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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

339–340

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Söderblom, Nathan

Titel/Untertitel:

Ausgewählte Werke. Bd. 1: Offenbarung und Religionen. Aus d. Schwedischen übers. u. hrsg. v. D. Lange.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2011. 284 S. Geb. EUR 64,99. ISBN 978-3-525-57015-9.

Rezensent:

Heinrich Holze

Mit diesem Band legt Dietz Lange, emeritierter Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Göttingen, einen weiteren Band seines Söderblom-Projektes vor. Vor wenigen Jahren gab er mit der Edition einer Auswahl aus S.s brieflicher Korrespondenz (Göt-tingen 2006) den Anstoß zur Wiederentdeckung des be­deutenden schwedischen Theologen, Erzbischofs und Friedensnobelpreisträgers. Im letzten Jahr veröffentlichte er eine Gesamtdarstellung des Lebens und Wirkens S.s, in der er dessen umfassende literarische Hinterlassenschaft auswertete und biographisch und zeithistorisch kontextualisierte (vgl. ThLZ 137 [2012], 325–327). Mit dem vorliegenden Band folgt nun, wie Lange im Vorwort bemerkt, »als ›letzter Akt‹ meines Versuchs, diesen großen Mann in Deutschland bekannter zu machen, eine auf vier Bände angelegte Auswahl seiner Werke in deutscher Übersetzung« (5).
Der erste Band steht unter dem Thema »Offenbarung und Religionen« und enthält vier Texte, die unterschiedliche Facetten von S.s Deutung des Verhältnisses des Christentums zur Welt der Religionen beleuchten. Entstanden sind sie zwischen 1901 und 1914, als S. auf dem Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Karriere die Professuren für Religionsgeschichte und Re­ligionsphilosophie in Uppsala und Leipzig innehatte.
Text 1 (23–54) bietet S.s Antrittsvorlesung in Uppsala 1901 über »Die allgemeine Religionsgeschichte und die kirchliche Theologie«. S. spricht sich in dieser Vorlesung, die frühzeitig große Aufmerksamkeit fand und mehrfach nachgedruckt wurde, für die Anbindung der Religionsgeschichte als Lehrfach an die theologische Fakultät aus und grenzt sich ab gegen die von der Religionsgeschichtlichen Schule vertretene Auffassung, Religionsgeschichte auf das Studium der antiken Religionen zu beschränken. Vielmehr vertritt er die Überzeugung, man müsse Kenntnisse der fremden Religionen besitzen, um sich in einer religiös plural entwickelnden Welt zurechtfinden zu können. Insoweit Religionswissenschaft in Europa betrieben werde, sei es jedoch legitim, den Ausgangspunkt beim Christentum zu nehmen, um »auf der Basis eines allen Religionen gemeinsamen Erfahrungselementes die Besonderheit des Christentums klar zu erfassen.« (12)
Text 2 (44–163) enthält einen Aufsatz, der unter dem Titel »Offenbarungsreligion« erstmals 1903 in der Festschrift für den Uppsalienser Praktischen Theologen Carl Axel Torén erschien. S. veröffentlichte ihn später als eigenständige Publikation und ergänzte diese durch zwei weitere, thematisch verwandte Aufsätze. In ihnen nahm er zu der durch den Berliner Assyriologen Friedrich Delitzsch angestoßenen Babel-Bibel-Kontroverse Stellung. De­litzsch hatte die Überlegenheit der babylonischen Religion gegenüber der Religion Israels behauptet und Letzterer den Offenbarungscharakter abgesprochen. S. widersprach ihm, indem er zwischen der kulturellen Vermittlung von Religion und ihrem Ursprung in der Selbsterschließung der Transzendenz im Innersten des Menschen unterschied. Nach S. beruhen die Unterschiede der Religionen »auf unterschiedlichen Bestimmungen des Verhältnisses der zuteil gewordenen Offenbarung zu den Herausforderungen des Lebens, die eine Wechselbeziehung der Transzendenz mit den jeweiligen kulturellen Gegebenheiten zum Ausdruck bringen.