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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

372–375

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Bär, Martina

Titel/Untertitel:

Mensch und Ebenbild Gottes sein. Zur gott­ebenbildlichen Dimension von Mann und Frau.

Verlag:

Würzburg: Echter 2011. XXX, 370 S. m. Abb. = Erfurter Theologische Studien, 101. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-429-03371-2.

Rezensent:

Stefan Heuser

Martina Bärs mit dem »Maria-Kassel-Preis« ausgezeichnete Erfurter Dissertation »Mensch und Ebenbild Gottes sein« beginnt mit einer Aufzählung von Gräueltaten, die Männer an Frauen verüben, und die von der Genitalverstümmelung über häusliche Gewalt bis hin zu Ehrenmorden, Massenvergewaltigung, sexueller Folter und Zwangsprostitution reicht. B. möchte »diesen empirischen Befund, theologisch gesprochen die Unheilsgeschichte zwischen Mann und Frau, zum Ausgangspunkt der Reflexion« (4) nehmen. Dies geschieht allerdings nicht mit dem Ziel, die genannten Phänomene in ihrer je eigenen Problematik zu analysieren, sondern um eine grundsätzliche »geschlechterbezogene Theodizeefrage« (ebd.) aufzuwerfen. Jene Frage will B. in drei Dimensionen bearbeiten, näm lich hinsichtlich einer »geschlechterbezogenen Anthropodizee­frage«, einer »Androdizeefrage« und einer »spezifisch weiblichen Theodizeefrage« (5). Diese stellt B. in den Kontext der Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Die »hohe Würde, die Gott dem Menschen als Mann und Frau zugedacht hat«, sei Frauen oft nicht oder nur teilweise zuerkannt worden, was B. vor dem Hintergrund spezifisch männlicher Gewalt an Frauen zur erkenntnis­leitenden Frage ihrer Arbeit führt: »Wie kann philosophisch und theologisch eine Verhältnisbestimmung von Mann und Frau ge­dacht werden, die der priesterschriftlichen Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen in seiner geschlechtlichen Differenzierung gerecht wird?« (ebd.)
Einen ersten Schritt in diese Richtung unternimmt B. im An­schluss an Michail M. Bachtin mit einer Hermeneutik des Gender-Dialogs, die es ermöglichen soll, dass sich Männer und Frauen auf einen Begriff vom Menschen hin verständigen können, der das Männliche und das Weibliche integriert und – mit Blick auf die Position des Dritten, die B. unter Bezug auf Dostojewski mit Chris­tus besetzt – zur Versöhnung zwischen den Geschlechtern anleitet.
Im zweiten Teil ihrer Arbeit skizziert B. als Antwort auf die Entwürdigung von Frauen eine freiheitstheoretisch codierte Anthropologie der Geschlechter. Männer und Frauen sollen gleichermaßen als freie moralische Subjekte verstanden werden, zu deren Subjektwerdung die intersubjektive Anerkennung der Würde des jeweils anderen grundlegend dazugehört. Um die Kategorie der Geschlechter in dieser Hinsicht neu zu bestimmen, greift B. auf J. G. Fichtes Überlegungen zum transzendentalen Ich und dessen Impulse zur Selbstbefreiung zurück. Außerdem nimmt sie Schel lings naturphilosophische Überlegungen zur interpersonalen Konstitution des Subjekts sowie zur gleichzeitigen Bezogenheit und Selbständigkeit der beiden Pole der Geschlechterdifferenz auf und bezieht das Liebesverständnis der Jenaer Frühromantik in ihre Überlegungen über die Geschlechterkategorie ein.
Unter der Überschrift »Theologische Anthropologie« deutet B. im abschließenden dritten Teil ihrer Arbeit die im zweiten Teil erarbeitete Anthropologie der Geschlechter systematisch-theologisch. Anhand einer exegetischen und systematisch-theologischen Erschließung der Topoi »Gottebenbildlichkeit«, »Sündenfall« und »Wiederherstellung der imago Dei« will sie zeigen, dass die Zweigeschlechtlichkeit schöpfungstheologisch gerechtfertigt werden kann und dass weibliche Geschlechtskörper zur Bestimmung der Gottebenbildlichkeit in gleichem Maße dazugehören wie männ-liche. Zentral für ihre Argumentation wird dabei Schellings Interpretation der Figur des androgynen Urmenschen »Adam Kadmon« und seine freiheitstheoretische