unter Rückgriff auf durchaus verschiedenartige Überlieferungen (allegorische Schriftexegese [Kap. 10], typologische Schriftauslegungen [Kap. 7 und 8] und Zitatketten [Kap. 2 und 3;11]) eine konsequente Position vertritt: Es gibt nur einen Sinn des Alten Testaments (der "Schrift") ­ den christlichen; die Kult- und Ritualgesetzgebung war nie wörtlich gemeint, sondern von Anfang an in dem ’eigentlichen’ (d. h. übertragenen) Sinn, der jetzt der christlichen Gemeinde eröffnet ist.

Methodisch besteht P. darauf, in der Verarbeitung des Materials (und daß dieser Vorgang im Barn vorliegt, wird nicht bestritten) nach dem spezifischen Profil des Barn zu fragen. P. lehnt daher literarkritische Zergliederungsversuche ab, ebenso die Sicht, in dem Redaktor des Barn lediglich einen (zudem weitgehend unfähigen) Reproduzenten von Traditionen zu sehen.

Es gelingt P. in der Tat, ein relativ geschlossenes Bild von der Intention des Barn zu entwerfen. So kann er z. B. zeigen, daß die auf den (Tempel-)Kult bezogene Polemik von 2,4-10 und die Ausführungen zum Tempelbau in Kap. 16 die gesamten Ausführungen von 2-16 rahmen. Auch die entschlossene Aufnahme und Aneignung von ­ in ihrer Tendenz z. T. sperrigen ­ Traditionen (so der typologischen Schriftexegesen, die ja an sich noch eine begrenzte Bedeutung der früheren Funktion der Schrift voraussetzen) ordnet sich diesem Gesamtbild durchaus ein.

Nicht besonders überzeugend ist allerdings die Frühdatierung des Barn. Zwar kann P. auf diese Weise die Funktion der aus Dan 7 übernommenen Weissagung in 4,3-5 voll erklären (9-17), dafür hat er auf der anderen Seite Schwierigkeiten mit der Ankündigung des Wiederaufbaus des Tempels in 16,3 f.: Hier reicht es nicht, nur eine jüdische "Hoffnung" zu sehen (27). Für deren Entstehung scheint mir die offenbar restriktivere Handhabung der Steuererhebung für den fiscus Iudaicus unter Nerva (vgl. die vieldiskutierte Münzlegende FISCI IVDAICI CALVMNIA SVBLATA) eine sehr schwankende Grundlage zu sein; und vor allem: Wenn Barn in 16,4 nach Anführung der Tempelweissagung "ginetai/es geschieht" sagt, dann ist hier mehr vorausgesetzt als lediglich "the rumour of a rebuilding of the temple" (27).

Theologiegeschichtlich sieht P. im frühen Christentum insgesamt "a number of solutions" für das Problem "of the apparent disjunction between Old Testament and Christian revelation" (258) ­ Paulus, Justin, Clemens, Origenes, Marcion; und in diesen Rahmen gehöre auch der Lösungsversuch des Barn. In methodischer Hinsicht sieht P. den Barn mit seiner Schriftauslegung (Ablehnung eines wörtlichen Sinns atl. Aussagen) in der Nähe der Hyperallogeristen von Migr. Abr. 89-94 des Philo von Alexandria (186-189); theologisch ist Barn auch für P. ein Eklektriker, der als solcher durchaus Berührungen mit anderen Positionen hat (etwa mit dem Hebr in der Betonung des Bundesbegriffs [214-225] und dem Kerygma Petri [235-240]). Schließlich betont P., daß Barn bis ins 4. Jh. jedenfalls im Osten durchaus verbreitet war und beachtet wurde, nicht nur von Clemens von Alexandrien.

Die Arbeit hat somit eine respektable Gesamtthese. Geradezu ärgerlich sind dagegen eine Reihe von Mängeln, die z. T. geringfügig sind, z. T. aber auch so gravierend, daß sie benannt werden müssen:

a) Falscher Umbruch im Computersatz (175) bzw. fehlender Einzug (77) oder auch doppelt gesetzter Text (84 f.) mag noch hinnehmbar sein, aber:

b) Wiederholt begegnen ungenaue, ja z. T. grob entstellt wiedergegebene Zitate; so mag es noch als geringfügig erscheinen, wenn aus "Gesetzesauslegung" bei P. "Gesetzauslegung" wird (188 A 12 in einem Zitat von Windisch), problematisch wird es schon, wenn im gleichen Zitat "die Konsequenz" kurzerhand in den Plural versetzt wird oder wenn auf S. 4 (ebenfalls in einem Windisch-Zitat) aus Act 13,2 f. bei P. Act 13,24 wird. Es mag ja erheiternd wirken, wenn der Leser die unfreiwillige Neuschöpfung "relativisiert" liest (statt "relativiert"; 179 in einem Wengst-Zitat), aber das Zitat von S. 20 A 91 ist derart entstellt, daß auch Raten kaum weiterhilft. Weitere ungenaue Zitate: S. 52 A 273; 55 A 281. ­ In Text und Literaturverzeichnis wird V. Nikiprowetzky konstant mit ’s’ als drittletztem Buchstaben geschrieben. Im Literaturverzeichnis fehlt das auf S. 235 A 244 erwähnte Werk von M. Elze.

c) Geradezu skandalös ist, wie katastrophal schlecht P. mit der griechischen Akzent- und Spiritussetzung vertraut ist. P. ist noch nicht einmal in der Lage, aus dem Barn selbst entnommene griechische Wortfolgen oder Einzelwörter fehlerfrei wiederzugeben. Beispiele vgl. Druckheft 4/1996, Sp. 358.

Die Aufzählung ließe sich fortsetzen, aber es mag genügen. Mängel in diesem Umfang sind nach Meinung des Rez. nicht hinnehmbar, und er verbindet mit ihrer bewußten Benennung die Hoffnung (und zwar sowohl im Blick auf künftige Autoren als auch im Blick auf die an sich renommierte Reihe), daß dieses negative Beispiel nicht Schule macht.