« (13) Das gelte gleichermaßen für die Kultur- bzw. Naturreligionen wie für die Offenbarungsreligionen, auch wenn ihnen unterschiedliche Frömmigkeitsformen der Unendlichkeitsmystik bzw. der Persönlichkeitsmystik entsprechen. S. entwickelte seine Gedanken in zwei Aufsätzen, die er der 2. Auflage seiner Schrift (1930) beifügte, weiter. In dem Vortrag »Die Pforten der Offenbarung« (1910) setzte er sich mit der These eines mit der Vernunft gegebenen ›religiösen Apriori‹ kritisch auseinander: »Nur die Aufnahmefähigkeit« sei vorgegeben, die Entstehung von Religion aber verdanke sich »allein dem Handeln Gottes« (15). In dem Aufsatz »Die Fortsetzung der Offenbarung« (1911) entfaltete S. den Gedanken, dass die Offenbarung in Christus ihre Fortsetzung »in ihm nachfolgenden großen Gestalten« finde, also bei den Heiligen, »deren Leben die es tragende göttliche Wirklichkeit offenbart.« (16)
Text 3 (165–252) »Das Studium der Religion« erschien 1908 als populärwissenschaftliche Studienanleitung, die von der Volksbildungsvereinigung der nordländischen Studenten herausgegeben wurde. S. entwickelt in ihr eine aus religionswissenschaftlicher Perspektive geschriebene theologische Enzyklopädie und bietet »zu­gleich eine theologisch durchreflektierte Theorie der Religionswissenschaft« (17). Ihr Grundgedanke ist, dass »Religion der welthafte Reflex der Selbstoffenbarung einer transzendenten Macht ist, die als solche nicht Gegenstand von Wissenschaft sein kann« (18). S. beginnt seine Darstellung darum empirisch-geschichtlich und stellt die spezielle Religionsgeschichte des Christentums an den An­fang, einsetzend mit der Person Jesu als Religionsstifter und dem Alten und Neuen Testament als seiner Lebenswelt, weiterführend zunächst in die Geschichte der Kirche und dann in die all­-gemeine Religionsgeschichte, die wiederum in die Entfaltung der Religionspsychologie und der Religionsphilosophie überleitet. Lange bezeichnet diese Schrift als »die klarste und systematischste Explikation von Söderbloms Gedankengebäude« und als »eine der modernsten Konzeptionen dieser Art« (19).
Text 4 (253–277) bietet einen Auszug aus S.s religionswissenschaftlichem Hauptwerk »Das Werden des Gottesglaubens« (1914), das bereits 1916 in deutscher Übersetzung erschien, seitdem aber kaum rezipiert wurde. Das 5. Kapitel, das hier erneut abgedruckt wird, behandelt unter der Überschrift »Das Wesen der Religion« den Begriff des Heiligen und kennzeichnet dieses als »die dem Menschen begegnende überweltliche Macht« (20). Sie zeige sich, wenn auch auf unterschiedliche Weise, in allen Religionen, den Religionen der schriftlosen Völker und den indischen und chinesischen Religionen ebenso wie in den Offenbarungsreligionen. Mit seiner These, die »den übernatürlichen Charakter des Heiligen« unterstrich und zugleich auf alle Religionen bezog, griff S. in die religionswissenschaftliche Debatte seiner Zeit ein und gab ihr noch vor Rudolf Ottos »Das Heilige« wichtige Impulse.
Lange hat mit dem vorliegenden Band zentrale religionsgeschichtliche Texte S.s erneut zugänglich gemacht. Sie zeigen eine erstaunliche Aktualität dieses großen schwedischen Theologen und sind geeignet, auch die gegenwärtigen Diskurse zum Verhältnis von Offenbarung, Christentum und Religion(en) anzuregen. Lange bietet in seiner Einleitung eine prägnante Einführung in Entstehung, Aufbau und Argumentation der Schriften (9–22). Für eine ausführlichere Kontextualisierung ist seine große, im letzten Jahr erschienene Söderblom-Biographie heranzuziehen. Auf die weiteren Bände der »Ausgewählte(n) Werke«, von denen der das Verhältnis von christlicher Frömmigkeit und Konfessionen beleuchtende Band 2 kürzlich erschienen ist, darf man gespannt sein.