Deutung des Sündenfalls. Mit diesen Denkfiguren will B. die Sünde entnaturalisiert als einen reinen, im Menschen angelegten Freiheitswunsch verstehen und sie vom Beziehungsgeschehen zwischen Adam und Eva und ihrer Körperlichkeit abkoppeln. Auf diese Weise sollen die Frauen vom vermeintlichen Sündenerbe Evas entlastet werden. Eine schöpfungstheologische Rechtfertigung der Zweigeschlechtlichkeit des Men schen sieht B. im Anschluss an Schellings Naturbegriff darin ge­geben, dass Gott als trinitarisches Wesen selbst in interpersonalen Beziehungen und geschlechtlicher Differenzierung lebt und seine Ebenbilder entsprechend geschaffen habe. Die Restitution der durch den Sündenfall verlorenen Ebenbildlichkeit Gottes sieht B. in der Person Jesu gegeben, der als neuer Adam Kadmon das Weibliche integriert und das Bewusstsein der Einheit von Mann und Frau erneuert habe.
B.s Arbeit ist geistreich und anspruchsvoll konstruiert – eine trotz massiver Nomenklatur überaus anregende Lektüre. Kritisch möchte ich mich vor allem auf die Spielart des Geschlechterdiskurses beziehen, in den sich diese Arbeit fügt und den sie m. E. fortführt:
Wer sich als Leser darüber wundert, warum ausgerechnet ein Philosoph wie Fichte in einem Buch über die Gleichberechtigung von Mann und Frau zum Referenzpunkt wird und wie es kommt, dass sich dessen »absolutes Ich« mit Bachtins dialogischer Hermeneutik, mit Schellings Naturphilosophie, mit der Jenaer Frühromantik, mit exegetischen Befunden zu Gen 1,26 f. und mit Aspekten der gegenwärtigen Gender-Debatte in einem Theoriegebilde reimen soll, sollte zur Einleitung des Buches zurückblättern. In den Abgründen der Verbrechen von Männern an Frauen, die dort aufgelistet werden, hält B. sich zwar nicht lange auf, holt sich aber vom Pathos der Schreckensgeschichte die Schubkraft für die große Gegenerzählung von Freiheit und Versöhnung, die in der Figur des ursprünglichen, in Christus wiederhergestellten und die Ge­schlechter integrierenden »Adam Kadmon« ihren mythischen Angelpunkt hat. Vielleicht machen die furchtbaren Schuldzusammenhänge, die sie eingangs aufruft, verständlich, dass sich B. beim absoluten, radikal selbstbestimmten Ich Fichtes, bei Schelling und bei der Frühromantik bedient.
Mit Sicherheit aber gibt es eine direkte Linie vom ausgehenden 18. Jh. hin zu einem heute noch virulenten Geschlechterdiskurs, der Männern eine gewalttätige, im moralischen Sinn mängelbehaftete Natur zuweist und in Frauen – so sie nicht einfach als Opfer erscheinen – die komplementären Gegengewichte erblickt. Ob­wohl B. diese Problematik im ersten Teil ihrer Arbeit explizit aufgreift und sich vordergründig gegen naturalistische Rollenzuweisungen wendet, bleibt ihre Arbeit meiner Einschätzung nach in der Logik dieses Diskurses.
Dafür ein Beispiel: Nach einem kurzen Hinweis auf den KZ-Roman »Kapo« und die Vergewaltigung weiblicher Häftlinge durch einen Kollaborateur im Konzentrationslager finden sich folgende Sätze: »Diese Geschichte zeigt, wie fragil die Grenze zwischen der Täter- und Opferrolle des Täters ist, welche Dynamik das männliche sexuelle Begehren entwickeln und was Leiden unter Schuldgefühlen bedeuten kann. […] Wird des weiteren die körperliche Dimension von Menschsein, hier das männliche Begehren nach der Frau, in den Blick und ernst genommen, dann zeigt sich ein erlösungsbedürftiges spezifisch männliches Problem, weil vermutet werden kann, dass im missbräuchlichen Gebrauch des sexuellen Begehrens ein Mangel kompensiert wird. Sexuelles Begehren muss aber aufgrund seines Missbrauchs nicht von vornherein diffamiert werden. Die entscheidende Frage ist eher, wie mit ihm umzugehen ist, wie Mann sich dazu verhalten soll […] Denn offensichtlich muss der männliche Mangel in einen viel größeren Kontext eingebettet werden als dem ausschließlich privaten, der es entweder erlaubt, das Begehren zu missbrauchen oder dazu zwingt, das Begehren zu tabuisieren und zu unterdrücken und so wiederum Schaden anrichtet.« (66 f.)
