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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

337–338

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst

Titel/Untertitel:

Kritische Gesamtausgabe. 5. Abt.: Briefwechsel und biographische Dokumente. Bd. 9: Briefwechsel 1806–1807 (Briefe 2173–2597). Hrsg. v. A. Arndt u. S. Gerber.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2011. LXXXI, 718 S. m. Abb. Lw. EUR 239,00. ISBN 978-3-11-025246-0.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Der vierte Band von Schleiermachers Briefwechsel, wiederum herausgegeben von Andreas Arndt und Simon Gerber, dokumentiert die Korrespondenz der Jahre 1806 (April) bis Ende 1807 und enthält die fortlaufend nummerierten Briefe 2173 bis 2598. In diesen Zeit­raum fallen die wichtigen Ereignisse von Sch.s erster Professur in Halle, die Eroberung der Stadt nach der Niederlage Preußens in der Schlacht bei Jena und Auerstedt, die Schließung der Universität und die daraus entstehenden ökonomischen und akademischen Schwierigkeiten, die Suche nach anderen Anstellungsmöglichkeiten sowie die zunächst vorläufige und dann endgültige Übersiedelung Sch.s nach Berlin an die dort neu zu errichtende Universität. 139 Briefe an Sch. aus dieser Zeit und 39 von ihm werden hier erstmals gedruckt, 41 weitere (30 an Sch. und elf von ihm) erstmals in vollem Umfang geboten, 126 Briefe konnten nur erschlossen werden, ohne dass sie sich auffinden ließen (43 an Sch. und 83 von ihm). Die Edition folgt den bewährten Kriterien der vorangehenden Bände (vgl. KGA V/1, XVIII–XXIII) und lässt in differenzierter Druckgestaltung, den knappen, aber präzisen Text- und Sachapparaten und den mannigfachen Querverweisen auf die Briefe untereinander keine Wünsche offen. Jeder kann sich leicht zurechtfinden und ohne Schwierigkeiten interessierende Themen durch die verschiedenen Briefe verfolgen.
Wie gewohnt bieten die Herausgeber eine historische Einführung in das Leben und Werk Sch.s von April 1806 bis Ende 1807 sowie einen editorischen Bericht mit dem Verzeichnis der einzelnen Briefwechsel. Knapp und auf das Wesentliche beschränkt werden die Briefpartner Sch.s charakterisiert, darunter so herausragende Gestalten wie der Altphilologe August Boeckh, Philipp Konrad Marheineke, Friedrich Schlegel, Dorothea Schlegel, Henriette Herz, Georg Andreas Reimer, Henrich Steffens, Karl August Varnhagen von Ense, Heinrich Voß, Friedrich August Wolf und viele mehr. Die Briefe handeln häufig von Alltäglichem, sie lassen die Publikationspläne und Arbeitsvorhaben des jungen Professors nachverfolgen, von denen viele nicht realisiert werden, und sie bieten vor allem Einblick in die Nöte, in die Sch. mit der Eroberung Halles durch französische Truppen nach der Niederlage der preußischen Armee bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 und die wenige Tage später erfolgende Schließung der Universität Halle geraten war. Plünderungen, Einquartierungen und das Ausbleiben von Gehaltszahlungen machen das Leben schwer. In vielen Briefen, etwa an Reimer (Nr. 2303) oder an Voß (Nr. 2356), schildert Sch. die Ereignisse. Er erwägt in seiner entschieden preußisch-deutschen Gesinnung sogar, eine »rein grammatische Darstellung der abso­-luten Gesinnungslosigkeit der französischen Sprache« abzufassen (260). Dazu ist es ebenso wenig gekommen wie zu den Berichten über das Schicksal Halles und seiner Universität unter französischer Besatzung, die er der Allgemeinen Literaturzeitung vergeb­lich anbot (Nr. 2347), weil Eichstadt sie »aus Rücksicht auf den Weimarischen Hof« (Nr. 2398), wohl aufgrund des Einspruchs Goethes, nicht drucken wollte (315). Obwohl Sch. kaum noch Mittel hat zum Leben, lehnt er einen Ruf als Prediger an die St. Stephani-Kirche in Bremen mehrfach ab (Nr. 2309, 2351). Er will in Preußen, wenn nötig auf einer anderen Stelle, ausharren, um an der Wiedergeburt Preußens und Deutschlands mitzuwirken (Nr. 2344). Dafür setzt er sich auch in seinen patriotischen Predigten öffentlich ein, indem er die Zuhörer an ihre Pflichten dem König und dem Vaterland gegenüber erinnert. Als 1807 von der neuen Westfälischen Regierung »das Kirchengebet für den König und die Königin von Westfalen verordnet war, war es mir nicht mehr möglich die Kanzel zu besteigen« (615), wie Sch. an Charlotte von Kathen schreibt (Nr. 2597). Im Dezember 1806 endet mit der Abreise Steffens’ aus Halle die durch die Not aufgezwungene gemeinsame Haushaltsführung (Nr. 2356), am 2. Februar stirbt sein langjähriger Freund Ehrenfried von Willich (Nr. 2435), dessen Witwe Henriette er zwei Jahre später heiraten wird. Weil sich in Halle keine Änderung der Lage abzeichnet, plant er im Sommer 1807 einen Aufenthalt mit Vorlesungen in Berlin und spielt mit dem Gedanken, dort eine Art philosophischer und theologischer Schule aufzubauen (Nr. 2439). Er liest über die Geschichte der Philosophie und berichtet im September von Gerüchten, dass in Berlin eine neue Universität ge­gründet werden soll (Nr. 2547). Im Oktober reist er wieder nach Halle, kehrt aber im Dezember nach Berlin zurück, wo er ab Januar wieder Vorlesungen halten will (Nr. 2582). Die Gründung einer neuen Universität in Berlin ist jetzt beschlossene Sache und Sch. will in Berlin bleiben, um daran mitzuwirken (615).
Der Band gibt einen lebendigen Einblick in eine entscheidende Phase des Lebens Sch.s am Übergang von Halle nach Berlin, der ihm von den politischen Ereignissen aufgenötigt wird. Er ist – nach den Regeln der Briefbände – in gewohnt meisterlicher Manier ediert. Ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie umfangreiche Regis­ter der Namen und Werke beschließen den lesenswerten Band. – 33 Abbildungen von Briefen verschiedener Briefpartner Sch.s (vgl. das Verzeichnis 621 f.) geben einen Eindruck von den Schwierigkeiten der Transkription. Im Anhang werden als Ergänzungen zu KGA V/4, V/6, V/7 und V/8 noch wei­tere Schreiben von Charlotte Schlei­ermacher, J. B. Vermehren, Fr. C. G. Duis­burg, G. A. Reimer und G. L. Spalding geboten. Ein künftiges Gesamtverzeichnis wird darauf hinweisen müssen.