Dieses Klischee vom Mann als im Privaten erlösungsbedürftigem Mängelwesen ist doppelt heikel: zum einen, weil es bei Männern die Möglichkeit ausblendet, dass sie ihre Sexualität jenseits von Missbrauch und Unterdrückung als Medium der Konstruktion von Beziehungen leben; zum anderen, weil B. das »Männliche« und das »Weibliche« in den Rang einander komplementärer geschlechtlicher Prinzipien bzw. Symbole erhebt. Für die »weibliche Ge­schlechtsidentität« bleiben dann nicht mehr allzu viele Spielräume jenseits der Rollenzuweisung, die schon im Geschlechterdiskurs Fichtes, Schellings und der Romantik vorgezeichnet wurden.
Mit diesem Diskurs setzt B. auf ein Komplementaritätsmodell von Zweigeschlechtlichkeit, demzufolge der wahre, versöhnte und gesittete Mensch nur in der Wiederherstellung der Einheit von Mann und Frau in einer von Liebe getragenen Beziehung gefunden werden kann, in der sich die vollkommene geistige Selbstverwirklichung des androgynen Selbst gleichsam nach außen hin abbildet. Wie leicht diese Grundfigur einer ursprünglichen Homogenität der Geschlechter in problematische Bilder von Männern und Frauen kippt und andere Beziehungsformen kategorial exkludiert, zeigt sich schon bei Fichte, der den Sinn der bürgerlichen Ehe darin sieht, dass sich die verständnisvolle Frau freiwillig dafür aufopfert, den moralisch ungebärdigen Mann zu disziplinieren und in die bürgerliche Gesellschaft einzugliedern. Solche Rollenzuweisungen, in denen die Männer böse Täter und die Frauen duldsame Opfer sind, werden bei B. zwar immer wieder durchbrochen. Doch bis hinein in ihre Rede von einer »männlich-weiblichen Schuldgeschichte« setzt sich die Erzählung von der Einheit zweier entgegengesetzter Geschlechtsprinzipien fort, deren Konturen und inhaltliche Füllung mit Ausnahme der Passagen über eines als männliches Problem deklarierten sexuellen Begehrens nach »der Frau« im Dunkeln bleiben. Der Leser erfährt nur von der ursprünglichen Homogenität der Geschlechter, die B. auch in die Schöpfungsgeschichte der Genesis hineinliest. – Im Kern sehe ich in B.s Arbeit eine – fein gewobene und intellektuell anspruchsvolle – Weitererzählung des platonischen Kugelmenschen-Mythos, der mithilfe von Schelling zu einem Gegenüber von Geschlechterprinzipien vergeistigt und – um Platons homo­erotische Bindungen verkürzt – über den Begriff der Gottebenbildlichkeit schöpfungstheologisch aufgeladen wird. Mann und Frau spiegeln demnach Gottes eigene Zweigeschlechtlichkeit wider und erinnern in ihrem liebenden Gegenüber an die Androgynität des ursprünglichen Ebenbildes Gottes. Nach dieser Lesart ist Jesus Christus dadurch wahrer Mensch, dass ihm diese ursprüngliche Einheit von Mann und Frau vollkommen bewusst und zur ethischen Praxis geworden ist.
Kritik an B.s vom Mythos eines androgynen Urmenschen ge­speis­tem, transzendentalphilosophisch vergeistigtem und soteriologisch verklärtem Geschlechterdiskurs ließe sich von vielen Seiten her aufnehmen, beispielsweise von Einsichten aus, die Foucaults Arbeiten zum Sexualitätsdispositiv eröffnen. Grundsätzlich scheint mir der spekulative Zugang zur Geschlechterproblematik den Blick auf die Komplexität und Brutalität realer Beziehungskonstellationen und auf die sozialen und kulturellen Ursachen jeweils spezifischer Ge­walt- und Unterdrückungsphänomene zu verstellen. Auch sollte die »weibliche Theodizeefrage« nicht über die Opfer von Gewalt hinweg mit spekulativen Integrationsszenarien beantwortet werden. Nicht zuletzt könnten auch die unheilvollen Auswirkungen eines auf Zweigeschlechtlichkeit fokussierten Diskurses auf Menschen mit gleichgeschlechtlichen Orientierungen alternative Perspektiven er­öffnen. Vielleicht ließe sich in der Fortführung des kritischen Gesprächs mit B.s Dissertation das Erkenntnisinteresse auf die Konturen und Inhalte einer differenzsensiblen ethischen Praxis richten, in der Menschen jenseits von Integrationsfantasien ein Selbst werden und als Ebenbilder Gottes zusammenleben können.